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28.04.12 / Untergang in Sicht / Siegfried Lenz und das Meer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-12 vom 28. April 2012

Untergang in Sicht
Siegfried Lenz und das Meer

Im Werk von Siegfried Lenz haben das Wasser und wassernahe Schauplätze eine besondere Bedeutung. Oftmals hat der 1926 im masurischen Lyck geborene und seit Jahrzehnten in Hamburg lebende Schriftsteller Menschen in den Mittelpunkt seiner Erzählungen gestellt, die in den norddeutschen Küstengegenden, am Elbstrom und in den Hafenstädten zu Hause sind. Eine Auswahl von 22 dieser Erzählungen aus den Jahren 1952 bis 1982 ist als dtv-Taschenbuch in einem Sammelband mit dem Titel „Küste im Fernglas“ erneut veröffentlicht worden.

Obwohl Lenz wiederum durchweg seiner üblichen Vorgehensweise folgte, weder gesellschaftliche Trends zu betonen noch politische Debatten einfließen zu lassen (was man ihm vielfach zum Vorwurf gemacht hat), steckt in diesen geradlinig erzählten Geschichten, bei denen zwischen den Zeilen wenig zu erforschen ist, durchaus viel Zeitgebundenes. Seine Protagonisten werden nicht vorgestellt, sondern der Autor folgt ihnen eine Zeitlang als kühler, distanzierter Beobachter und lässt sie in ihrer kargen Sprache zu Wort kommen; manchmal ist er selbst mit von der Partie. Diese Kellner, Fischer, Zöllner, Fahrensleute ebenso wie ihre Töchter und Söhne sind eher unauffällige Menschen, so dass die spätere Entwicklung des Geschehens mitunter umso überraschender ist und teilweise Bestürzung hervorruft. Anfang der 1950er Jahre war Normalität in den bundesdeutschen Alltag eingekehrt; jedermann strebte nach oben. Noch waren die Kriegserinnerungen präsent und beeinflussten das Leben vieler. 1982, 30 Jahre Bunderepublik später, war manches, aber bei weitem nicht alles anders geworden. „Leistungsgesellschaft“ war ein gängiges Schlagwort. Vor diesem Hintergrund werden die sich entfaltenden Ereignisse mitunter verständlicher. Einige der packendsten Erzählungen sind inszeniert wie ein Kammerspiel, unaufhaltsam steuern sie auf das schon vorab gefühlte dramatische Ende zu. In „Der Beweis“ wird ein alter Schiffer gegen Ende seiner Fahrenszeit aufgrund einer plötzlichen Erkenntnis völlig enthemmt. Er lässt seinen Frachtkahn auf einer Sandbank zerschellen und riskiert damit das Leben seines Leichtmatrosen und sein eigenes. Überhaupt zeichnet sich eine Reihe der Protagonisten durch ein ziemlich unsympathisches Naturell aus.

Einige Erzählungen sind andersartig strukturiert, so eine der bekanntesten von Lenz überhaupt: „Einstein überquert die Elbe bei Hamburg“ ist eine in drei endlosen Sätzen wiedergegebene Momentaufnahme auf einer Hamburger Hafenfähre. Inwiefern diese Erzählungen über sich selbst hinausweisen, darüber mögen andere urteilen. Also geben wir uns zufrieden und widmen uns mit Behagen der, wie Verleger Helmut Frielinghaus es so treffend formuliert hat, „eindringlichen, bedächtigen und zugleich mitreißenden Erzählweise“ von Siegfried Lenz. Dagmar Jestrzemski

Siegfried Lenz: „Küste im Fernglas“, dtv, München 2012, broschiert, 319 Seiten, 9,90 Euro


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