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12.05.12 / Die Nation ist kein Gespenst

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-12 vom 12. Mai 2012

Moment mal!
Die Nation ist kein Gespenst
von Klaus Rainer Röhl

Wenn man Schweizer und vom Jahrgang 1951, in Ehren ergraut, mit Glück und zielbewusst Redakteur der „Frankfurter Allgemeinen“ (FAZ) geworden und trotz aller Verlockungen und Intrigen immer noch dabei ist und hohes Ansehen bei Kollegen und Konkurrenten genießt und Jürg Altwegg heißt, fühlt man sich gerne ein bisschen abgehoben über die aktuelle Tagespolitik wie beispielsweise die französischen Präsidentschaftswahlen. Wozu die Aufregung, dabei ist doch alles klar, besonders für den Frankreich-Kenner: „Es geht um Nation gegen Revolution. Und es spuken allenthalben die maroden Geister antiquarischer Art (herum)“, titelt der Vorspann. Moment mal! Da spuken ja zwei Behauptungen gleichzeitig herum und warten darauf, dass wir sie unbesehen übernehmen: die Nation und die Revolution: Beides Gespenster aus der Vergangenheit? Hört sich gut an. Stimmt bloß nicht. Die Revolution hat ihr größter Bewunderer und Fortschreiber Karl Marx ja selbst als Gespenst benannt: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus“. So beginnt das Kommunistische Manifest. Aber die Nation – auch ein Gespenst? Da hat einer zu früh auf Klassenfahrten und Bildungsreisen die große Welt beschnuppert und alles andere vergessen und alle Menschen umarmt. Diesen Kuss der ganzen Welt! Und der Schweizer Intelektuelle erwartet, dass alle anderen Völker auch vergessen haben, woher sie kommen und wohin sie gehen wollen.

Wir sind in Athen, in einem Viertel, wo gewöhnliche Leute wohnen, Arbeiter, Angestellte, Selbstständige, Studenten, es sind viele der 20 Prozent Arbeitslosen unter ihnen. Wie sagt der Dichter: „Das Elend der Welt ist stärker als angenommen – und köstlicher der Wind“. An diesem Vollmondabend vor der Wahl, bei noch 27 Grad Wärme, sitzen sie auf ihren Balkons, Musik fließt leise durch die Luft, Schlagermusik, Rap und Beethoven aus irgendeinem der Fernseh­apparate, viele Kinder und noch mehr Omas, die die Kinder betüdeln, nach südlicher Art auch noch den Achtjährigen füttern und der zwölfjährigen die Haare kämmen. Bestimmt ist man enger zusammengerückt in den Familien, versucht die Rentenkürzungen und die Lohnsenkungen so gut wie möglich aus zugleichen, schimpft auf die Politiker, die, wenn wir das richtig verstanden haben, alle Verbrecher sind. Aber morgen, am 6. Mai, werden sie alle wählen gehen und dabei auch die großen Parteien wählen, die für Europa und für die Reformen sind, von denen sie insgeheim hoffen, dass sie für sie nicht so schlimm ausfallen, oder, wie ein Taxifahrer gerade über Samaras, den Chef der Konservativen urteilte: „Ich kann den Typ nicht leiden, aber ich habe drei Kinder, an die muss ich denken“.

Auf den Versammlungen der Nea Dimokratia ertrinkt der ganze Platz in einem Meer von blau-weißen griechischen Fahnen, und gegen dieses Meer von Blau-Weiß steht an diesem Abend der linke Traum von einer Volksfront auf, Gespenster?

Selbst die orthodoxe Kommunistische Partei, die Kappa Kappa Epsilon, die die Plätze mit roten Fahnen füllte und nun wirklich raus will aus dem Euro und rein in die Drachme, führt stets ein paar Nationalfahnen mit in der roten Flut und erreichte stabile 8,46 Prozent. Auch die lieben ihr Land. Grüne Fahnen und Plakate – grün wie die Hoffnung – tragen die Sozialdemokraten, die Pasok, vor sich her, aber mindestens jede zehnte Fahne war auch bei denen blau-weiß. Die blau-weißen Nationalfarben zeigen auch die Rechtsradikalen von der „Goldenen Morgendämmerung“. Sie waren präsent in den völlig heruntergekommenen Vierteln von Athen, wo nur noch 20 Prozent Griechen wohnen, und haben Punkte gesammelt. Den meisten Zulauf, und das ist die Sensation, haben die unabhängigen Kommunisten, die Sammlungs-Bewegung „Sirisa“ mit der Regenbogenfahne und ihrer Ablehnung der mit den europäischen Partnern abgesprochenen Reformmaßnahmen gehabt. Mit 16 Prozent wurden sie die zweitstärkste Partei, und das könnte Volksfront bedeuten, aber natürlich gibt es keine Volksfront mit den orthodoxen Kommunisten und gegen den Euro. Drei Wahlen in Europa, von Paris bis an die Kieler Förde – und die deutsche Kanzlerin? Ihr droht Ungemach. Sie wird natürlich sagen, dass sie mit allen gerechnet habe und dass es mit Europa gut weitergehen werde. Auch ohne das Anwerfen der Notenpresse und Kredite auf die Zukunft. Das nächste Treffen mit Hollande, dem neuen französischen Präsidenten, kommt bestimmt, aber ebenso bestimmt wird es sehr schwierig, denn diesmal geht es nicht um Bürgschaften, sondern um Geld. Um Bargeld. Aber wie soll das gehen?

Immer, wenn Angela Merkel sich Sorgen macht um „unser Land“, meint sie damit nicht etwa Deutschland, sondern tatsächlich meint sie Europa. Europa unter deutscher Führung. Das trauen ihr die Gegner des Fiskalpakts ohne Weiteres zu und malen schon heute den Teufel an die Wand. Ich glaube nicht, dass Merkel so weit in die Zukunft denkt, ich glaube eher, sie meint sich selber: Mein Europa: Merkel-Land. Und da wird sie die Nachrichten der letzten Tage nicht gern hören: Linkstrend in Frankreich, Linkstrend in Griechenland und sicher auch bald in Spanien und Italien.

Aber als Gegenbewegung rückt Europa langsam, aber immer sicherer nach rechts. Es gibt allmählich fast überall eine starke Rechte. Rechte bilden eine starke und anwachsende Minderheit in Österreich, in Finnland, in den Niederlanden und in Belgien, in Dänemark, in Norwegen, in Ungarn, in der Slowakei. Überall haben, wie jetzt in Griechenland, in den letzten Jahren die etablierten Parteien eine Niederlage eingesteckt, und nur selten profitieren die Kommunisten davon. Es wird wieder spannend in Europa. Und einsam um Angela Merkel.

Wir sahen Wahlkampf in Athen und sahen griechisches Fernsehen und hörten Radio und trafen die Menschen in der Hauptstadt und in den kleinen Städten. Und das Land kommt nach diesen Wahlen schon gar nicht mehr zur Ruhe. Es gibt viel Unmut in diesem Land, das dessen Regierungen in zwei Jahrzehnten ins wirtschaftliche Chaos geführt haben und das nun von der EU und der EZB kontrolliert wird und an allen Ecken und Kanten sparen muss, wie immer und auch in Deutschland übrigens bei den kleinen Leuten. Und der Missmut wird durch die Linke und Kommunisten – und auch eine neue konservative Partei, die „Unabhängigen Griechen“ – weiter geschürt werden. Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht, aber alle Rebellen in Europa wollen nichts so ungern, wie den Euro wieder abgeben. Und alle lieben ihr Vaterland am meisten und versuchen, es so gut wie möglich zu schützen und Schaden von ihm abzuwenden. Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. Mit der Heimat im Herzen die Welt umarmen, aber möglichst mit getrennter Kasse. Nur so wird ein Schuh draus. In einem Europa der Vaterländer.


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