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02.06.12 / Kiewer Wirtshausszenen / Abstimmung über Sprachenstreit in der Ukraine grotesk eskaliert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-12 vom 02. Juni 2012

Kiewer Wirtshausszenen
Abstimmung über Sprachenstreit in der Ukraine grotesk eskaliert

Das politische Engagement der ukrainischen Abgeordneten und deren Leidenschaft für die Sache in allen Ehren; doch was die Welt am Donnerstag vor Pfingsten in der Kiewer Obersten Rada geboten bekam, war ein bisschen doll. Nach fruchtlosem Debattieren sah man fliegende Fäuste, zerrupfte Sakkos, zerrissene Hemden, blutende Platzwunden und im Getümmel miteinander ringende Männer. Eine kapitale Massenschlägerei im Parlament hat die Abstimmung über ein von der regierenden „Partei der Regionen“ initiiertes Sprachengesetz verhindert, welches nach Auffassung der Opposition das Russische in weiten Teilen des Landes faktisch zur Amtssprache machen würde.

Zu der wüsten Keilerei kam es am Abend, als oppositionelle Abgeordnete der Timoschenko-Fraktion unmittelbar vor der Abstimmung über den Gesetzesentwurf zur Stärkung von Minderheitensprachen zur Rednertribüne stürzten, die von Vertretern der Partei der Regionen umstellt war. Wladimir Litwin, Vorsitzender der „Werchowna Rada“, des nationalen Parlaments der Ukraine, war just im Begriff, die Stimmabgabe zu eröffnen – doch angesichts der sich im Nu entfaltenden Wirtshausszene schloss er die Versammlung und verließ rasch den Saal.

Im Ergebnis mussten zwei Abgeordnete im Krankenhaus behandelt werden: Mikol Petruk vom „Block Julia Timoschenko“ schleppte sich blutüberströmt aus dem Hohen Haus. Übel zugerichtet wurde auch der Verfasser des Gesetzentwurfs, der für seine pro-russische Haltung bekannte Volksvertreter der Partei der Regionen von Präsident Janukowitsch, Wadim Kolesnitschenko.

Nach der Vorlage Kolesnitschenkos bleibt Ukrainisch zwar die einzige Amtssprache, doch sollen im Verkehr mit Ämtern in Gebieten mit großen Konzentrationen nationaler Minderheiten und Volksgruppen auch die Sprachen dieser Minderheiten zugelassen werden. Nach Auffassung der Opposition bedeute das in der Praxis eine klare Bevorzugung des Russischen, denn im Osten und Süden der Ukraine, in dem großen Raum jenseits von Kiew, spreche die Mehrheit der Einwohner die Sprache der Moskowiter. „Die Vernichtung der Sprache bedeutet die Vernichtung des Vaterlandes“, steht denn auch auf einem Plakat, das Mitglieder der Opposition im Sitzungssaal aufhängten – welche die Blockade des Parlaments tags darauf fortsetzten.

Die russische Sprache der ukrainischen gleichzustellen, hatte Janukowitsch bereits in seinem Wahlkampf um die Präsidentschaft 2010 gefordert und versprochen. Die nächsten Parlamentswahlen stehen bereits Ende Oktober an. Seit der Machtübernahme jedoch hat der Abkömmling des rein russischsprachigen Donbass in der Angelegenheit eine Politik der ruhigen Hand gefahren: Obwohl seine Partei in der Rada über eine komfortable Mehrheit verfügt, ist nichts passiert.

Die Stellung der russischen Sprache im öffentlichen Leben der Ukraine ist ein Politikum. Die Ära als Sowjetrepublik wird unter nationalbewussten Ukrainern als Okkupation empfunden, die die Nation an den Rand des Ausgelöschtwerdens gebracht habe: Dem Hunger-Genozid zu Beginn der 30er Jahre fielen viele Millionen Bauern zum Opfer. Ein großer Teil der mittleren und alten Generation unter der Bevölkerung in den östlichen Gebieten beherrscht als Folge der Russifizierungspolitik zu Sowjetzeiten das Ukrainische weder schriftlich noch mündlich.             CR


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