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28.04.12 / Von der Vergangenheit eingeholt / Prag entschädigt katholische Kirche für kommunistische Enteignung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-12 vom 28. April 2012

Von der Vergangenheit eingeholt
Prag entschädigt katholische Kirche für kommunistische Enteignung

Stanislav Drapal, Vize-Direktor des Tschechischen Statistikamts (CSU), muss derzeit unangenehme Fragen zu den vorläufigen Resultaten der Volkszählung 2011 beantworten, zum Beispiel diese: „Stimmt es, dass die Tschechische Republik das atheistischste Land der Welt ist?“ Es stimmt! Nur 1,5 Millionen, 14 Prozent der Bevölkerung, gehören einer der 26 staatlich anerkannten Kirchen an, davon allein 1,1 Millionen der katholischen Kirche. Deren Oberhaupt ist der 1943 geborene Erzbischof Dominik Duka, seit Jahresbeginn Träger des Kardinals-Purpurs, einer Würdigung des Vatikans für seinen Mut unter dem kommunistischen Regime und Ermutigung im Dauerstreit um die Rückgabe enteigneten Kirchenbesitzes. Dabei ist der Dauerstreit im Grund längst entschieden, seit 2007 der staatliche Boden- und Waldfonds den Streitwert auf 5,36 Milliarden Euro festlegte, 2010 das Verfassungsgericht die kirchlichen Ansprüche bestätigte und in diesem Jahr Regierung und Senat die nötigen Gesetze abnickten. Hinderlich sind allein mediale Demagogie, behördlicher Stumpfsinn und Kirchenfeindlichkeit von Tschechen, wie Kardinal Duka mit Hohn und Schadenfreude über amtliche Eigentore registriert.

Denn die tschechische Kulturgeschichte fußt auf Kirchenprominenz, beginnend 863 mit den „Slawenaposteln“ Kyrill und Method sowie weiteren Lichtgestalten, von deren Ruhm 30 Statuen auf der Prager Karlsbrücke künden. Wobei Stars in dieser Galerie fehlen: Jan Hus, der Kirchenreformer aus dem 14. Jahrhundert, und Jan Amos Comenius, der geniale Schulreformer aus dem 17. Jahrhundert, nach dessen „Orbis pictus“ noch Goethe Lesen und Schreiben lernte. Böhmischer Provinzialismus hat das vergessen, auch die Enteignungen ab 1948 und die „Aktion K“ vom April 1950, mit der jahrelanger Terror gegen Kirchen und Geistliche begann. Heutige Umfragen und „Argumente“ wie „Woher hat die Kirche Eigentum?“ und „Sind Milliarden nicht zu viel?“ nennt Kardinal Duka „demagogisch“. Hinter ihm stehen alle religiösen Gruppen, auch die Föderation jüdischer Gemeinden, auf seiner Seite stehen Politik und Recht.

Und ökonomische Vernunft steuert dieser Schwejk im Purpur selber bei: Seit 1949 ist der Staat gesetzlich verpflichtet, die Konfessionen zu unterhalten. Derzeit sind es noch 17 Kirchen, für die 2011 56 Millionen Euro aufzubringen waren, was zu sparen wäre, falls die Kirchen durch Eigentumsrückgabe zu wirtschaftlicher Autonomie kämen. Dieser Sicht Dukas stimmt auch der Städte- und Gemeindenverband (SMO) zu, dem seit 20 Jahren viele Grundstücke „wegen ungeklärter Besitzverhältnisse blockiert“ sind, auch für Fördermittel aus EU-Fonds.

Duka, der Ökonom der Prager Erzdiözese Karel Sticha und die „Expertenkommission für Kircheneigentum“ halten ihre „interne“ Liste enteigneten Besitzes geheim, um Tricks der Behörden vorzubeugen, etwa kirchlichen Wald in Eile abzuholzen. Eigentum im Wert von drei Milliarden Euro wird den Kirchen direkt zurückgegeben, weitere 2,4 Milliarden werden finanziell so abgegolten, dass 30 Jahre lang knapp 80 Millionen Euro gezahlt werden. Wem das als „schreckliche Zahl“ erscheint, dem rechnet das Duka-Team vor, dass zum Beispiel ein Lehrerstreik dreifach teurer wäre, von den 1,4 Milliarden jährlich für „erneuerbare Energie“ gar nicht zu reden.

Viele Tschechen fürchten aber auch, dass wenn die katholische Kirche entschädigt wird, bald weitere Ansprüche folgen könnten. So zum Beispiel aus Deutschland. Am 1. April hat der Bischof von Pilsen Frantisek Radkovsky eine Ausstellung „Zerstörte Kirchen in Westböhmen 1948 bis 1989“ eröffnet, die kommunistischen Vandalismus dokumentiert – an sudetendeutschen Kirchen, denn andere gab es in der Region kaum. Deutsches Kirchenleben hörte am 4. Mai 1945 auf, wie es ein Gesetz von 1948 rückwirkend bestimmte. Durch Vertreibungen verlor allein die Deutsche Evangelische Kirche (DEK) 110 Kirchen, 16 Gebetshäuser, 68 Pfarrgebäude, 16 Sozialgebäude, sechs Schulen, 42 Friedhöfe und vieles mehr. Die evangelische Kirche wollte von Deutschland aus durch Verbindung mit der böhmischen Brüderkirche einiges retten, scheiterte aber an kommunistischen Behörden. Details und Neuansätze nach 1990 kennt die „Johannes-Mathesius-Gesellschaft“, die sich seit 1957 mit deutschem Kirchenerbe in Böhmen befasst. W. Oschlies


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