29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
26.05.12 / Im Schützengraben radikalisiert / Werke des weitgehend vergessenen Bildhauers Karl Röhrig im Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-12 vom 26. Mai 2012

Im Schützengraben radikalisiert
Werke des weitgehend vergessenen Bildhauers Karl Röhrig im Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum

Karl Röhrig ist bis heute einer der unbekannten Bildhauer Deutschlands geblieben. Zugleich erkennt die Kunstgeschichte in ihm einen der bedeutendsten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sein sozialkritischer Akzent erinnert an Ernst Barlach und Käthe Kollwitz, von Wahrheit und Menschlichkeit inspiriert. Das Wuppertaler Museum präsentiert noch bis zum 17. Juni – parallel zur großartigen Ausstellung „Der Sturm“ (PAZ Nr. 15) – dessen Werke.

Geboren wurde Röhrig am 27. Januar 1886 in Eisfeld/Südthüringen als Sohn eines Weißgerbers und einer Gärtnereiarbeiterin. Die Kleinstadt Eisfeld gehörte damals zum Herzogtum Sachsen-Meiningen. Nach der Lehre in einer Modellier- und Zeichenschule (1900–1903) besuchte der 17-jährige Röhrig die Industrieschule in Sonneberg und die königlich-sächsische Kunstgewerbeakademie in Dresden. 1911 zog er dann nach München, das seine Wahlheimat bis zum Lebensende bleiben sollte.

Röhrig wird im Ersten Weltkrieg Soldat. Er kämpft in Frankreich und Russland. 1915 fällt sein Bruder im Krieg. 1918 beginnt er, Tagebücher zu schreiben, in denen er sich mit seiner persönlichen und auch der politischen Situation auseinandersetzt. „Ich habe vier Jahre lang alles genau sehen gelernt. Ich habe mir vorgenommen, davon auszugehen in meiner Arbeit“, notiert Röhrig nach seinen Erlebnissen an der französischen und russischen Front.

In Wuppertal ist eine kleine Arbeit Röhrigs zu sehen, die er 1917/18 im Schützengraben mit einfachsten Mitteln, wahrscheinlich einem Taschenmesser, aus einer Kalkstein-Platte „schnitzte“. Lesbar eingeritzt: „K. Röhrig, gemacht im Schützengraben Düna 1917“. Die als „Federfuchser“ benannte Skulptur zeigt zwei Männer, die mit Federkielen aufeinander einstechen. Röhrig geht damit auf die Friedensverhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und dem damals gerade sowjetisch gewordenen Russland ein. Sarkastisch-ironisierend zeigt er den Kampf der Diplomaten mit Schreibgeräten – während er und seine Kameraden weiter im Dreck des Schützengrabens an der Düna liegen müssen.

Aus dem Krieg, so der Kunsthistoriker und Direktor des Wuppertaler Von-der-Heydt-Museums, Gerhard Finckh, „kehrte der Künstler radikalisiert und als überzeugter Pazifist und Sozialist zurück“. In seinen Tagebüchern, die Röhrig bis 1942 führte, „wird deutlich, wie sehr es ihm jetzt um eine tief empfundene Humanität und soziale Gerechtigkeit ging“. Der Bildhauer selber resümierte später: „Meine Arbeit ist nicht von der Politik her inspiriert, sondern ... ist geleitet vom Gefühl der Wahrheit und Ordnung, da war es natürlich, dass sich auch Gesellschaftskritisches dazugesellt hat.“

Anfang der 1920er Jahre gestaltet Röhrig noch einige Krieger- und Gefallenendenkmäler, modelliert Porzellan- und Keramikfiguren und entwirft Tapetenmuster. Sie verschaffen ihm Einnahmen, doch in den Tagebüchern wird die große innere Distanz zu diesen Auftragsarbeiten deutlich.

Ab 1926 überwiegen dann die Werke, die meist die sogenannten „kleinen Leute“ darstellen: Die Holzfigur des „alten Mannes“ (1926), der „Heilige Sebastian“ (1927), die „Bäuerin mit Huhn“ (1928), die „schwangere Frau“ (1930) oder „die Mutter mit Kind“ (1932). Deren Körpersprache zeigt fragende, zweifelnde, niedergedrückte Menschen – wie sie in den Jahren der Weltwirtschaftskrise millionenfach zu sehen waren. Der Künstler drückt mit diesen Werken sein Mitfühlen und seine Parteinahme für benachteiligte Menschen aus. Gerhard Finckh: „Man könnte sagen: Röhrigs Herz schlug für die Entrechteten, Armen, Unterdrückten.“

Röhrig versucht wegen der eigenen wirtschaftlichen Notlage auszuwandern. Er bewirbt sich in den USA, in Afrika und auch in der Sowjetunion um eine Stelle. Die Emigration scheitert allerdings an zu geringen finanziellen Mitteln. In seinen Tagebuchaufzeichnungen – jedes neue Jahr beginnt mit einer Federzeichnung – stellt Röhrig seine eigene Situation als eine Art Gefangenschaft im vergitterten Atelier dar.

Auch für eine Vermählung mit seiner Lebenspartnerin Rosel Scholzenhammer, fand Finckh bei seinen Recherchen heraus, war Röhrig einfach zu arm gewesen.

Doch in diesen wohl schwierigsten Jahren des Künstlers entstanden die wohl bedeutsamsten Werke: drei kleinformatige Holzskulpturen – die „Autofahrt“, der „Sonntagsspaziergang“ und der „Mann von der Winterhilfe“. Die Aussagekraft dieser Werke kann mit der von Otto Dix und George Grosz mithalten, was zugleich den künstlerischen Rang von Röhrigs Arbeiten markiert. „Diese Werke sind nicht nur komisch anzuschauen, sondern an Sarkasmus kaum zu überbieten“, so Finckh. „Röhrig gelingt es hier, der ,verspießerten‘ Gesellschaft und der verlogenen Moral seiner Zeit einen Spiegel vorzuhalten.“

Besonders die Holz­skulptur „Mann von der Winterhilfe“ steht ganz oben in der Wertschätzung des Kunsthistorikers. Deshalb ist diese gerade einmal 38 x 16 x 15 Zentimeter kleine Skulptur als einziges Ausstellungsstück geschützt in einer Vitrine untergebracht. Der „Mann von der Winterhilfe“ ziert sowohl das Ausstellungsplakat auf Litfaßsäulen im Rheinland als auch das Titelbild des Ausstellungsprospektes. Mehrmals weist Finckh auch auf die einzigartige Bedeutung dieses Werkes hin.

Die Skulptur zeigt einen dick­­bäuchigen Mann, offener Mantel, Melone, Gehstock in der Rechten, mit Zigarre im Mundwinkel – offenbar ein reicher Mann. In der linken Manteltasche steckt eine zusammengefaltete Zeitung – mit erkennbarem Börsenteil. Am Revers prangt ein Abzeichen vom (NS-)Winterhilfswerk: ein Hakenkreuz mit lodernder roter Flamme. Das gleiche Signet, nur etwas größer, steckt an der Melone, und erinnert so an einen Heiligenschein. „Diese kompromisslose Anprangerung der herrschenden Zustände in der Personifizierung des wohlhabenden Bürgers als Parteigänger der Nazis hebt diese Figur heraus aus der großen Masse der Belanglosigkeiten und dem, was das ,Dritte Reich‘ von den Künstlern verlangte“, interpretiert Finckh. – Röhrigs Dilemma: Er konnte diese Werke nicht öffentlich präsentieren. Hätte er es gewagt – er wäre wohl im KZ gelandet.

1943 wird Röhrig für einen „kriegswichtigen Betrieb“ in Dachau arbeitsverpflichtet. Als bereits 58-Jähriger erhält er 1944 die Einberufung zum regulären Militärdienst – nicht zum Volkssturm. Nach der Gefangenschaft in Frankreich kehrt er im Dezember 1945 nach München zurück und steht vor dem Nichts: Wohnung und Atelier sind zerstört. Das Bildhauer-Schaffen ab 1946 in München bleibt relativ erfolglos, ohne große Anerkennung und ohne große Aufträge. Erst ein Vierteljahrhundert später, 1972, erhält Röhrig mit dem Schwabinger Kunstpreis eine Auszeichnung. Einige Monate später, am 11. August 1972, stirbt der Künstler in München. Siegfried Schmidtke

Die Ausstellung „Röhrig“ ist noch bis zum 17. Juni im Von-der-Heydt-Museum zu sehen, Turmhof 8, 42103 Wuppertal-Elberfeld, Telefon (0202) 563-6231.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren