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26.05.12 / Ein neues Verständnis von Macht und Pflicht / Vor 272 Jahren begann die Regentschaft des Herrschers, der sich als erster Diener seines Staates bezeichnete

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-12 vom 26. Mai 2012

Ein neues Verständnis von Macht und Pflicht
Vor 272 Jahren begann die Regentschaft des Herrschers, der sich als erster Diener seines Staates bezeichnete

Die Erwartungen, sie erwiesen sich allesamt als falsch. Fried­rich II. war 28 Jahre alt, als sein Vater vor 272 Jahren, am 31. Mai 1740, starb. Wie würde der Sohn das Erbe antreten? Seine Vorlieben für Kunst und Wissenschaft waren bekannt. Würden nun die Musenfreunde den Ton bei Hofe angeben? Würde gar, wie man in Paris munkelte, Voltaire Premierminister in Berlin werden? Nichts von alledem. Es kam alles ganz anders. Vor allem: Friedrich regierte anders als die absolutistischen Herrscher auf den Thronen Europas. Mit Friedrich II. begann ein neues Verständnis von Macht und Pflicht.

Als der Vater Friedrich Wilhelm I. sich auf sein erwartetes Sterben vorbereitete, wusste er sein Haus wohl bestellt. „Mir liegt nicht mehr viel am Leben“, sagte er drei Wochen vor seinem Tod, „da ich einen Sohn hinterlasse, der alle Fähigkeiten zu einem guten Regenten besitzt. Vor fünf Jahren hätte ich das nicht gesagt, er war damals noch zu jung. Doch Gott sei Dank hat er sich geändert, und ich bin mit ihm zufrieden. Er hat mir versprochen, dass er die Armee beibehalten wird, und ich bin sicher, dass er sein Versprechen erfüllen wird. Ich weiß, dass er die Truppe liebt, er hat Verstand und alles wird sehr gut gehen.“

Zwei Tage vor seinem Tod rief der König aus: „Mein Gott, ich sterbe zufrieden, da ich einen so würdigen Sohn und Nachfolger gefunden habe.“

Am 31. Mai 1740 um ein Uhr in der Nacht ließ der König einen Priester holen, später den Kronprinzen, Minister, Generäle und Hauptleute seines Regiments. Vor ihnen entsagte er dem Thron und übergab die Herrschaft seinem Sohn.

Fritz der König war ein anderer als Fritz der Kronprinz. Seine unmittelbare Umgebung, die Freunde aus der Rheinsberger Zeit, die Bürger Preußens und die Nachbarn rundum sollten sehr bald erfahren, was Friedrich gemeint hatte, als er einen vorlauten General tadelte: „Mein Herr, jetzt bin ich der König!“ Er sorgte rasch dafür, dass ein solcher Verweis künftig nicht mehr notwendig sein würde.

Viele setzten – ver­geb­liche – persönliche Hoffnungen in den Wechsel auf dem Thron. Andere fürchteten um ihren Einfluss. Zu ihnen gehörte Herzog Leopold von Anhalt-Dessau, bekannt als der „Alte Dessauer“. Er gehörte zu den einflussreichsten Ratgebern des Vaters und vertrat die österreichische Partei bei Hofe. Noch in der Nacht des Todes Fried­rich Wilhelms hatte er den Thronfolger inständig gebeten, ihm Amt und Autorität zu lassen.

Die Antwort Fried­richs war unmissverständlich: „Ich bin König geworden; meine Absicht ist, dies Amt auszuüben und der einzige zu sein, der Autorität hat.“

Über Aufgaben, Rechte und Pflichten hatte der Kronprinz gründlich nachgedacht. Ein Jahr bevor er das Erbe seines Vaters antrat, begann er mit der Niederschrift seiner „Réfutation du prince de Machiavel“, die „Widerlegung des Fürsten Machiavelli“, allgemein bekannt als „Antimachiavell“.

Darin stellt er dem keiner Moral verpflichteten absoluten Herrscher den Souverän gegenüber, der „le premier domestique“, der „erste Diener“ ist: „Der Herrscher ist alles andere als der absolute Herr der Völker, die seiner Herrschaft unterworfen sind; er ist lediglich ihr erster Diener.“

Nicht alles, was der Kronprinz in jugendfrischem Gerechtigkeitssinn formulierte, setzte der König später auch um. Aber als „Erster Diener seines Staates“ sah sich Friedrich vom ersten bis zum letzten Tag seiner Regierung. Als Diener seines Staates hat er sich geschunden und nichts geschenkt, sei es als erster Soldat im Felde oder als erster Baumeister des ramponierten Preußens nach dem Siebenjährigen Krieg.

Aus dem Feld schrieb er im November 1760: „Ich schwöre Ihnen, es ist ein Hundeleben. Kein Mensch außer mir und Don Quixote hat so gelebt. Diese unaufhörlichen Geschäfte, diese stete Unruhe haben mich so alt gemacht, dass Sie Mühe haben werden, mich wiederzuerkennen. Auf der rechten Seite sind mir die Haare völlig grau geworden, meine Zähne werden mürbe und fallen aus. Mein Gesicht ist so voll von Runzeln wie ein Frauenkleid von Falten, der Rücken krumm wie ein Fiedelbogen, und mein Inneres so traurig und niedergeschlagen wie die Seele eines Trappisten …“

Seine späten Auftritte in einer schäbigen, vielfach geflickten Uniform verfehlten ihre Wirkung bei der Bevölkerung nicht und waren gewiss auch Teil einer Inszenierung, vor allem aber waren sie äußeres Zeichen einer inneren Einstellung. Mit seiner Feststellung, der Herrscher habe „keinerlei Recht über die Denkart der Bürger“ zu verfügen, stand Fried­rich zu seiner Zeit noch ziemlich allein. Die Herrscher um ihn herum betrachteten ihre Stellung als von Gott gegeben und leiteten aus diesem Gottesgnadentum ihr Recht zum Absolutismus ab, niemandem als Gott und dem eigenen Gewissen verantwortlich. Dagegen befand Friedrich: „Die wahrhaft monarchische Regierung ist die schlimmste oder die beste von allen – je nachdem, wie sie gehandhabt wird.“ Demnach gab es noch eine andere Verantwortung als die gegenüber Gott und dem eigenen Gewissen. In der Nachbetrachtung gilt Friedrich heute als Paradebeispiel für den „aufgeklärten Absolutismus“, in dem der Herrscher nicht mehr als allein von Gott eingesetzt gilt, nicht über jedem Gesetz steht, sondern selbst der Staatsordnung und dem Allgemeinwohl verpflichtet ist.

Die großen Reformen, welche die Regierungszeit Friedrichs II. kennzeichnen, haben ihre Wurzeln in diesem Denken. Ein Schwerpunkt war die weitreichende Reform des Justizwesens. Vier Wochen nach Übernahme des Amtes schaffte der König die Folter ab, wurde die Anwendung der Todesstrafe beschränkt. Das Verhältnis zwischen Verbrechen und Strafe wurde neu geordnet. Während der gesamten Regierungszeit war das Justizwesen eine Baustelle, die erst nach seinem Tod mit der Veröffentlichung des „Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten“ geschlossen wurde. Damit wurde der Grundstein zur allgemeinen Rechtstaatlichkeit gelegt, die Willkür des Herrschers aufgehoben. Die Gesetze waren nun für alle gleich.

Der junge König zeigte eine bis dahin unbekannte Toleranz. Die Freimaurer wurden öffentlich zugelassen. Auf einen Vermerk, der sich gegen katholische Schulen aussprach, notierte der König ablehnend: „Die Religionen Müsen alle Tolleriret werden … den hier mus ein jeder nach Seine Fasson Selich werden.“ Der Grundsatz, nachdem der Herrscher bestimmte, was die Bürger zu glauben haben und welcher Konfession sie angehörten, war damit aufgehoben.

Zu den ersten großen Veränderungen gehörte die Aufhebung der Zensur, eine freie Meinungsäußerung war möglich. Die Leibeigenschaft, die Erbuntertänigkeit, wurde eingeschränkt. Die vollständige Abschaffung scheiterte vor allem am Widerstand des Landesadels in Pommern. Friedrich II. selbst nannte die Erbuntertänigkeit eine „widerwärtige Einrichtung“.

Zeichen des geänderten Menschenbildes war schließlich auch die Einführung einer allgemeinen Schulpflicht. Allerdings in Maßen, denn Friedrich war der Auffassung, seine Landeskinder sollten zwar Lesen und Schreiben lernen, jedoch „nicht zu viel wissen“. Klaus J. Groth


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