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26.05.12 / Mehr Tragik als Glück / Facettenreiches Porträt über Hannelore Kohl

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-12 vom 26. Mai 2012

Mehr Tragik als Glück
Facettenreiches Porträt über Hannelore Kohl

Obwohl sie in schlechter gesundheitlicher Verfassung war, legte Hannelore Kohl großen Wert darauf, am 31. August 1994 an der Seite ihres Mannes zu sein. An diesem Tag fand der Festakt zur Verabschiedung der Westgruppe der russischen Streitkräfte statt. Dass Helmut Kohl es geschafft hatte, den Abzug der seit 1945 in Deutschland präsenten Besatzungstruppen zu erwirken, betrachtete die Kanzlergattin als eine seiner größten politischen Leistungen.

Verständlich wird dies vor dem Hintergrund ihrer Geschichte, welche der Journalist Heribert Schwan in „Die Frau an seiner Seite. Leben und Leiden der Hannelore Kohl“ einfühlsam erzählt. Ein engagiertes und zugleich tragisches Leben ist es gewesen. Mit großem Einsatz unterstütze sie als loyale Ehefrau die Karriere Helmut Kohls, der schließlich 16 Jahre Regierungschef war und als Kanzler der Wiedervereinigung in die Geschichte eingegangen ist. Daneben steht ihr Bemühen um Menschen mit Hirnverletzungen. Ausführlich hebt Schwan die unermüdliche Arbeit Hannelore Kohls beim Sammeln von Spenden hervor, das Ganze mündete in einer nach ihr benannten Stiftung.

Nach der Lektüre dieser Biografie ist man jedoch geneigt, vor allem das tragische Element im Leben dieser äußerlich immer so beherrschten Frau zu sehen. Die Kindheit verbrachte die 1933 geborene Hannelore in Leipzig, ihr Vater war Direktor eines Rüstungsbetriebes. In den unmittelbaren Nachkriegswirren ist sie von sowjetischen Soldaten vergewaltigt worden – eine Erfahrung, über die sie kaum sprach und die sie wohl nie verarbeitet hat. Den Fakt an sich hat sie gegenüber Heribert Schwan, mit dem sie ein enges Vertrauensverhältnis verband, ausdrücklich bestätigt. Nach dem Krieg floh Hannelores Familie in die Pfalz, gesellschaftlich war es ein tiefer Absturz. Ein Dolmet-scherstudium musste sie nach dem Tod ihres Vaters abbrechen.

Helmut Kohl, bereits damals ein aufstrebender Jungpolitiker, gab ihr in dieser schweren Zeit Rück-halt. Seinen steilen Aufstieg begleite sie von Anfang an, in Wahlkämpfen engagierte sie sich stark. Schwan schildert aber auch ihre Einsamkeit. Unter Verunglimpfungen ihres Mannes durch die Presse litt sie mehr als dieser selbst.

1993 nahm Hannelore Kohl Penicillin ein, obwohl bekannt war, dass sie darauf allergisch reagierte. Ein lebensbedrohlicher Zustand war die Folge. Schwan deutet an, dass es sich um einen ersten Suizidversuch gehandelt haben könnte. Fest steht, dass sie seitdem immer stärkeren gesundheitlichen Einschränkungen unterworfen war. Schwan vertritt die These, dass bei Hannelore Kohl nicht wirklich eine Lichtallergie vorlag. Vielmehr habe es sich um eine Depression gehandelt. Die Ursache sei auch im unverarbeiteten Trauma ihrer Jugendzeit zu suchen. Ein solches seelisches Problem habe sie sich allerdings nicht eingestehen wollen. An erster Stelle für die Gründe ihres Selbstmordes im Juli 2001 nennt Schwan, neben den gesundheitlichen Belastungen, die Anfeindungen und die Ächtung im Zusammenhang mit der Parteispendenaffäre.

Trotz deutlicher Sympathie für Hannelore Kohl bemüht sich He-ribert Schwan um eine Würdigung im besten Sinne: kenntnisreich, kritisch und ohne Eifer, auf diejenigen einzuschlagen, die ihr das Leben nicht immer leicht gemacht haben. Das macht das Buch lesenswert. Erik Lommatzsch

Heribert Schwan: „Die Frau an seiner Seite. Leben und Leiden der Hannelore Kohl“, Heyne, München 2011, geb., 320 Seiten, 19,99 Euro


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