19.04.2024

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02.06.12 / Die ostpreussische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-12 vom 02. Juni 2012

Die ostpreussische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

ein Thema beschäftigt unsere Landsleute doch sehr, es geht um den „letzten Zug“, der bei uns immer noch auf Halt steht. Und es ist nicht schwer zu orakeln, dass er noch lange nicht auf das Abstellgleis geschoben wird, wie Frau Karla Gabbey aus Bremen vorausschauend meint. So ist es, denn es kommen immer neue Zuschriften zu diesem Thema der unterschiedlichsten Art wie die von Frau Gabbey, die sich vor allem mit dem Zeitproblem befasst, denn da kommt man schon leicht durcheinander. Ich auch, denn ich könnte heute meinen Fluchtweg nach dem Kalender nur schwer auflisten und anderen dürfte es noch schwerer fallen. Wer wochenlang unterwegs war, immer nur nach der nächsten Bleibe suchend, der wusste wirklich nicht mehr, welches Datum gerade der Kalender zeigte. Auch im Nachhinein können sich Fehler einstellen, wie bei unserem Landsmann aus Bad Lippspringe, der seinen ersten Fluchttag auf den 23. Januar 1945 verlegte, und ich hatte die Angabe so übernommen, ohne nachzuforschen. Es war aber der 22. Januar gewesen, wie einige Leser sofort korrigierten, und unser Landsmann war doch sehr betroffen, welches „Chaos“ er angerichtet hatte. Anscheinend haben manche Schreiber den Zeigefinger allzu hoch gereckt – den bekam ich übrigens auch zu spüren! –, aber Korrekturen können auch versöhnlicher angebracht werden, das tut mir und unserer ganzen Ostpreußischen Familie gut.

Ein gutes Beispiel liefert da Frau Gabbey, die uns ihre Recherche mitteilt, denn auch sie wollte ihre Datumsangaben absichern. Sie ist eine geborene Neumann und stammt aus Pobethen an der samländischen Westküste. Als Lehrerin unterrichtete sie an der Hindenburg-Volksschule bis zum 24. Januar, an dem Tag wurde der „Lehrbetrieb“ beendet und die Kinder wurden heimgeschickt. Es war ein Mittwoch, an dieses Datum kann sie sich genau erinnern, weil es der Geburtstag ihrer Schwester war. Die Bestätigung der Richtigkeit holte sie sich aus dem Buch „Unternehmen Rettung“, das die Flucht über See behandelt und in dem es im letzten Abschnitt heißt: „Am Nachmittag dieses 30. Januar, es ist ein Dienstag …“ Frau Gabbey meint: „Ich betrachte dies als Untermauerung meiner Angabe, da die Marine doch glaubwürdige Daten notiert und gemeldet hat.“ Sie hat vom 30. Januar rückwärts alle Tage bis zum 21. Januar 1945 aufgelistet, der also ein Sonntag war, wie wir auch bereits richtiggestellt hatten. Vielen Dank, liebe Frau Gabbey, für Ihre Mühe und den von Ihnen übermittelten Dank für unsere „immense Arbeit für uns Ostpreußen, die jede Woche immer gleich groß ausfällt“. Das ist nach echt ostpreußischem Rezept „Ölke oppet Seelke“.

Und eine ganz genaue Absicherung des genannten Datums liefert die Kopie eines „Immerwährenden Kalenders zur Ermittlung von Sonn- und Feiertagsfahrten“, die uns Herr Karl Goedsche aus Waldsassen übersandte, um nach seinen Worten „der Datumsverwirrung ein Ende zu bereiten“. Zwar trug das Blättchen auf den ersten Blick zu meiner eigenen Verwirrung bei, denn die Zahlenangaben sind so klein gehalten, dass ich doch zur Lupe greifen muss, zumal auch die Gebrauchsanweisung selbst für meine kurzsichtigen Augen kaum leserlich ist, aber ich werde üben und anhand dieses „Immerwährenden Kalenders“ auch für weitere Fälle gerüstet sein, auch wenn es sich nicht um Sonn- und Feiertagsfahrten, sondern um Fluchttage handelt. Auch Herr Goedsche, dem ich herzlich für diese Hilfe danke, war damals als 16-Jähriger auf der Flucht von Angerburg in Richtung Frisches Haff.

Unser „letzter Zug“ macht heute nur einen Ruck und den noch rück­wärts, denn Frau Edelgard Hesse aus Cribitz beginnt ihren langen Brief mit den Worten: „Oft wird oder wurde darüber berichtet, wann der letzte Zug in Richtung Westen die ostpreußischen Städte verließ. Ich aber habe eine Frage in umgekehrter Richtung.“ Also nach Osten, das heißt in Richtung Grenze, obgleich die damals schon der Russe überschritten hatte. Genaue Daten gibt die Schreiberin nicht an, aber um die geht es auch nicht, sondern um das Schicksal ihrer Mutter, deren Ängste und Zweifel, die der Tochter erst bewusst wurden, als sie mit dem Schreiben der Familienchronik begann. Auch um die vielen Glücksfälle, die den Lebensweg der jungen Frau in den entscheidenden Phasen begleiteten, die ihre Tochter Edelgard jedenfalls als solche bezeichnet, weil sie die vielleicht klarer erkennt, als es je die Mutter vermochte.

Edelgard Hesse wurde 1943 in Riesenburg geboren. Es war die Heimatstadt ihrer Mutter Hedwig Bendig geborene Freitag, deren Mutter Anna Freitag dort als Schneidermeisterin tätig war. Die Tochter lernte bei ihr ebenfalls das Schneiderhandwerk und war in ihrem Betrieb tätig, bevor sie Gustav Bendig aus Bialla 1939 heiratete, einen Angehörigen der deutschen Wehrmacht, der in Lyck stationiert war. Dorthin zog das junge Ehepaar, aber ihr erstes Kind brachte die Hedwig Bendig in Riesenburg zur Welt. Sie ließ es auch in der Obhut der Mutter, als sie wieder nach Lyck zurückkehrte. Warum sie das tat, erklärt Frau Hesse mit den Ängsten um die Zukunft, die ihre Mutter hegte, da diese nicht an einen Endsieg glaubte. Sie wiegte ihr Kind in Sicherheit bei der Großmutter in Riesenburg, ließ sich sogar als „Rabenmutter“ bezeichnen. Dies muss schmerzlich für sie gewesen sein, wie die Tochter glaubt, schmerzlich wie der Abschied von ihrem Kind bei ihren kurzen Besuchen in Riesenburg. Als die Front näher rückte, vertraute sie sich einer Frau in Lyck an, die sich als erster der bereits erwähnten Glücksfälle erwies. Sie riet Frau Bendig, ihrer Mutter zu übermitteln, eine Eingabe an die Behörde zu machen, dass ihre Tochter für ihre Schneiderei, die als kriegswichtiger Betrieb galt, dringend benötigt werde. Sie hatte Erfolg, Frau Bendig durfte Lyck verlassen. Sie zog also nach Riesenburg, kehrte aber noch ein paar Mal nach Lyck zurück, um noch etwas Hab und Gut zu retten. Beim letzten Versuch fuhr kein Personenzug mehr ostwärts, nur Wehrmachtszüge. Auf ihre Bitte, sie mitzunehmen, fragten die Soldaten entsetzt, was sie denn noch in Lyck wolle, ließen sie dann doch in einen Zug einsteigen. In Lyck hörte man schon den Kanonendonner, Frau Bendig gelang es aber dann doch, nach Riesenburg zurückzukehren. Von dort aus erfolgte die Flucht mit Mutter, Tochter und anderen Verwandten über die nahe Weichsel bis nach Berlin und Güstrow als Endstation des Fluchtweges. Die Wohnung in Lyck wurde kurz nach ihrem endgültigen Verlassen von einer Bombe getroffen, die sich als Blindgänger erwies.

Über diese Vorgänge hat Frau Bendig erst kurz vor ihrem Tod gesprochen, aber die Ängste und Vorwürfe, die sie als „Rabenmutter“ gequält hatten, wurden der Tochter nun beim Erarbeiten der Familiengeschichte bewusst. So bekam die von ihrer Mutter gesprochene Mahnung: „Hinterfrage jedes Handeln, bevor du urteilst!“ eine ganz andere Bedeutung. Und nun möchte Frau Hesse die Geschehnisse um ihre Mutter in Lyck und Riesenburg zeitlich einordnen und hofft, mit Hilfe von Heimatfreunden Näheres erfahren zu können. Da ist die Frage, wann der letzte Personenzug aus westlicher Richtung Lyck erreichte. Wann erfolgte der Bombenangriff auf die Stadt, bei dem die Hindenburgstraße getroffen wurde, die elterliche Wohnung befand sich im Haus Nr. 38. Ab wann wurden Frauen zum Kriegsdienst in Lyck eingesetzt? Wer kannte Frau Hesses Eltern aus ihrer Zeit in Riesenburg und Lyck? Das sind die Fragen, die Frau Hesse aufgelistet hat, aber vielleicht ergeben sich auch noch weitere Beziehungspunkte anhand der Aufzeichnungen. Sie würde sich über jede Zuschrift, jeden Anruf freuen. (Edelgard Hesse, Weinbergstraße 38 in 19089 Criwitz, Telefon 03865/222577.)

In den letzten Monaten wenden sich verstärkt Autoren und Wissenschaftler an uns auf der Suche nach Zeitzeugen. Da ist man als 96-Jährige mit einem guten Gedächtnis, durch lebenslange Kontaktpflege geschult, schon gefragt. Und das ist auch unsere Ostpreußische Familie, denn es gibt kaum eine Folge, in der nicht Zeitzeugen gesucht werden. Heute ist es Herr Michael Paul aus Freiburg, dessen Anfrage so lautet: „Ich bin Buchautor und in den Recherchen zu einem neuen Roman, der mit seiner Handlung eingebunden sein wird in die Ereignisse 1945/46 mit dem Fall von Königsberg und der Flucht über Pillau und Danzig/Gotenhafen bis nach Schweden. Dabei spielt ein Hauptmotiv des historischen Rahmens die Flucht von zirka 3000 deutschen und baltischen Soldaten über die Ostsee nach Schweden und deren spätere Auslieferung nach Russland im November 1945/Januar 1946. Diese Auslieferung wird als ,Der Sündenfall Schwedens‘ bezeichnet. Ich habe auch einen persönlichen Bezug dazu, da mein Großvater in Königsberg in russische Gefangenschaft geriet und ich Eindrücke durch über 100 Postkarten und Briefe aus der Kriegs- und Gefangenschaftszeit 1944 bis 1948 habe.“ Herr Paul versucht nun, Kontakte zu fachkundigen Personen zu bekommen und Zeitzeugen zu finden, aber das dürfte aus Altersgründen schon schwieriger sein, wie er meint. Ich bin da etwas hoffnungsvoller und bitte unsere Leser aus der Erlebnisgeneration, die er zu verschiedenen Vorgängen dieser Zeit befragen möchte, sich bei ihm zu melden. (Michael Paul, Engelbergerstraße 19 in 79106 Freiburg, Telefon 0761/20254, Fax 0781/2025485, Mobil: 0171/209578, E-Mail: info@braintools.de, www.braintools.de)

Aus dem mit vielen Anlagen versehenen Schreiben von Herrn Martin Schröder aus Detmold, mit denen ich mich noch eingehend beschäftigen muss, will ich heute nur einen kleinen Wunsch entnehmen. Als Schüler nahm er an einem Ausflug nach Königsberg teil, bei dem auch ein Opernbesuch auf dem Programm stand. Anscheinend stimmten sich die jungen Besucher schon auf diesen ein, denn die größeren Schüler sangen auf der Hinfahrt ein Lied, das ihm unbekannt war und auch heute noch ist. Es beginnt mit: „Wer steht denn da am Ufer und schauet aufs Meer …“ Im weiteren Text heißt es dann: „… es ist ja Luise, wo sehnt sie sich hin?“ Herr Schröder fragt, ob dieses Lied eine Beziehung zu der Königin Luise habe? Ich kenne es nicht, habe es nie gehört, und reiche die Frage deshalb an unsere Leserschaft weiter. Die wird es – wie gewohnt – schon richten. (Martin Schröder, Rosenstraße 17 in 32756 Detmold.)

Eure Ruth Geede


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