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12.05.12 / Hat der Säugling überlebt? / Oswald Maßner sucht nach einem Findelkind, das seine Mutter in Guttstadt versorgte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-12 vom 12. Mai 2012

Hat der Säugling überlebt?
Oswald Maßner sucht nach einem Findelkind, das seine Mutter in Guttstadt versorgte

Der letzte Zug“ steht bei uns noch immer auf Halt. Viele Leserinnen und Leser sind inzwischen zugestiegen, das Thema beschäftigt vor allem ältere Landsleute, die zu Beginn des Jahres 1945 mit einem dieser Züge die Heimat verließen oder verlassen wollten und vielleicht bisher nicht darüber sprechen konnten. Diese oft tragisch verlaufenen Schicksale hat der Autor Heinz Timmrock in seinem Buch „Letzte Flüchtlingszüge aus Ostpreußen“ zusammengefasst, in dem über 80 Zeitzeugen ihre Erlebnisse dokumentieren. Ich werde eingehend auf dieses im letzten Jahr erschienene Buch zurückkommen, weil es Vorgänge schildert, die bisher kaum veröffentlicht wurden. Heute will ich nur kurz auf diese Dokumentation hinweisen, in der erstmalig die Flucht mit der Bahn aus Ostpreußen zusammenfassend behandelt wird. (ISBN: 978-3-842349-66-7.)

Aber zuerst muss ich eine Zuschrift veröffentlichen, weil sie eine Suchfrage beinhaltet, und die hat Vorrang. Sie kommt von Oswald Maßner, der als Sechsjähriger mit seiner Mutter und dem zwei Jahre jüngeren Bruder am 20. Januar 1945 von seinem Heimatort Dietrichswalde, Kreis Allenstein auf die Flucht ging. Zu Fuß im tiefen Schnee bei -20 Grad! Sie zogen in Richtung Heilsberg, das schien der einzige noch freie Weg zu sein. Ich lasse nun Herrn Maßner berichten: „Wir kamen so bis nach Guttstadt, dann war die Flucht zu Ende, der Kessel war dicht. Wir fanden eine Unterkunft in einem Hotel oder Krankenhaus zusammen mit Frau Rotkowski, auch aus Dietrichswalde, mit ihren kleinen Kindern. Die Stadt war mehrmals bombardiert worden, die Fensterscheiben waren zerborsten, es war kalt in den Räumen. Das ganze Gebäude war mit Flüchtlingen belegt. Eines Tages brachten Wehrmachtsoldaten einen Säugling, ein wenige Wochen altes Kindchen, und baten uns, es aufzunehmen. Das Kindchen hatte irgendwo auf der Straße gelegen, ganz allein, ohne Mutter. Es war halb verfroren und hungrig. Meine Mutter hat das Findelkind mit trockenen Windeln und warmer Milch versorgt. Ich habe bis heute nicht die großen dankbaren Augen dieses Kindes vergessen, ich weiß nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Leider war meine Mutter nicht in der Lage, das Kind ständig zu versorgen und mit auf den weiteren Weg zu nehmen – irgendwohin. Sie bat eine ältere Frau aus Guttstadt, sich dieses Kindes anzunehmen. Sie tat es mit den Worten: ,Vielleicht wird mir das Kind auch das Leben retten!‘“

Es dürfte wohl ein frommer Wunsch geblieben sein, denn als am 2. Februar die umkämpfte Stadt von den Rotarmisten eingenommen wurde, machten sie auch vor den Müttern nicht halt. Denn, so berichtet Oswald Maßner weiter: „Danach begann das Morden der Flüchtlinge und der Stadtbewohner. In unser Haus wurden immer mehr Menschen eingepfercht. Einen Sitzplatz gab es nicht mehr, wir standen dicht gedrängt wie Heringe in einem Fass. Alles war voller Menschen, vom Dachboden bis in den Keller, im Parterre wurden die kaputten Fenster mit Stacheldraht gesichert. Wir standen mit Frau Rotkowski dicht gedrängt hinter der Türe des Zimmers. Plötzlich wurde die Türe von einem russischen Offizier geöffnet, er sah uns und sagte: ,Frau mit Kinder nach Hause, aber schnell.‘ Es war unser Glück, obgleich wir das Fluchtgepäck, unsere ganze Habe, zurück­lassen mussten. Etliche Frauen und Mädchen wurden noch vergewaltigt. Meine Mutter hatte Glück, wir Kinder schrien so laut, die Russen ließen sie dann in Ruhe. Es waren nur sehr alte Männer im Haus, die meisten hier Eingepferchten waren Frauen und Kinder. Als wir draußen waren, brannte das Dach lichterloh, man hörte das Geschrei der Menschen, die dort geblieben waren. Unten dagegen sangen die Leute: ,Großer Gott, wir loben dich.‘ Wir machten uns mit Frau Rotkowski dann auf den Weg nach Hause, ein Weg, an dem viele Tote lagen, und kamen dann zu Fuß nach Tolnicken/Pupkeim, wo wir eine Bleibe bei Frau Merten fanden. Meine Mutter hat sich oft verstecken müssen, aber eines Tages wurde sie doch verschleppt. Nach einer Woche kam sie zurück, hungrig, zerlumpt, ihr war die Flucht von dem Transportzug mitten in einem Wald gelungen. Die Russen haben auf sie geschossen, aber zum Glück nicht getroffen. Nach drei Wochen waren wir wieder in Dietrichswalde. Von der damaligen Zeit kenne ich nur Angst, Kälte und Hunger.“ Bis 1979 blieb die Familie Maßner noch in der Heimat – „aber das ist eine andere Geschichte“. Hier geht es darum, ob jemand etwas von dem Findelchen weiß, ob es überlebt hat und was aus ihm geworden ist? Den nun 73-jährigen Dietrichswalder beschäftigt diese Frage noch immer. (Oswald Maßner, Dohlen 4 in 26676 Barßel, Telefon 04499/7961.) R.G.


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