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19.05.12 / Engagiert für die Frau, doch nicht feministisch / »Gott verhüte, dass wir den Deutschen unsere Hilfe versagen«: Zum 130. Geburtstag der norwegischen Dichterin Sigrid Undset

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-12 vom 19. Mai 2012

Engagiert für die Frau, doch nicht feministisch
»Gott verhüte, dass wir den Deutschen unsere Hilfe versagen«: Zum 130. Geburtstag der norwegischen Dichterin Sigrid Undset

Wer historische Romane auf höchstem literarischem Niveau liebt, ist bei der vor 130 Jahren am 20. Mai 1882 im dänischen Kalundborg geborenen Sigrid Undset immer noch an der richtigen Adresse. Sie ist Norwegens größte und bedeutendste Dichterin, deren Werke auch im Ausland viele begeisterte Leser gefunden haben. Im Jahr 1928 war der damals erst 46-jährigen Schriftstellerin der Literaturnobelpreis zuerkannt worden. Wie es hieß, „hauptsächlich im Hinblick auf ihre gewaltige Schilderung norwegischen Lebens im Mittelalter“.

Infolge des frühen Todes ihres Vaters, eines bedeutenden Historikers und Archäologen, war die malerisch sehr begabte Sigrid Undset in ihren jungen Jahren gezwungen gewesen, den Traum von einer künstlerischen Ausbildung aufzugeben und stattdessen eine Stelle als Büroangestellte anzunehmen. Sie lernt das triste, schlecht bezahlte Leben der jungen, unverheirateten berufstätigen Frauen kennen. Aus der Banalität ihres unglücklichen Alltags flüchten manche in eine nicht weniger glückliche Ehe, die vielfach nur eine Versorgungsehe darstellt. Oder sie gehen Liebschaften ein, die sie am Ende doch nicht erfüllen. Sigrid Undsets frühes literarisches Werk handelt vom Alltag dieser Frauen. Von ihren ungestillten Sehnsüchten. Auch von ihrer Haltlosigkeit.

Später findet Undset die Themen und Motive ihrer Romane mehr in der Zeit des Mittelalters. In der ersten Hälfte der zwanziger Jahre erscheinen die drei Bände „Kristin Lavranstochter“ (1920–1923) sowie ihr nicht weniger umfangreicher Roman „Olav Audunssohn“ (1925). Es sind Epen von großer sprachlicher Ausdruckskraft und Intensität, mit grandiosen, geradezu plastischen Natur- und Landschaftsbeschreibungen. Die spannungsreiche Entwicklung der Hauptpersonen, ihre vielfältigen inneren wie äußeren Bedrängnisse und Probleme werden auf eine psychologisch nachvollziehbare Weise entfaltet. Dabei blendet die 1924 von der lutherischen Staatskirche zum Katholizismus konvertierte Autorin das religiöse Leben in seinen Auswirkungen auf Personen und Geschehnisse nicht aus.

Sowohl Kristin Lavranstochter als auch Olav Audunssohn verkörpern das Schicksal von Menschen, die von den Folgen ihrer Eigenmächtigkeit und Sünde immer wieder eingeholt werden und deren Leben auf tragische Weise scheitert, da sie es nicht wirklich wagen, dem an sie ergangenen Ruf Gottes zu folgen. Dass Gott aber „vom Ursprung der Zeiten an bis zum heutigen Tag auf die Menschen wartet“, das wird schließlich nicht nur Olav Audunssohn am Ende seines Lebens bewusst, sondern das könnte als Leitmotiv auch über dem Leben der so eigenwilligen Kristin Lavranstochter stehen.

Der Zweite Weltkrieg brachte für Undset große Erschütterungen und schweres Leid mit sich. Als im Frühjahr 1940 deutsche Truppen das neutrale Norwegen besetzen und sich schon bald ihrem Wohnort Lillehammer bedrohlich nähern, drängen die Lokalbehörden die Schriftstellerin zur Flucht. Und auch Undset selbst muss sich eingestehen, dass sie, eine erklärte, kompromisslose Gegnerin des Nationalsozialismus, dessen Rassenwahn sie schon früh geißelte, von den Eindringlingen nichts Gutes zu erwarten hat. Überstürzt und nur mit dem Notwendigsten versehen, tritt sie die mühselige Flucht nach Schweden über verschneites und vereistes Gebirge an. Als sie endlich Schweden erreicht hat, muss sie erfahren, dass ihr ältester Sohn Anders als norwegischer Soldat im Kampf gegen die Deutschen gefallen ist.

Wenige Monate später macht sich Undset gemeinsam mit ihrem Sohn Hans auf den Weg in die Vereinigten Staaten, die ihr Asyl angeboten haben. Mutter und Sohn fliegen zunächst nach Moskau, von wo aus sie mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Wladiwostok weiterreisen. Anschließend geht es mit dem Schiff nach Japan und von dort aus – ebenfalls per Schiff – nach San Franzisco. In New York lässt sich Undset dann für die nächsten fünf Jahre nieder. In Ansprachen und Artikeln setzt sie ihren antifaschistischen Kampf gegen Nazideutschland fort. Und wenngleich sie dem deutschen Volk gegen­über kritisch eingestellt war und blieb, so fand sie doch in ihrem 1942 erschienenen Buch „Wieder in die Zukunft“ in Hinblick auf die Nachkriegszeit die program­matischen Worte: „Gott verhüte, dass wir den Deutschen unsere Hilfe versagen, mit der sie sich wieder aufraffen können aus dem moralischen und wirtschaftlichen Elend, in das sie bereits hineingeraten sind und das sie ganz zu verschlingen droht, wenn sie diesen Krieg verlieren.“

Im August 1945 konnte Undset endlich in ihr geliebtes Heimatland zurückkehren. Kaum vier Jahre später, am 10. Juni 1949, starb sie nach einer schweren Nierenerkrankung. Eine große Enttäuschung war für sie das Ausmaß norwegischer Kollaboration mit dem Feind. Sie musste erkennen, dass auch Norwegen „seine Folterknechte, Kriegsspekulanten und Lakaien der Nationalsozialisten“ gehabt hatte. Matthias Hilbert


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