23.04.2024

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28.04.12 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-12 vom 28. April 2012

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

„warscht läwe, warscht sehne“ – so lautet kurz und knapp eine Weisheit unserer ostpreußischen Altvorderen, und wer sie im Flüchtlingsgepäck mitgenommen hat, ist gut dran. Sie bedeutet nämlich so viel wie „leb’ man ruhig weiter, dann wirst du schon sehen, wie alles kommt“. Mit dieser Redensart bin ich immer ganz gut gefahren, auch in unserer Ostpreußischen Familie, denn damit konnte ich so manchen Ungeduldigen beruhigen, dessen Frage nicht „auffem Plutz“ beantwortet wurde. Man muss eben abwarten können – und dann kommt oft unerwartet die Lösung. So wie jetzt bei der Geschichte über die Fischer von Alt Passarge, die Rudolf Kinau geschrieben hat und nach der wir in Folge 4 fragten. Anscheinend konnte sie niemand einordnen, aber jetzt hat unser Leser Winfried Wölk aus Dortmund sie gefunden. „Hör mal’n beten to“ – diese Radiosendung mit dem plattdeutschen Dichter aus dem früheren NWDR, die Herr Wölk noch gut im Gedächtnis hatte, änderte er um in „Sieh mal genau hin!“ – und wurde fündig. Denn im „Heimatblatt des Kreises Heiligenbeil“, Folge 26 vom April 1981, entdeckte er folgenden Eintrag: „So kam Alt Passarge auch in die Literatur, als Rudolf Kinau einen Besuch in dem Dorf gemacht hatte und darüber in der lustigen Geschichte ,Bescheed geben‘ berichtete, die sein Buch ,Sünnschien un gooden Wind‘ enthält.“

Nun wissen wir also, in welchem Buch die Geschichte von den Alt Passarger Fischern, die an die Nordseeküste gezogen waren, enthalten ist. Vielen Dank, Herr Wölk, das habe ich also gern „jesehne“ und mich sehr gefreut. Neu verlegt ist das Buch nicht, aber es ist in mehreren Bibliothekskatalogen verzeichnet. Auch im Internet wird es als gebraucht bei ebay.de und amazon.de angeboten. Verlegt wurde es beim Quickborn-Verlag, Hamburg. Diesen von Herrn Wölk gegebenen Hinweis reiche ich gerne weiter, denn er könnte auch für andere Kinau-Bücher gelten, nach denen gefragt wurde, als mein Artikel über den Dichter in Folge 4 erschienen war. Dass man als platt sprechende Ostpreußin dem Finkenwerder Dichter mühelos folgen konnte, beweist auch Frau Gisela Hannig, Tochter des letzten Bürgermeisters von Balga. Sie, die kürzlich mit ihrem Ehemann Norbert Hannig die Eiserne Hochzeit feiern konnte – dazu unseren herzlichen Glückwunsch, wenn er auch ein bisschen nachzagelt –, lebt heute am Bodensee. Zu Rudolf Kinau schreibt sie: „Als wir 1946 nur mit einem Rucksack mit dem Nötigsten in Rendsburg ankamen, hat er mir wirklich mit der morgendlichen Sendung ,Fief Minuten Sünnschien oppen Weg‘ gut über den Tag geholfen.“

Auch Frau Ilsegret Böhm aus Hamburg liebt die Bücher des niederdeutschen Dichters, vor allem sein hochdeutsches „Kamerad und Kameradin“, das Frau Böhm in den letzten Kriegswirren verloren hatte. Deshalb schrieb sie 1947 Rudl Kinau direkt an – leider erreichte der Brief den Empfänger erst auf Umwegen –, der sie bat, „auf anderen Wind“ zu warten. Zwei Jahre später hielt sie dieses Buch in einer etwas veränderten Ausgabe wieder in den Händen und besitzt und liebt es noch heute.

Eine große Freude hat mir der Landsmann und Autor des großen Memelland-Buches „Wo liegt Coadjuthen?“ Günther Uschtrin gemacht. Er besuchte mit seiner Hollenstedter Wandergruppe das Heimatmuseum am Finkenwerder Neßdeich und berichtete dem führenden Heimatkundler von meinem Artikel in der PAZ/Das Ostpreußenblatt. Herr Uschtrin meinte, dass die PAZ die einzige Zeitung gewesen sei, die den 125. Geburtstag Rudolf Kinaus zum Anlass genommen habe, die Verdienste des Finkenwerder Dichters um die niederdeutsche Sprache zu würdigen. Herr Marquart von der Heimatvereinigung Finkenwerder e.V. zeigte sich sehr interessiert und bekam von Herrn Uschtrin zwei Exemplare unserer Zeitung zur Kenntnisnahme und Archivierung.

Die Seminare im Ostheim gehören zu meinen intensivsten Begegnungen mit Landsleuten und wirken sich auch fruchtbar auf unsere Familienarbeit aus. Viele Verbindungen sind geblieben oder wirken noch nach, auch dann, wenn das Alter seinen Tribut fordert. Nun bekam ich kürzlich die Nachricht, dass eine Ostpreußin, die unsere Seminare schon in ihren Anfängen musikalisch bereichert hat, in sehr hohem Alter verstorben ist. Die Nichte der Pianistin Ellinor Reck teilte mir mit, dass ihre Tante am 18. März im Alter von 98 Jahren friedlich eingeschlafen sei. Frau Gabriela Karla, Berlin, fand in ihrem Nachlass einen im Ostpreußenblatt erschienenen Bericht über das „Ännchen von Tharau“-Seminar im Jahr 1998, das Frau Reck am Klavier wesentlich mitgestaltete. So wusste die Nichte, dass ich eine Verbindung zu ihrer Tante gehabt hatte, und schrieb mir deshalb ausführlich über die Verstorbene, und ich möchte diese Worte an unsere Leserinnen und Leser weitergeben:

„Meine Tante Ellinor Reck war die letzte und die am ältesten gewordene Schwester meines Vaters Ernst Kohrer, †1986, es waren insgesamt sechs Kinder aus Gerdauen, Altendorf-Abbau. Als echte Ostpreußin wurde sie am 22. März mit dem Lied ,Ännchen von Tharau‘ verabschiedet. Ich habe dieses Lied sehr oft mit ihr am Telefon gesungen, Musik war ihr Leben. Ich habe meine Tante in den letzten zwölf Jahren begleitet bei vielen Besuchen im ,betreuten Wohnen‘ und zuletzt im Astor-Stift in Walldorf. Ostpreußen und Musik – diese Themen waren für sie immer gegenwärtig, und ich habe viel von ihr erfahren.“

Ja, Ellinor Reck und das Ännchen von Tharau. Es war ihr Lieblingslied, und deshalb war sie glücklich, dass sie ausgerechnet das Seminar, das dem Leben der Anna Neander, dem „Ännchen“ galt, musikalisch gestalten durfte. Und ein Höhepunkt war für sie – wie auch für mich –, dass der letzte Nachfahre der in erster Ehe mit dem Pfarrer Johann Portatius verheirateten Pfarrerstochter Anna Neander aus Tharau an dem Seminar teilnahm, auch bereits ein älterer Herr. Geschichte wurde wieder zum Greifen lebendig. Und wie der Zufall so spielt: Kurz bevor ich jetzt den Brief von Frau Karla erhielt, übergab mir Frau Anita Motzkus ein Foto, das sie damals auf dem Seminar gemacht hatte. Ich wusste nicht, dass ich es so schnell aus aktuellem Anlass hier veröffentlichen würde, im Gedenken an eine leidenschaftliche Interpretin ostpreußischen Kulturgutes auf musikalischem Gebiet, für Ellinor Reck aus Gerdauen.

Wechseln wir zur Literatur. Da kann uns Herr Dr. phil. Martin A. Völker, Berlin, einen schönen Erfolg melden. Im vergangenen Ok­tober unterstützten wir ihn bei seiner Recherche nach dem ostpreußischen Schriftsteller Axel Lübbe, über den es kaum brauchbare Unterlagen gibt. Die Suche nach Informationen hat Erfolg gebracht und nun liegt eine erste Frucht von Dr. Völkers Bemühungen, Licht in das Dunkel der Vita von Axel Lübbe zu bringen, gedruckt und gebunden vor. Es handelt sich um die Novelle „Hugo von Brandenburg“, die 1927 im ersten Heft der „Neuen Rundschau“ erschien. Dr. Völker bringt sie im Originaltext in dem von ihm herausgegebenen Heft mit anschließenden historischen Ergänzungen. Außerdem enthält das schmale Büchlein ein Lebensbild des Schriftstellers, der 1888 als Sohn eines ostpreußischen Gutsbesitzers in Littfinken bei Neidenburg geboren wurde. Er wurde auf Wunsch seiner Mutter Offizier, erkrankte aber an Tuberkulose, nahm trotzdem am Ersten Weltkrieg teil, nach dessen Ende er sich in Freiburg niederließ. Er wurde Schriftsteller und gehörte ob seiner Vielseitigkeit – er war Lyriker, Epiker, Romancier, Dramatiker, übersetzte Werke der Weltliteratur – bald zu den aufstrebenden Autoren Deutschlands, stand mit Gerhard Hauptmann und Artur Schnitzler in Verbindung. Axel Lübbe erhielt 1933 Schreibverbot, da er mit einer Jüdin verheiratet war. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte er nicht mehr an seine abgebrochenen Erfolge anknüpfen und verstarb unbeachtet 1965 in Schöneiche bei Berlin. Dr. Völker füllt mit diesem modern gestalteten Büchlein eine Lücke aus, die im ostdeutschen Kulturschaffen klaffte. Es liegt in nummerierten Exemplaren beim Verfasser vor.

Und Dr. Völker will weiter auf diesem Weg gehen, auf dem er vergessene ostpreußische Autoren wieder einer größeren Öffentlichkeit zugänglich machen möchte. So bittet er uns erneut, ihn bei seiner Recherche zu unterstützen, was beim nächsten Fall noch mehr Erfolg verspricht. Denn es handelt sich um die Königsberger Schriftstellerin Katarina Bot­sky, die er heute völlig vergessen glaubt. Das stimmt so nicht, denn ihre Geschichte „Laura oder der Markt zu Wehlau“ gehört zu den bekanntesten Erzählungen ostpreußischer Autoren. Die drastisch geschilderte Geschichte von dem armen Trödler, dem seine geliebte Kobbel Laura gestohlen wird, die er dann aufgrund einer dubiösen Weissagung auf dem Pferdemarkt in Wehlau wiederfindet, zählte bereits in den 20er Jahren mit zu der am meisten gedruckten Kurzprosa und tauchte auch nach dem Krieg in vielen Anthologien, Jahrbüchern und Heimatheften auf. Von den weiteren Werken der Schriftstellerin sind die Romane „Der Trinker“, „Sommer und Herbst“ und „Der Traum“ zu nennen, dazu der Erzählband „Schafe auf dunklen Weiden“. Ich kannte Katharina Botsky gut, denn sie war Mitglied unserer Schriftstellerrunde, die sich monatlich im „Blutgericht“ im Königsberger Schloss zu Sachgesprächen und Lesungen traf, hatte aber keinen persönlichen Kontakt zu der so viel älteren Kollegin. Sie war weit über Ostpreußen bekannt – vor allem durch ihre Mitarbeit beim Münchner „Simplicissimus“ – und literarisch hoch geachtet. Der Literaturkritiker Ludwig Goldstein hatte ihr schon früh eine besondere Begabung bestätigt: „Katharina Botsky, eine ganz neue Erscheinung, ist unser erstes weibliches Kraft- und Originalgenie“ – was man beim Lesen ihrer „Laura“ auch bestätigt findet. Dass ihr Name ein Pseudonym war, blieb weitgehend unbekannt. Sie wurde 1879 als Käte Botzke auf dem „Alten Garten“ geboren und lebte auch dort wahrscheinlich bis zur Vertreibung. Zwar meint Herr Dr. Völker, dass sie 1945 gestorben und erst 20 Jahre später für tot erklärt worden sei, aber das Lexikon der Stadt Königsberg nennt Neuss als ihren Sterbeort und als ihr Todesjahr 1964. Ich konnte also Herrn Dr. Völker bereits einige Informationen vermitteln, aber mit Sicherheit wissen unsere Leserinnen und Leser mehr über diese Schriftstellerin aus Königsberg, über ihr Leben, ihr Werk, ihr Schicksal. (Dr. phil. Martin A. Völker, Donaustraße 86 in 12043 Berlin, Telefon 030/61308390, E-Mail: drm.voelker@web.de)

Die Ostpreußische Familie hat dazu beigetragen, dass der Heimatraum in der Siegener BdV-Einrichtung mit ostpreußischer Literatur und Andenken so gut be­stückt wurde, dass auch einige im südlichen Ostpreußen verbliebene Familien bedacht werden konnten. Um diese gelungene Aktion fortführen zu können, bittet die Kreisgruppe Siegerland um weitere Spenden von Heimatbüchern und -schriften, die auch beim Heimattreffen am 6. Mai im westfälischen Werl am Infostand der Ermlandfamilie abgegeben werden können. Postalisch sind Sendungen zu richten an Herrn Anton Olbrich, Seitenweg 4 in 57250 Netphen.

Eure Ruth Geede


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