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12.05.12 / Das verdrängte Sterben / Bestattungsunternehmer beklagt den heutigen Umgang mit dem Tod

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-12 vom 12. Mai 2012

Das verdrängte Sterben
Bestattungsunternehmer beklagt den heutigen Umgang mit dem Tod

An der Trauer- und Bestattungskultur in unserem Land ist nach Ansicht des Trauerbegleiters Fritz Roth aus Bergisch Gladbach vieles kritikwürdig. Der 1949 geborene frühere Unternehmensberater ist Inhaber eines Bestattungshauses und bietet eine alternative, individuell ausgerichtete Trauerbegleitung an. Auch hat er einen Privatfriedhof gegründet. In seinem Buch „Das letzte Hemd ist bunt“ plädiert Fritz Roth für eine „neue Freiheit in der Sterbekultur“, so der Untertitel. Wir leben in einer Gesellschaft, die sich tragischerweise des „Memento mori“ entledigt habe, so der Autor. Die Tatsache, dass das Leben nicht unendlich währt, müsse wieder in unserem Alltagsleben wahrnehmbar sein, so lautet durchgehend sein Plädoyer. Die Professionalisierung in diesem Bereich habe mit dazu beigetragen, dass der Tod aus unserer Alltagserfahrung weitgehend verdrängt worden ist. Bei einem Todesfall würden immer dieselben Abläufe unter der Regie eines Bestattungsunternehmens in Gang gesetzt, wobei den Hinterbliebenen nur die Rolle des hilflosen Zuschauers bleibe.

Sprachlosigkeit angesichts des Verlustes eines Angehörigen erfahre der Trauernde auch im privaten Raum, da der Zustand des Trauerns als „Defizit, als Ausnahmezustand und Abweichung von der Norm“ behandelt würde „Die Verdrängung des Todes aus dem Leben erzeugt in uns die Illusion von Unsterblichkeit – und raubt uns damit das Bewusstsein für den unschätzbaren Wert jeden Tages.“

Diese Verdrängung funktioniere nicht. Angst vor dem Tod präge das Lebensgefühl des Individuums, das sich an die Stelle Gottes gesetzt und damit der Hoffnung auf ein Jenseits beraubt habe, konstatiert er. Auch hätten die „verdrängten Verlusterfahrungen“ die Herausbildung einer gnadenlosen Leistungsgesellschaft mit vorherrschender Profitgier gefördert.

Fritz Roth ruft zu einer „stillen Revolte gegen die Enteignung und Entpersönlichung von Tod und Trauer“ auf. Damit meint er, dass jeder Betroffene Verantwortung übernehmen und seine individuellen Wünsche und Ansprüche einfordern möge. Die Aufgabe eines Trauerbegleiters sieht er darin, den Trauernden Wege aufzuweisen, um den Verlust eines geliebten Menschen bewusst als wertvolle Phase der Veränderung wahrzunehmen. Bestattungsunternehmen wie sein eigenes führen das Gütesiegel „TrauerOase“. Seinen Kunden bietet er einen Gang durch eine Installation „Pfad der Sehnsucht“ an. Weiterhin plädiert er für die Liberalisierung des Friedhofszwangs.

Irgendwann stößt man auf die Feststellung, dass immer mehr Menschen „sich nicht mehr mit den christlichen Werten identifizieren“. Wendet sich der Autor vorwiegend an diesen Personenkreis? Leider bleibt dies ungeklärt, und der Autor hat auch seinen eigenen Standpunkt mit Blick auf den christlichen Glauben nicht abgesteckt. Die zunehmende Abkehr der Menschen von Gott in den westlichen Gesellschaften scheint er aber zu bedauern. Nun versteht sich ein Trauerbegleiter naturgemäß nicht als eine Institution, deren Aufgabe es ist, seine Kunden auf die Angebote der Kirche hinzuweisen; dies wäre auch berufsschädigend. Wer jedoch mit der eindringlichen Forderung nach mehr Vielfalt in der „Sterbekultur“ hervortritt, sollte diese Vorbehalte hinter sich lassen und die bestehende Auswahlmöglichkeit zwischen einer kirchlichen und einer andersartig ausgerichteten Bestattung zur Sprache bringen. Darf man also fragen, warum die traditionelle, millionenfach bewährte kirchliche Trauerfeier hier überhaupt nicht thematisiert wird? Fast zwei Jahrtausende lang haben Menschen im Leben wie im Sterben Trost und Kraft durch den Glauben gefunden, durch den Zuspruch von Geistlichen, durch Psalmen und den Schatz an neutestamentarischen Trostworten. Die Forderung nach „individueller Gestaltung statt Pomp“ ist richtig, aber es gibt immer noch mehr als die tröstliche (?) „digitale Ewigkeit“, handbemalte bunte Särge sowie Tipps für die Berufsvorbereitung von Trauerbegleitern. Wenn diese Berufssparte weiter wächst, nimmt im Gegenzug die Inanspruchnahme der Kirche bei Todesfällen ab. So bunt wie es den Anschein hat, ist dieses Buch eben nicht. Dagmar Jestrzemski

Fritz Roth: „Das letzte Hemd ist bunt. Die neue Freiheit in der Sterbekultur“, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2011, geb., 189 Seiten, 19,99 Euro.

 

Weitere Titel

Christel Bethke: „Weiße Schatten über fremden Spiegeln. Alte und neue Erinnerungen an Ostpreußen“, Ropo, Köln 2012, 4. erweiterte Auflage, kartoniert, 226 Seiten, 12 Euro

Stephan Bickhardt (Hrsg.): „In der Wahrheit leben. Texte von und über Ludwig Mehlhorn“, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2012, broschiert, 305 Seiten, 13,80 Euro

Alice Dassel: „Märcheninterpretation zu ,Die Bremer Stadtmusikanten‘“, BoD, Norderstedt 2012, brosch., 104 Seiten, 9 Euro

Volker Kempf und Rudolf Stettin: „Die Europäische Union. Perspektiven mit Zukunft?“, G. Hess Verlag, Bad Schussenried 2012, brosch., 134 Seiten, 12 Euro

Friedrich-Wilhelm Schlomann: „Mein Leben im Schatten der Berliner Mauer“, Pro Libertate, Bern 2012, broschiert, 27 Seiten, 10 Euro, zu bestellen über F.W. Schlomann, Oberkasseler Straße 78b, 53639 Königswinter


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