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02.06.12 / Vor Zwangsarbeit nicht zurückgeschreckt / DDR ließ politische Häftlinge für Devisen arbeiten – Partner-Länder lieferten »Sklaven« für Schuldenabtrag

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-12 vom 02. Juni 2012

Vor Zwangsarbeit nicht zurückgeschreckt
DDR ließ politische Häftlinge für Devisen arbeiten – Partner-Länder lieferten »Sklaven« für Schuldenabtrag

Von der DDR zur Arbeit gezwungene politische Häftlinge kritisieren verstärkt West-Konzerne, die von ihrer Arbeit profitierten. Neben Ikea und Neckermann stehen zahlreiche Firmen unter Verdacht. Die Betroffenen fordern von der Politik eine Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft II“ in Anlehnung an die Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter. Der größte Profiteur, die Partei „Die Linke“ als Rechtsnachfolger der DDR-Staatspartei SED, bleibt indes unbehelligt. Auch die Frage der Ausbeutung von Ausländern durch die DDR ist nach wie vor offen.

„Ich würde es begrüßen, wenn westliche und vor allem bundesdeutsche Unternehmen, die in der DDR produzieren ließen, für Transparenz sorgen würden“, sagt der Stasi-Bundesbeauftragte Roland Jahn zu aktuellen Vorwürfen der Ausbeutung von DDR-Gefangenen. Seine Behörde ist nun bei betroffenen einstigen Zwangsarbeitern wie den bis Ende der 80er Jahre mutmaßlich profitierenden Konzernen gefragt. Es geht darum, wer alles an diesen allseits diskret abgewickelten innerdeutschen Beziehungen verdiente. „Zwischen 1974 und 1976 habe ich Bett- und Kopfkissenbezüge für den VEB Planet genäht“, sagte die Ex-Zwangsarbeiterin Tatjana Sterneberg jüngst dem „Handelsblatt“ und ergänzte: „Diese Bettwäsche habe ich nach meiner Entlassung bei Quelle und Neckermann gefunden.“ Neckermann hat „keine Kenntnis von solchen Vorgängen“. Mit bestenfalls geringsten Löhnen abgespeist, sahen politische Häftlinge der DDR sich enormem Arbeitsdruck ausgeliefert. Wer sich weigerte, war „Bodenschläfer“ ohne Bett und wurde geschlagen. Arbeitsnormen waren hoch, der Arbeitsschutz gering und selbst schwere Krankheit galt nicht als Befreiungsgrund. Der Vorsitzende der „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“, Hugo Diederich, spricht sich nun für eine Entschädigung aus: „Wenn die Firmen nicht mehr existieren, muss eben der Staat nach Möglichkeiten für eine Entschädigung suchen.“ Die Vereinigung beziffert die Gesamtzahl politischer Häftlinge in sowjetischer Besatzungszone und DDR mit rund 200000.

Die Bedingungen im DDR-Betrieb Mewa waren für Dieter Ott „menschenunwürdig“. Er stellte dort als Zwangsarbeiter Türgriffe, Scharniere und Rollen für Stühle her und entdeckte sie später bei Ikea. Ikea will jetzt mit Hilfe der Stasi-Unterlagenbehörde klären, ob Zwangsarbeiter tatsächlich Billy-Regale herstellten und damit eines der gefragtesten Möbelstücke auf dem deutschen Markt. Die Liste der Beteuerungen aus der Wirtschaft ist inzwischen lang: „Unsere Produkte sind definitiv nicht unter Zwangsarbeit in der DDR produziert worden“, so Michael Huggle, von 1975 bis 1996 Vorstand bei Schiesser. Underberg räumte hingegen ein, in Berlin-Lichtenberg beim „VEB Bärensiegel“ Kräuterschnaps abgefüllt zu haben, doch entbehre der Vorwurf, politische Gefangene seien für die Firma tätig gewesen, „jeder Grundlage“, so Underberg. Auch Beiersdorf weiß nichts über die Beschäftigung politischer Häftlinge, will „diesen Themenkomplex aber weiter untersuchen“.

Der Mythos volkseigener Produktion bricht so restlos zusammen. Nicht nur produzierte die DDR-Wirtschaft querbeet für den als „imperialistisch“ geschmähten Klassenfeind, um Devisen zu erhalten. Das belegen die aktuellen Angaben der Firmen eindrucksvoll. Sie führte auch im eigenen Land knappe Waren aus und verstärkte so Mangel und allgemeine Unzufriedenheit mit dem Regime.

Unzufrieden sind meist auch die über 20000 ehemaligen „Vertragsarbeiter“ aus Mosambik, in ihrer Heimat „Madgermans“, „irre Deutsche“ genannt, eine Verballhornung von „Made in Germany“. DDR-Funktionäre lockten sie mit dem Versprechen, viel Geld zu verdienen. Doch zahlte das sozialistische Deutschland ihnen bestenfalls 40 Prozent ihres Lohnes direkt aus. Weitere 17,4 Millionen US-Dollar überwies die DDR angeblich zusätzlich direkt an die Volksrepublik Mosambik und zahlte laut Akten dazu 18,6 Millionen Dollar Sozialversicherung. Doch die 1990 zur Rück-kehr gedrängten, heute meist arbeitslosen Vertragsarbeiter sahen dieses Geld nie. Sie vermuten, Mosambiks Regierung habe mit ihrem Arbeitseinsatz in der DDR Schulden bezahlt. Sie gelten in ihrer Heimat als Unruhestifter, weil sie die DDR bis heute an deren Selbstanspruch messen und faire Bezahlung einfordern. In ihrem improvisierten Hauptquartier in Maputo sind die Geschädigten überzeugt, dass mit dem Großteil ihrer Löhne Waffenlieferungen Ost-Berlins für Mosambiks Unabhängigkeitskampf bezahlt wurden. Seit 1979 bestand ein Freundschaftsvertrag mit der DDR. Einige Mosambikaner kehrten trotzdem ganz ohne Lohn und ohne Habseligkeiten aus der DDR mitnehmen zu dürfen zurück. Frauen, die schwanger wurden, mussten sofort heim. Zulasten der ihnen versprochenen Ausbildung schufteten die Mosambikaner bald nur noch in der Produktion der DDR und wissen bis heute ähnlich den politischen Zwangsarbeitern nicht, wie viel die DDR ihnen schuldet beziehungsweise an ihnen verdiente.  Sverre Gutschmidt


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