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09.06.12 / Verstoßenes Lieblingskind der Leitmedien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-12 vom 09. Juni 2012

Moment mal!
Verstoßenes Lieblingskind der Leitmedien
von Klaus Rainer Röhl

Dummerhaft waren wir beide. Mein Schulkamerad Günter Grass aus der Parallelklasse am Danziger Edel-Gymnasium „Conradinum“ und ich. Grass, weil er nach eigenem Bekunden bis zuletzt an den „Endsieg“ glaubte, ich, weil ich in einem westpreußischen Dorf mit polnischer Minderheit, 1944 zum Kartoffelbuddeln abkommandiert, nachts mit einigen Kameraden durch den Ort marschierte, wobei wir mit größter Lautstärke die polnische Nationalhymne „Noch ist Polen nicht verloren!“ sangen. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, sangen wir dazu noch „Haut den Hitler aus dem Anzug, haltet in Berlin Einzug!“ Dummerhaft war wohl beides. Die Melodie der Nationalhymne war in Wirklichkeit die italienische, und für den Text hätten wir alle ins Jugendstraflager kommen können. Und der Endsieg – war schon längst verpasst. Beide hatten wir uns übrigens, wie damals alle Oberschüler, freiwillig gemeldet, weil man, so hieß es, sich dann die Waffengattung aussuchen könnte. Grass wollte zur Marine. Die Listen der Freiwilligen landeten später bei der SS, und sowohl Grass als auch ich bekamen eine Einberufung zu dieser Truppe. Hier endet die Parallele. Grass rückte bei der SS ein und kam zum Fronteinsatz. Ich ließ den Gestellungsbefehl verschwinden und meldete mich bei der Wehrmachtserfassungsstelle. Am Besenbinderhof in Hamburg war das. Drei Wochen später war der Krieg aus.

Erst viel später sahen wir uns wieder. Grass hatte inzwischen Karriere gemacht und mischte sich massiv in die Politik ein, als Anhänger von Willy Brandt schrieb er Wahlaufrufe und organisierte ganze Kampagnen mit. Ich hatte die Zeitschrift „konkret“ gegründet, die nach dem Bruch mit der KPD nun unabhängig und bald die größte linke Publikumszeitung geworden war. In Sigtuna in Schweden, wo die Gruppe 47 1964 tagte, durften mein Freund Peter Rühmkorf und ich mit Grass Pilze sammeln und seine schmackhaften Maronen und Pfifferlinge verkosten, die er auf einer Kochplatte zusammenbrutzelte.

Während der späten 60er Jahre kam Grass gelegentlich nach Hamburg und spielte mit Rühmkorf, meiner Frau Ulrike und mir Skat. Dann begann die schlimme Zeit: Ulrike Meinhof spielte nicht mehr Skat, sondern Krieg, Terror traf auf Gegengewalt, und nach Willy, für den Grass getrommelt hatte, kam Helmut Schmidt und machte dem Schrecken vorläufig ein Ende.

Grass mischte sich, während er ein Buch nach dem anderen schrieb, kräftig in die deutsche Politik ein, und alle, aber auch alle Linken und Intellektuellen lobten ihn dafür und druckten seine Aufrufe. Als in Griechenland 1968 eine Militärdiktatur errichtet wurde und Oppositionelle gefoltert und auf Strafinseln verbannt wurden, fuhren griechische Mitarbeiter der „Deutschen Welle“ zu Grass und baten ihn um Hilfe. Grass hielt daraufhin 1973 im Goethe-Institut in Athen eine Rede für die Demokratie, die nachhaltig eine Hilfe für die dortige Opposition war und bis heute noch in guter Erinnerung ist. Und der Dichter mischte sich weiter in die Politik ein, wo immer es ihm angeraten schien, und alle lobten ihn und dankten ihm dafür.

Das änderte sich bereits, als er 2006 in „Im Krebsgang“ das Schicksal der Vertreibung der Deutschen und die Millionen Opfer sowie die völkerrechtlich zumindest fragwürdige Torpedierung der „Wilhelm Gustloff“ und ihr Untergang mit 10000 Toten thematisierte. Es schien, als hätte der Parteigänger der SPD und ihrer Ostpolitik zum ersten Mal die privaten Schicksale der Vertreibung, die irgendwo in seinem Privatgedächtnis schlummerten, zum Thema gemacht und die Opfer nicht dem Vergessen überlassen wollen. Die üblichen Verdächtigungen wurden bald laut, aber der Danziger wusste, dass man die Schilderung alliierter Kriegsverbrechen in Deutschland nur verbreiten darf, wenn man sie stets mit einer Art „Warnhinweis“ auf Hitlers Morde versieht, ohne den auch keine Fernsehdokumentation von Guido Knopp über die Gräuel bei der Vertreibung auskommt. Aber der Bann des gewünschten Vergessens aller an Deutschen begangenen Verbrechen war einmal gebrochen, und die Warnhinweise wirkten bald auf die aufmerksamen Kontrolleure des Zentralrats der Juden und ihre publizistischen Helfer im Springer-Konzern wie Pflichtübungen eines heimlichen Sympathisanten der Nazis.

Polemiker, wie der aus kleinen Anfängen zu großem Einfluss aufgestiegene, zur Zeit vornehmlich in der „Welt“ publizierende deutsch-jüdische Schriftsteller Henryk M. Broder, empfanden es als witzig, Menschen wie Alice Schwarzer, Sybille Tönnies, den kürzlich verstorbenen Christoph Schlingensief und den Verfasser als Leute zu beschimpfen, die nur durch das Kriegsende gehindert gewesen seien, ihre Eignung als Kulturreferenten im Generalgouvernement Polen unter Beweis zu stellen.

Wie viel mehr mussten die Tugendwächter der politischen Korrektheit Verdacht schöpfen wegen einer scheinbar ganz unpolitischen Arbeit von Grass, einer umfangreichen, aufwendig gedruckten und bebilderten Liebeserklärung an die deutsche Sprache und die Brüder Grimm unter dem Titel „Grimms Wörter“, über die ich kürzlich an dieser Stelle berichtet habe. Auch ich freilich mit einem Warnhinweis, dass die in das Werk eingelassenen „Gedichte“ auf eine unglückliche Liebe des großen Prosa-Dichters zur Lyrik schließen ließen. Darauf kommen wir noch zurück.

Bereits in seiner Biografie „Beim Häuten der Zwiebel“ häufen sich die Hinweise darauf, dass Grass in den Augen des Tugendterrors ein verkappter Patriot, wenn nicht Schlimmeres sein müsse, hat er dort nicht nur über ein Hungerlager in der amerikanischen Besatzungszone berichtet, sondern gleich zweimal erwähnt, dass der US-Finanzminister Morgenthau die Deutschen mit einem Tagessatz von 1000 Kalorien praktisch verhungern lassen wollte.

Das alles muss man im Gedächtnis behalten, wenn man die aufgeregten Reaktionen auf das Gedicht „Was gesagt werden muss“ verstehen will, die die unverhohlene Meinung des Nobelpreisträgers wiedergab, dass Israels illegale, durch keinerlei Abkommen erlaubte Ausrüstung mit Atomwaffen zusammen mit Drohungen über ihren eventuellen Einsatz gegen Teheran eine schwere Gefährdung des Weltfriedens darstellt. Die Reaktion war radikale Ablehnung, ja, man muss schon sagen, Hass gegen den Dichter, und dieser Hass war noch so groß in der deutschen – tatsächlich recht gleichgeschaltet wirkenden deutschen Medienlandschaft, dass er noch auf eine Solidaritätsadresse des Nobelpreisträgers an die Griechen übertragen wurde. An die Menschen Griechenlands, die von falschen Politikern regiert, in eine schwere, wirtschaftliche Depression geführt wurden. Für Grass die Fortsetzung seines Engagements für die griechische Demokratie von 1973.

Für seine Gegner ein Anlass, den unliebsamen Kritiker mit einer Welle von Hohn zu überschütten. Kein Wort über das Gedicht. Hier gilt mein Satz, dass Lyrik immer eine unglückliche Liebe des großen Prosaschriftstellers war, dessen schlechtester Roman immer noch besser ist als die gesamte deutsche Nachkriegs-Prosa. Aber die Polemik gegen den Dichter hat klare politische Motive. Und lächerlich ist nicht Günter Grass, sondern das plumpe Nachplappern der Parolen der Leitmedien.


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