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28.04.12 / Nur Bruchstücke von Erinnerungen blieben / Auf der Suche nach einer Ostpreußin aus dem Kreis Labiau

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-12 vom 28. April 2012

Nur Bruchstücke von Erinnerungen blieben
Auf der Suche nach einer Ostpreußin aus dem Kreis Labiau

Vor einigen Wochen wandte sich ein süddeutscher Journalist an uns mit der Bitte, doch die Erinnerungen einer älteren Ostpreußin zu veröffentlichen, die sie ihm vor einigen Jahren übermittelt hatte. Beim ersten Durchsehen stellte ich fest, dass es Bruchstücke aus einem ungeordneten Erinnerungsschatz waren, die der Journalist aufgezeichnet hatte und die sich einfach nicht einordnen ließen, ja, die sogar voller Widersprüche waren. Als ich jetzt das Manu­skript noch einmal in die Hand nahm und den kurzen Begleitbrief las, stellte ich fest, dass mit der Übersendung noch ein Wunsch verbunden war. Der Journalist Peter Benz aus Reichenbach hatte den Kontakt zu der Informantin verloren und bat uns, ihm zu helfen, diese Frau wieder zu finden. Aber nun suche einmal in unserem Leserkreis eine Frau Schulz aus dem Kreis Labiau – mehr ist nämlich nicht bekannt. Es gibt keine Daten, keine Namen, kaum markante Anhaltspunkte. Trotzdem wollen wir es versuchen, indem wir einige Stellen aus den Aufzeichnungen herausgreifen, an denen Frau Schulz – falls sie diese Zeilen liest – erkennen kann, dass sie zu ihren Erinnerungen gehören. Denn in Gedanken ist diese vom Leben gezeichnete Frau immer noch in ihrer Heimat am Kurischen Haff – wie Peter Benz meint, den anscheinend das Schicksal der heute 80-Jährigen sehr berührt.

Was sind die Fixpunkte, an denen sich die Erinnerung von Frau Schulz festhält? Sie muss in einem der Haffdörfer des Kreises Labiau geboren und aufgewachsen sein, denn sie war als Kind oft allein am Strand. Sie erinnert sich an das klare Haffwasser und dass man weit hineingehen konnte. Im Frühjahr spielten die Kinder gerne auf den überschwemmten Wiesen, das Wort „Schacktarp“ gebraucht sie nicht. In Erinnerung geblieben sind die heißen Sommer – und die Angst vor den Gewittern, die in der Haffgegend besonders schwer waren. Oft schlug der Blitz in die Wohnhäuser oder Ställe. Wenn ein Gewitter heraufzog, weckten die Mütter ihre Kinder, die sich anziehen mussten. Die Betten wurden gebündelt und mit ins Freie genommen. So war das, meint Frau Schulz, die auf einem Gehöft aufwuchs, das noch keinen Strom hatte. Der Schein der Petroleumlampe erhellte die frühen Winterabende. Ach ja, die Winter, sie waren lang und kalt, aber schneereich. Frau Scholz erinnert sich, dass sie mit Pferdeschlitten auf dem zugefrorenen Großen Friedrichsgraben gefahren sind. Das ist eine der wenigen Ortsangaben, an denen man ungefähr die Lage ihres Heimatdorfes bestimmen könnte: Am dichtesten kommen Haff und Großer Friedrichsgraben bei Heidendorf, Juwendt und Ludendorf zusammen, aber auch Agilla/Haffwerder und Nemonien/Elchwerder kämen in Frage. In einem dieser Dörfer dürfte Frau Schulz ihre frühe Kinderzeit verbracht haben.

Als sie sieben Jahre alt war, zog die Familie näher an die Stadt. Das Haff war noch nah, aber die Wohnung befand sich auf der anderen Seite des Flusses (Deime?). Nach dem Umzug kaufte sich die Familie einen Kahn, denn nur damit gelangte man zum Kaufmann oder zur Schule. Im Winter durchbrach ein Eisbrecher den zugefrorenen Fluss. Im Sommer kamen große Kähne und belieferten die Bevölkerung mit frischem Gemüse. Sie kamen aus Heidekrug oder noch weiter entfernten Orten. – Stopp, da stimmt etwas nicht. Heidekrug ist schon zu weit entfernt, und der Kreis Labiau besaß selber mit dem Großen Moosbruch eines der größten und fruchtbarsten Gemüseanbaugebiete. Wahrscheinlich handelte es ich um die Kähne der Gemüsebauern, die über die Deime und den Pregel nach Königsberg fuhren. Von ihnen könnte die Mutter von Frau Schulz Gemüse gekauft haben.

Alles in allem war es eine herrliche Kinderzeit, wie Herr Benz vernahm. „Als Kinder durften wir auf einem Bauernhof mit reichem Viehbestand herumtoben, lachen und schreien, niemand schimpfte mit uns“, sagt Frau Schulz. Auch der Tod gehörte zum Leben. Sie erinnert sich an den Wachabend, an dem stundenlang Lieder gesungen wurden. Um Mitternacht gab es den Leichenschmaus. Besonders ist ihr ein Begräbnis in Erinnerung geblieben, bei dem ein junges Mädchen im Brautschmuck im offenen Sarg lag.

Dann aber drohte der Tod auch ihrer Familie. 13 Jahre war Frau Schulz alt, als im Januar 1945 der Russe vor der Türe stand und die Flucht begann, die bereits in Labiau zu enden drohte. Fünf Tage lagen die Flüchtenden bei eisiger Kälte auf dem Bahnhof, bis sie auf einem Güterzug endlich fortkamen. Die Familie schlug sich durch bis ins pommersche Belgard. Fotos oder Andenken an ihre Heimat besitzt Frau Schulz nicht, die Familie hat nichts retten können. So bleiben ihr die Erinnerungen, von denen einige hier aufgezeichnet sind. Vielleicht helfen sie mit, Frau Schulz zu finden und ihr dann die Verbindung zu Heimatgefährten zu vermitteln. (Peter Benz, Albert-Schweitzer-Straße 10 in 08468 Reichenbach, Telefon 03765/63547, Fax 03222/3741928, E-Mail: klauspeterb@t-online.de) R.G.


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