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26.05.12 / Der Schicher / Erinnerung an einen Pfingsttag im alten Ostpreußen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-12 vom 26. Mai 2012

Der Schicher
Erinnerung an einen Pfingsttag im alten Ostpreußen

Eigentlich war er eine Art Florentiner aus schwarzweißem Reisstroh mit schwarzem Ripsband. Ich entdeckte den Hut bei dem simplen Einkauf einer Küchenschürze, zu dem ich meine Mutter in das Königsberger Modehaus Berding & Kühn begleitete. Ich war gerade 15 Jahre alt und modisch noch nicht sehr ambitioniert. Aber dieser großkrempige Hut, den man mitten im Raum auf einem Ständer drapiert hatte, sah geradezu traumhaft aus mit seinem weichen Geflecht und dem geschwungenen Rand. Solche Gebilde trugen Filmdiven wie Greta Garbo oder Marlene Dietrich! Ja, es war schon ein Traum, und der drohte es auch für mich zu bleiben, denn das Schild am Ständer verriet den Preis: 14 Mark! Damit schien die Sache gelaufen. Aber ich pranzelte und proschte so lange, bis ich meine sparsame Mutter butterweich hatte. Nachdem ich auch mein Sparschwein geschlachtet hatte, bekam ich den Hut.

Als ich ihn dann zu Hause vor dem Dielenspiegel aufsetzte – was sich als schwierig erwies, denn meine zur „Affenschaukel“ von Ohr zu Ohr gesteckten Zöpfe erwiesen sich als hinderlich – begannen meine Geschwister zu wiehern und mein großer Bruder platzte heraus: „Menschenskind, was willst du mit dem Schicher!“ Da hatte er seinen Namen weg. So wurden die Strohhüte genannt, die von den Frauen bei der Ernte getragen und von ihnen auch als Wedel benutzt wurden, wenn sie die bei der Bullenhitze lästigen Mücken und Bremsen damit wegscheuchten. Die Frage meines Bruders war nicht ganz unberechtigt. Wann sollte ich dieses zarte Gebilde aufsetzen? Zur Schule? Zum Einholen? Zum Kahnchenfahren auf dem Oberteich? „Zum Pilze sammeln in Groß Raum, da haben wir gleich ’nen prima Korb“, grinste mein Bruder.

Aber dann gab es doch eine Gelegenheit: Pfingsten stand vor der Türe. Die drei ledigen Kusinen meiner Mutter, die dicht an der östlichen Grenze wohnten, hatten uns eingeladen. Sie wohnten in einem sehr kleinen Dorf in einem sehr kleinen Haus, das der Bruder und Hoferbe für sie gebaut hatte. Außer den Tanten gab es nur einen Hund, ein Pferd, ein paar Hühner und Gänse. Da hatte ich keine Bewunderer für meinen ersten Auftritt mit dem Schicher. Der sollte dann am Pfingstsonntag kommen, als Mutter und Tanten beschlossen, die nächstliegende Verwandtschaft zu besuchen. Wir zogen los. Zu Fuß! Die Tanten hatten zwar ein Pferd, aber nur eine Gig, da hätten wir nicht alle Platz gehabt. Aber es war ein wunderschöner Maitag, kein Wölkchen am knallblauen Himmel. Ich zog mein weißes Voilekleid an, wählte die neuen Spangenschuhe und premste mir den Schicher auf die Affenschaukel. Meine elegante Erscheinung ließ die Tanten unbeeindruckt. „Mit solchen feinen Schuhen kannst du doch nicht laufen, da kriegst du Blasen!“ Ich wählte die mitgenommenen Turnschuhe, die waren wenigstens weiß. Aber sie trübten den eleganten Eindruck doch sehr, wie ich im Spiegel beim Vorbeilatschen feststellen konnte.

Ich war dann doch froh über die bequemen Treter, denn die Wege zu den einsam gelegenen Höfen waren lang und staubig. Allerdings entschädigten uns dafür die herzliche Gastfreundschaft und die Kuchenberge, die überall aufgetischt wurden. Und mein Schicher, den ich auch beim Kaffeetrinken nicht abnahm, wurde gebührend bewundert und von der anwesenden Weiblichkeit befummelt. Nur einige Vettern irgendwelchen Grades verzogen ihre breiten, braunen Gesichter und grinsten wie mein Bruder. Auf dem letzten Hof, den wir abstraften, ließ der Onkel anspannen. „Ihr habt ja noch einen langen Weg vor Euch und Ihr werdet müde sein.“ Dankbar nahmen wir sein Angebot an, und ich setzte mich auf den Bock neben den Kutscher. Ein frohes Winken, ein Blick zurück – und dann geschah es: Die beiden Braunen zogen etwas zu heftig an, ich kippte hintenüber, und der Schicher machte sich auf meiner Affenschaukel selbständig. Nach einem kurzen Höhenflug segelte das zarte Gebilde zur Erde, und ein harter Huftritt beförderte es unter die Räder des Landauers.

Das war das Ende meines Traumes von behüteter Eleganz. Ich nahm das platt gedrückte, zerknautschte, verdreckte Gebilde zwar wieder mit nach Königsberg, aber es war nicht mehr zu retten. Mein Bruder entdeckte es später anlässlich einer Familienfeier im Flurschrank und trat dann zur allgemeinen Erheiterung als „Greta Garbo“ auf. Was das endgültige Aus für den Schicher bedeutete, denn ich riss ihm den Torso wütend vom Kopf und zertrampelte ihn.

Von da an hasste ich großkrempige Hüte. Ich habe nie wieder einen getragen. Bis heute! R.G.


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