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12.05.12 / Ein geopolitisches Spiel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-12 vom 12. Mai 2012

Ein geopolitisches Spiel
von Christian Rudolf

Die in der Haft erkrankte ukrainische Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko wird sich nach offiziellen Angaben auf Anraten deutscher Ärzte nun doch in ihrer Heimat behandeln lassen. Übrigens so, wie es das ukrainische Gesetz für Strafgefangene vorsieht. Ihre Bedingung sei die Anwesenheit eines Facharztes der Berliner Charité. Möglicherweise ein Kompromiss, der Kiew ermöglicht, das Gesicht zu wahren. Damit aber genug von Timoschenko, deren Schicksal kurz vor Beginn der Fußballspiele ohnehin nur den Vorwand für ein viel größeres geopolitisches Spiel abgibt.

Vor dem Hintergrund der dramatischen Appelle einiger westeuropäischer Spitzenpolitiker, den ukrainischen Teil der EM politisch wie sportlich ganz abzublasen, sollten wir die Emotionen im Zaum und den Ball flach halten und nüchtern analysieren. In der Politik wird die menschenrechtliche Karte immer dann gezogen und mit ihrem Stich gedroht, wenn es in übergeordnete strategisch-wirtschaftliche Interessen passt, und wo das nicht der Fall ist, verbleibt sie hübsch auf der Hand. Oder beharren die Regierungen der EU-Staaten bei wirtschaftlichen Riesen, wichtigen Absatzmärkten oder Erdölländern ebenso auf der Einhaltung menschenrechtlicher Standards wie jetzt, medial orchestriert, bei der Ukraine? Ist etwa ein westlicher Boykott der olympischen Winterspiele im russischen Sotschi im Gespräch? Wo es um die Freiheit der Presse bei weitem schlechter steht, die Wahlen weit undurchsichtiger ablaufen als zwischen Lemberg und Donezk?

Nein, der Protest gegen die angebliche Misshandlung Timoschenkos in der Strafkolonie hat einen doppelten Boden, und das ungeschickt wirkende Vorgehen Janukowitschs in der Affaire wird von den Politikern der EU ausgenutzt, welche die Ukraine ohnehin nicht im westlichen Bündnis haben wollen, weil sie es sich mit Moskau nicht verderben wollen. Aus dem Assoziierungsabkommen mit Brüssel wird erst einmal nichts werden, und das kommt nicht ungelegen, allen in die Kameras geweinten Krokodilstränen zum Trotz: Zum einen stellt das arme Land im Osten bei der derzeitigen Euro-Schuldenkrise keinen begehrten Partner dar, zum anderen hat das Interesse an einem guten Einvernehmen mit Russland in Europa ein erdrückendes Gewicht. Mos­kau wiederum will um jeden Preis verhindern, dass die Ukraine ins westliche Lager wechselt, und verfolgt gänzlich andere Pläne mit dem riesigen Flächenstaat, ohne den eine eigene neue Weltmachtposition nicht machbar ist. Ein erster Schritt dazu ist deren Aufnahme in die Zollunion mit Kasachstan und Weißrussland, in der Zukunft die avisierte Eurasische Union. Putin kann das Getöse um einen EM-Boykott nur recht sein. Derweil verhält sich Kiew so, als ob es nicht verstünde, um was gespielt wird: die eigene Unabhängigkeit.


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