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02.06.12 / Gemeinsam gegen den Schwund / Brandenburg: Kreis Havelland stemmt sich gegen den Bevölkerungsrückgang

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-12 vom 02. Juni 2012

Gemeinsam gegen den Schwund
Brandenburg: Kreis Havelland stemmt sich gegen den Bevölkerungsrückgang

Brandenburgs Landkreis Havelland ruft als bisher einmaliges Projekt in den neuen Ländern eine Sonderrück-lage ins Leben, um den Bevölkerungsschwund abzufedern. In den Demografie-Topf zahlen der Kreis, Städte, Ämter und eine privatwirtschaftliche Klinik ein. Die Mittel dienen der Vorsorge: Das Geld fließt in Projekte zur Hebung der Attraktivität der Region, besonders für junge Menschen.

Was die CDU auf Bundesebene als Demografie-Rücklage diskutiert, ist in Brandenburg in anderer Form lokal bereits Realität. 2010 startete das Demografie-Projekt im Havelland. Die erst Ende April verabschiedete Demografie-Strategie der Bundesregierung „Jedes Alter zählt“ scheut indes eine Bestandsaufnahme und weist wenig Konkretes auf. Die Pläne der Bundespolitiker sehen eine Rücklage für die Sozialkassen vor, in die alle über 25-Jährigen einzahlen sollen. Entsprechend sah sich Regierungssprecher Steffen Seibert genötigt, klarzustellen, die Bundesregierung plane „keine irgendwie geartete neue Steuer“.

Die Idee der Havelländer hat bereits konkrete Formen. In Zusammenarbeit mit privaten Trägern, aber ohne zusätzliche Abgaben für die Bürger suchen Lokalpolitik und Wirtschaft neue Wege. Das Problem des Bevölkerungsrückgangs vorrangig über öffentliche Einnahmen zu lösen, verlockt indes auch in Brandenburg die Lokalpolitik. Aktuell erwägen Gemeinden neue Steuern, so auf Pferde, um sich zahlungsfähig zu halten.

Weil die Idee, über das Kommunalabgabengesetz Geld einzutreiben, die Wirtschaft lähmt, geht die öffentliche Hand im Havelland aber einen anderen Weg: Die Städte Rathenow und Falkensee, die Ämter Nennhausen, Friesack und Rhinow sowie die Havelland-Kliniken arbeiten zusammen, geben bis 2013 gut eine Million Euro in einen Fonds zur Finanzierung von Projekten. Weitere 180000 Euro Fördermittel der Robert-Bosch-Stiftung stocken den Topf weiter auf.

Ein Lenkungsausschuss aller Beteiligten zieht regelmäßig Bilanz. Dort entscheidet sich in öffentlich-privater Partnerschaft, wohin Geld fließt und damit, was Vorrang hat. Die Fachhochschule Potsdam begleitet das Projekt, und das Kompetenzzentrum Havelland steuert als „Agentur für bürgerschaftliches Engagement“ Ideen bei. Vier Modellregionen profitieren derzeit. Für förderungswürdig erachten die Havelländer dabei Mobilität, Gesundheit und Wohnen. Allerdings fällt auf, dass vor allem Projekte gefördert werden, die statt der jungen Zielgruppe eher der alten Generation entgegenkommen.

Was Gesundheit angeht, förderte der Topf den „Outdoor Bewegungspark“ mit Sportgeräten im Freien als eine Art moderner Trimm-dich-Pfad im städtischen Rathenow. Dieser soll besonders ältere Bürger ansprechen. Mobile Bürgerdienste in Nauen setzen Verwaltungsleistungen auf einen Tourenplan: Bürger können Hausbesuche buchen. Und die Mieterinsel in Nennhausen und Rhinow schafft Zugang zu Büchern, Computern und Mieterberatung.

Auch der sogenannte Rufbus in Nauen steht im Förderkatalog. Diese Idee soll das öffentliche Verkehrssystem bedarfsgerecht aufrechterhalten. Auf 260 Quadratkilometern leben in Nauen gut 16500 Einwohner in 14 Ortsteilen. Einige davon sind für jede Art Linienverkehr unrentabel, da zu klein. Der Kreis und ein privates Busunternehmen entwickelten daher einen Fahrplan, der aber nur gilt, wenn sich Fahrgäste finden und spätestens eine Stunde vorher telefonisch anmelden. Die Haltestellen tragen bereits ein eigenes R-Schild.

Zwar gibt es eine Art Kurier-, Post- und Linienbus auch bereits in der Uckermark, die gebündelte Steuerung von Schritten gegen die Verödung im Havelland weist über den Einzelcharakter aber hinaus. Das sonstige Nebeneinander kennzeichnet auch die landesweit im „Demografie-Forum Brandenburg“ gelobten lokalen Projekte.

Das Ziel „gleichwertiger Lebensverhältnisse“ in Deutschland, das der Bund mit „Jedes Alter zählt“ auch künftig aufrechterhalten will, hängt aber nicht allein von Einzelbereichen wie öffentlicher Mobilität ab. Auch strauchelte jüngst Brandenburgs Landespolitik bei Maßnahmen gegen die Entvölkerung. Sie setzte zu sehr auf Solartechnik und drängte der Branche Finanzspritzen auf. Doch die rot-rote Landesregierung beschreibt immerhin korrekt das beträchtliche Ausmaß des demografischen Wandels. So kam heraus, dass der Schwund alles andere als gleichmäßig erfolgt: „Die eine Hälfte der Bevölkerung konzentriert sich auf 15 Prozent, die andere Hälfte verteilt sich auf 85 Prozent der Landesfläche“, so das offizielle Szenario für 2030.

Potsdam ist froh über die Eigeninitiative der Havelländer. Das sei ein „bislang einmaliges Strategiepaket eines Landkreises“, lobte Staatskanzleichef Albrecht Gerber (SPD). Kurse und Freizeit- wie Behördenangebote können indes bestenfalls „Mosaiksteinchen im Umgang mit dem demografischen Wandel“ sein, so Nennhausens Amtsdirektorin Angelika Thielicke. Noch bevölkern 4767 Einwohner das Amt Nennhausen. Für 2030 rechnen Prognosen mit 3912.

Auch die mobile Gesundheitsberatung im Havelländischen Förderkorb täuscht nicht darüber hinweg, dass der große Wurf für eine Belebung des ländlichen Raums fehlt. Aus DDR-Zeiten fortbestehende Großbetriebe in der Landwirtschaft engen zudem im Agrarbereich Spielräume für neue Arbeitsplätze und damit gesteigerte Attraktivität ein.      Sverre Gutschmidt


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