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12.05.12 / Um Helle wird es dunkel / Dänemark: Selbst die eigene Partei fremdelt mit der sozialdemokratischen Regierungschefin

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-12 vom 12. Mai 2012

Um Helle wird es dunkel
Dänemark: Selbst die eigene Partei fremdelt mit der sozialdemokratischen Regierungschefin

Ein Erdrutschsieg war es nicht, den Helle Thorning-Schmidt im September vergangenen Jahres einfuhr. Im Gegenteil – es war das schlechteste Wahlergebnis der dänischen Sozialdemokraten (S) in der Geschichte der Partei. Staatsministerin, sprich Regierungschefin, wurde sie trotzdem, weil es ihr gelang, mit der SF (Sozialistische Volkspartei) und dem R (der linksliberalen „Radikale Venstre“) eine Koalition zu schmieden. Ein halbes Jahr später steht die einstige Hoffnungsträgerin vor einem Scherbenhaufen.

Minderheitsregierungen sind in Dänemark eher die Regel als die Ausnahme. Aber ein starker Staatsminister kann vieles durchsetzen. Hier genau beginnt das Problem von Helle Thorning-Schmidt. Schon ihr Spitzname „Gucci-Helle“ verrät, dass selbst die eigene Partei seit Jahren mit ihr fremdelt. Das beginnt bei ihrer wenig sozialdemokratischen Vorliebe für luxuriöse Modemarken und endet bei der Tatsache, dass ihr Schwiegervater ein englischer Lord, Neil Kinnock, ist.

Einfacher wird die Sache nicht dadurch, dass ihr schon in den eigenen Reihen in der charismatischen Mette Fredriksen eine ernstzunehmende Gegnerin sozialdemokratischerer Couleur erwachsen ist. Hinter vorgehaltener Hand wird schon von „Königinnenmord“ gesprochen. Augenscheinlich nimmt man die Sache so ernst, dass Anker Jørgensen, der große alte Mann der dänischen Sozialdemokratie, Thorning-Schmidt in seine Seniorenwohnung in seinem Pflegeheim im alten Arbeiterviertel von Kopenhagen zum Geheimgespräch bat.

Auch mit ihren Koalitionspartnern hat Thorning-Schmidt es nicht leicht. Da steht auf der einen Seite die durchsetzungsstarke Margarethe Vestager, Parteivorsitzende der Linksliberalen, und auf der anderen Partei-Urgstein Villy Søvndal von der SF, die beide Thorning-Schmidts Schwäche auszunutzen wissen.

Den wohl größten Fehler machte die neue Staatsministerin, als sie eine Ministerriege berief, die die Bevölkerung sogleich spöttisch „Helles Kinderkabinett“ taufte. Umstrittenste Neubesetzung mitten in Europas schlimmster Währungskrise: Finanzminister Thor Möger Pedersen von der SF, ein 26-Jähriger mit Abitur, aber ohne Ausbildung, dafür aber großen Plänen. Unter seiner Ägide wurde nicht nur die sogenannte Fettsteuer eingeführt (alle Lebensmittel, die Fett oder Zucker enthalten, werden höher besteuert), sondern auch die Abgaben für Bier und Wein erhöht sowie die Grundsteuer für Hausbesitzer saftig heraufgesetzt. Ein Aufschrei der Empörung ging durch das krisengebeutelte Land. Und der ohnehin florierende Grenzhandel mit Deutschland und Schweden verdreifachte sich innerhalb weniger Monate.

Die dänische Zeitung „Børsen“ berichtete im Dezember 2011, dass der Umsatz im Grenzhandel mittlerweile auf 1,6 Milliarden Euro gestiegen sei. Eine Vorlage, die sich die Opposition nicht entgehen ließ: So kommentierte Folketing-Sprecherin Ellen Trane Nørby von der liberal-konservativen „Venstre“ von Thorning-Schmidts Amtsvorgänger Lars Lökke Rasmussen die Folgen für die dänische Wirtschaft so: „50 Geschäfte südlich der Grenze verkaufen jetzt genau so viel Bier und Wein wie 1200 Geschäfte in Dänemark. Es ist an der Zeit, dass Vestager, Thorning und der Rest der Regierung den stets zunehmenden Grenzhandel ernst nehmen und einsehen, dass ihre Steuer- und Abgabenerhöhungen schädlich für Wachstum und Beschäftigung in Dänemark sind.“ Ein klassisches Eigentor also, das die Regierung nicht nur Geld, sondern auch Popularität kostete und mittlerweile 10000 Dänen ihren Arbeitsplatz.

Nach den berühmten ersten 100 Tagen fiel die Bilanz der neuen Regierung in den Augen der Bevölkerung vernichtend aus. Der schwerwiegendste Vorwurf: Der Bruch von Wahlversprechen wie 13,5 Millionen Euro mehr für die dänische Kulturpolitik, Rechtssicherheit bei Sozialbetrug, Verminderung der Anzahl von Obdachlosen, mehr Mieterschutz für kinderreiche Familien, höchstens 30 Minuten Wartezeit in den ärztlichen Notaufnahmen. Hehre Ziele, mit bislang wenig oder gar keinem Erfolg. Die Reaktion der Dänen ist entsprechend. „Sie kam, sie sah – und sie zog uns über den Tisch“, titelte Thomas Larsen, Kommentator der angesehenen „Berlinske Tidende“ und fuhr fort: „Die Regierung liegt wie ein Schiff in der Flaute – vor allem wegen des Vorwurfs gebrochener Versprechen.“

Ein Vorwurf, der die Staatsministerin, riefe sie heute Neuwahlen aus, wohl ihre Position kosten würde. Eine Ende April durchgeführte Umfrage der „Berlinske Tidende“ ergab, dass 86 Prozent der sozialdemokratischen Kernwählerschaft heute „Venstre“ wählen würde. Die Wähler, die Thorning-Schmidt ihrem Vorgänger wegen dessen enger Zusammenarbeit mit der rechten „Dansk Folkeparti“ abgenommen hatte, hat sie längst wieder verloren.

Und ausgerechnet der EU-Vorsitz Dänemarks unter Thorning-Schmidt, die, anders als viele ihrer Landsleute eine glühende Anhängerin der EU ist, schadet dem Ansehen der Staatsministerin im eigenen Land noch mehr. Die aktuelle Währungskrise und die wieder aufflackernde Diskussion über eine Lockerung des Schengener Abkommens halten Thorning-Schmidt rund um die Uhr beschäftigt und geben ihren Gegenspielern an der heimischen Front somit umso mehr Zeit, die eigenen Positionen zu stärken.

In ihrer traditionellen Ansprache zum 1. Mai rief Thorning-Schmidt die Dänen dazu auf, den Gürtel enger zu schnallen und mehr zu arbeiten. Dazu sind diese auch gern bereit, aber ob sie das unter der Regierung Thorning-Schmidt tun möchten, wird die Zukunft zeigen. Jutta Nehring


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