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28.04.12 / Keine Currywurst für alle

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-12 vom 28. April 2012

Moment mal!
Keine Currywurst für alle
von Klaus Rainer Röhl

Wahlkampf in NRW. Jetzt geht es um die Wurst. Alle mobilisieren die letzten Reserven. Die SPD plakatierte den genialen, wenn auch zunächst überraschenden Slogan: „Currywurst ist SPD“. Zwei Jungsozialisten und Politikwissenschaftler aus Tübingen hatten – vermutlich in langen, anstrengenden Abenden – herausgefunden, was die Bürger des bevölkerungsreichsten Bundeslandes am liebsten mögen: Am Abend gemütlich ein Bierchen zischen und Currywurst essen. Die Bierchen sind schon allein zwischen Köln und Düsseldorf strittig, aber die Currywurst würde es sein, sagte ihnen ihr Bauchgefühl. Die beiden Kreativen hatten nun die umwerfende Idee, die SPD dem angepeilten Wähler direkt in die Unterschwelle zu mogeln, das heißt, die Partei mit der von allen geliebten Currywurst fest im Unterbewusstsein zu verschweißen. Wie das jeden Abend im Fernsehen ganz schamlos geschieht, Frauenbeine mit Autoreifen und Becks Bier mit Durst. Es gab einen Wettbewerb. Der Plakatentwurf der beiden Jusos schaffte es. So wurde der ziemlich dümmste Slogan der Saison gedruckt. „Landesmutter“ Hannelore Kraft verriet im nächsten Wahlplakat sogleich, was sie nicht nur im Magen, sondern „im Herzen“ habe. Nämlich, Originalzitat, „NRW im Herzen!“ Currywurst im Bauch und NRW im Herzen.

So einfach ist das. Die anderen Parteien machten sich auch keine sonderliche Mühe mit den Wahlslogans. „Steuern für Millionäre und Kitas für alle“, forderte die Partei „Die Linke“, und der Spitzenkandidat der CDU und Kernkraftgegner der ersten Stunde, Norbert Röttgen, erwartete eigentlich gar nichts als mitmachen zu dürfen bei der CDU. Die Partei „Pro NRW“, eine Erweiterung von „Pro Köln“, von der Presse ignoriert, findet kaum statt. Und die Grünen werben mit dem Slogan „Schön, wenn Frauen wieder den Haushalt machen – Grün macht den Unterschied“ und zeigt ein Bild von der Grünen-Spitzenfrau Sylvia Löhrmann mit Hannelore Kraft. Ein Kommentar ist angesichts des Umstandes, dass Rot-Grün genau am Landeshaushalt gescheitert ist, verlorene Liebesmüh.

Und die FDP? Setzte auf den netten Mann von nebenan, Christian Lindner, der in seinem Parteileben noch nichts falsch gemacht hat. Weil er überhaupt erst aufgefallen ist, als er sich deutlich von Parteichef Philipp Rösler distanzierte. Die Partei, die in dem gleichen Bundesland noch vor zwölf Jahren unter Jürgen Möllemann 9,8 Prozent der Stimmen auf sich vereinigte, hat nun berechtigte Angst, genau einen Strich unter fünf Prozent zu fallen und damit bei der Bundestagswahl endgültig unterzugehen.

Vielleicht entsinnt sich noch einer in dieser Partei an Möllemann und warum er die „Reißleine“ ziehen musste und mit welchem Vorwurf er buchstäblich ausgeknipst wurde: mit dem Vorwurf des Antisemitismus. Thilo Sarrazin und Günter Grass konnten von Glück sagen, dass sie nicht an einem Fallschirm hingen und Freunde hatten, gute Freunde. Möllemann hatte keine. Nachdem die FDP ihren deutschfreundlichen Flügel, immerhin 22 Prozent, der die große Tradition von Erich Mende und Thomas Dehler zu neuem Leben erwecken wollte, erbarmungslos abgetrieben hat – unter der Führung von Guido Westerwelle. Doch wem hat es genützt? Wer wird Westerwelle in zehn Jahren noch kennen?

Das originellste Werbeplakat hängten die „Piraten“ auf: „Für dieses System ist ein update vorhanden!“ „Update“ ist in der Internet-Sprache ein neues, verbessertes Programm. Dass diesen Slogan nur Internet-Nutzer („User“!) verstehen können, nehmen die jungen Leute in Kauf. Sollen sie sich mit Zurückgebliebenen und Schwerfälligen einlassen? 13 Prozent der Wahlberechtigten werden sie vermutlich wählen. Ein Programm haben sie zwar nicht, dafür aber dürfen alle über das Programm mitreden, sprich mit-mailen. Wie in einem „Schwarm“. Einem Heuschrecken-schwarm, einem schwimmenden Schwarm von Fischen oder Schwärmen von Zugvögeln auf dem Zug nach Süden. Sie werden nicht durch ein gewähltes oder durch besondere Eigenschaften ausgezeichnetes Leit-Tier gelenkt, sondern folgen einem noch wenig untersuchten „Schwarmverhalten“, haben angeblich sogar eine Schwarmintelligenz.

Die „Piraten“ sind stolz darauf, wie eine Ansammlung von Kranichen oder Kaulquappen ein Schwarmverhalten zu kultivieren. Alle dürfen alles. „Keine Macht für niemand“, sagen die Anarchisten, und tatsächlich hat das Piratenschiff auch etwas Anarchistisches. Die sogenannten „Märkte“ übrigens auch. Auch sie folgen schwarmartigen Bewegungsabläufen und keinen rationalen Motiven. Das ist der Grund, warum ihre Verteidiger stets nur im anonymen Plural von ihnen sprechen wie von Naturereignissen: „die Märkte“.

Damit das Schwarmleben in der Partei so richtig funktioniert, gibt es bei den „Piraten“ zwei Prinzipien: den Durchblick für alle, die sogenannte Transparenz, und das ständige Mit-Reden aller bei allem. Hier dürfen wir stutzig werden. Denn Mitbestimmung des Publikums versprechen heute alle. Angeblich dürfen wir alles per Mausklick oder Telefon entscheiden. Bei Deutschlands Superstar ebenso wie bei dem gleichzeitig laufenden, arm- und beinbrechenden Wettkrampf „Let’s Dance“ oder Heidi Klums „Germany’s Next Top-Model“. Große Zweifel sind angebracht, ob das Publikum da auch nur irgendetwas entscheidet. Schließlich geht es um viele Millionen.

Doch bei den „Piraten“ entscheidet, wenigstens zurzeit, wirklich der Mausklick. Da schadet es nicht einmal, wenn ein führender „Pirat“ Ansichten vertritt, die eigentlich in Deutschland verboten sind. Einer zum Beispiel hatte im Internet gefunden, dass Polen im August 1939 eine Generalmobilmachung ausgerufen hatte und dass eine Generalmobilmachung völkerrechtlich einer Kriegserklärung gegen Deutschland gleichkam. Au Backe! Der umgehend folgenden Aufforderung, diesen „Piraten“ aus der Partei auszuschließen, entsprach die Mehrheit der „Piraten“ nicht. Ist die Zeit der politischen Korrektheit und der Menschenjagd gegen alle Abweichler vorbei? Leben wir am Rande eines neuen Zeitalters und wohnen der Geburt eines neuen Menschen bei? Oder kochen die auch nur mit Wasser? Fragen wir uns, was Anbieter wie „Facebook“, über die sich der „Schwarm“ organisiert, eigentlich sind. Es sind weltweite Unternehmen mit einer Spürnase für Geld. „Facebook“ ist eine US-amerikanische Firma mit einem Milliarden-Umsatz durch Werbeeinnahmen. Ist die „Facebook“-Generation links? Kann sie es überhaupt sein? Oder haben die Jungen einfach nur gute Laune und keine Angst vor niemand?

Wen also sollten wir wählen? Wählen wir die Currywurst? Oder mit Röttgen die grün angestrichene CDU? Pro NRW? Oder doch, trotz aller Bedenken, noch einmal die FDP? Geben wir ihr die Chance, die Latte vielleicht mit 5,1 Prozent noch einmal zu überspringen und sich dann als deutschfreundliche Partei im Geiste Thomas Dehlers und der Nationalliberalen wieder neu zu erfinden? In den „Piraten“ aber sehen wir junge Leute, die die Unzufriedenheit der ganzen Bevölkerung mit dem alten, verlogenen Parteiensystem artikulieren. Eine neue Ehrlichkeit in der Politik, das wäre zwar noch kein neues Zeitalter, aber schon viel wert. Den Autor erreichen Sie unter klausrainer@gmx.de


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