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28.04.12 / Kernkraft bald ohne Lobby / Überraschende Wende: Atommeiler rechnen sich für Energieproduzenten immer weniger

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-12 vom 28. April 2012

Kernkraft bald ohne Lobby
Überraschende Wende: Atommeiler rechnen sich für Energieproduzenten immer weniger

Geht es nach den Regierungen von vier EU-Ländern, dann fließen zukünftig nicht nur für die sogenannten erneuerbaren Energien, sondern auch für die Kernkraft Subventionen. Die Forderung macht deutlich, dass sich die Kernkraftbranche in einer Krise befindet.

Ohne staatliche Zuschüsse lassen sich kaum noch neue Atomkraftwerke errichten. Es sind noch keine EU-Subventionen, die Frankreich, Großbritannien, Polen und Tschechien für ihre Kernkraftbetreiber fordern. Entgegen einigen missverständlichen Medienberichten wollen die vier Länder bisher von Brüssel nur das Recht, dass Kernkraft als „klimaschützend“ eingestuft wird und damit auf nationaler Ebene subventionsfähig wird. Die ebenfalls angeführte Begründung bezüglich der Chancengleichheit mit den „regenerativen Energien“ verstellt etwas den Blick darauf, dass auch ohne üppige Subventionierung von Solar- und Windstrom Kernkraftwerke am Markt zunehmend skeptischer betrachtet werden. Absehbar ist das etwa in Großbritannien: RWE und Eon wollen dort ihr Gemeinschaftsprojekt „Horizon Nuclear Power“ zum Bau neuer Reaktoren aufgeben. „Zu riskant, zu teuer“ lautet die Begründung.

Europas Energieriesen stehen mit ihrer Skepsis nicht allein. Für Aufsehen hat in den USA erst kürzlich John Rowe mit einer Rede an der Universität von Chicago gesorgt. Er war jahrelang Chef von Ecelon – mit 22 Anlagen größter AKW-Betreiber in den USA. Wer nach seiner Einleitung, bei der er sich den Zuhörern als der „Atom-Mann“ vorgestellt hatte, ein Plädoyer für die Kernkraft erhofft hatte, sah sich bald enttäuscht. „Atomkraft ist zurzeit nicht rentabel und sie wird es in absehbarer Zukunft nicht sein.“

Rowes Pessimismus wird von immer mehr Investoren geteilt. Trotz staatlicher Bürgschaften ist der Versuch, privates Kapital für 34 neue Reaktoren aufzutreiben, gescheitert. Diese Skepsis hat handfeste Gründe. Zum stärksten Konkurrenten der Kernkraftwerke haben sich in den USA die Gaskraftwerke entwickelt. Die sind deutlich billiger zu errichten, flexibler im Betrieb und profitieren vom Überangebot an Erdgas. Folge ist, dass sich die Anteile im Energie-Mix der USA von 50 Prozent Kohlestrom und jeweils 20 Prozent Atomkraft und Erdgasverstromung immer mehr verschieben – zugunsten von Erdgas. Der Energiekonzern Southern – einst größter US-Verbraucher von Kohle – stellt mittlerweile 46 Prozent der Energie in Gaskraftwerken her. Noch vor Jahren lag der Anteil bei nur 16 Prozent. Weitere Gaskraftwerke sind bei Southern bereits im Bau. Die Erdgaspreise sind in den USA auf den tiefsten Stand seit Jahrzehnten gefallen: Resultat der boomenden Schiefergasförderung einerseits und der wieder zunehmenden Erdölförderung in den USA selbst. Das Erdgas fällt dabei quasi als Nebenprodukt an.

Sollten sich Prognosen der Ölmultis bestätigen, dass auch in Europa ab 2020 die Erdgasförderung aus Schiefergestein massiv in Gang kommt, dann könnten sich Kernkraftwerke, die jetzt noch errichtet werden, innerhalb eines Jahrzehnts zu milliardenschweren Fehlinvestitionen verwandeln.

Es gibt allerdings noch mehr Gründe, die aus Sicht der Energiebranche dagegen sprechen, eigenes Geld in die Hand zu nehmen, um neue Reaktoren zu bauen: Moderne Gas-und-Dampf-Kombikraftwerke erreichen inzwischen Wirkungsgrade von 60 Prozent gegenüber 35 Prozent bei AKW. Gleichzeitig sind die Gasturbinen wesentlich preiswerter als der Bau neuer Reaktoren, zumal nach Fukushima vielerorts die Sicherheitsstandards verschärft wurden. Allein für Frankreich rechnet die Aufsichtsbehörde ASN mit Kosten von „mehreren Dutzend Milliarden Euro“ durch notwendige Nachrüstungen. Auch die langfristigen Prognosen für den Uranpreis sind nicht günstig. Bereits ab 2040 wird mit der Erschöpfung der Uranvorkommen gerechnet. Brennmaterial, das auf Grund von Abrüstungsverhandlungen zwischen Russland und den USA in den letzten Jahrzehnten zusätzlich auf den Markt kam und für moderate Preise sorgte, ist mittlerweile aufgebraucht.

Die Kernkraft hat allerdings noch ein anderes Manko. Flexible Bedarfsanpassung – eine Stärke der Gasturbinen – ist bei den Reaktoren nicht ratsam. Häufiges Hoch- und Runterfahren lässt nicht nur die Reaktorwände verspröden, sondern auch die Energieausbeute der Brennstäbe rapide sinken. Welche Auswirkungen diese Unflexibilität haben kann, lässt sich im Extremfall bei Frankreich beobachten. Das Land setzt zu 75 Prozent auf nukleare

Stromerzeugung. In Spitzenlastzeiten reichen die Kapazitäten der 58 Reaktoren nicht aus, so dass Strom importiert werden muss. Bei geringem Stromverbrauch sind die Kapazitäten wiederum überdimensioniert. Nachts wird Frankreich zum Stromexporteur – zu sehr ungünstigen Bedingungen. Branchenexperten gehen davon aus, dass die überwiegend in Staatshand befindliche Électricité de France für vier Kilowatt Strom, die nachts etwa an österreichische Pumpspeicherwerke zur Zwischenspeicherung geliefert werden, lediglich ein Kilowatt bei Bedarfsspitzen zurückerhält.

Unerwarteter Nebeneffekt dieses ungünstigen Tauschhandels: So mancher deutsche Verbraucher, der glaubt, besonders umweltbewusst Strom aus alpiner Wasserkraft zu nutzen, wird de facto mit französischem Atomstrom beliefert. N. Hanert


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