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09.06.12 / Kopien sind auch nur Originale / Mach’s noch einmal: Ein Déjà-vu der besonderen Art in der Kunsthalle Karlsruhe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-12 vom 09. Juni 2012

Kopien sind auch nur Originale
Mach’s noch einmal: Ein Déjà-vu der besonderen Art in der Kunsthalle Karlsruhe

Vor 500 Jahren ereiferte sich Albrecht Dürer gegen die Fälschung seiner Druck­grafiken mit einer schriftlichen Warnung unter seinem Holzschnitt „Die Verehrung Mariens“ (um 1502): „Wehe dir, Betrüger und Dieb fremder Arbeitsleistung und Einfälle, lass es dir nicht einfallen, deine dreisten Hände an diese Werke anzulegen!“ Gegen künstlerisch motiviertes Kopieren hatte er jedoch nichts einzuwenden. Das betrieb er nämlich selbst, wie seine Federzeichnung „Die Muse Thalia“ (1494/95) beweist. Als Vorlage diente ihm der Kupferstich (1465) eines anonymen Meisters aus Ferrara. Dürer: „Aus wem ein großer, kunst­reicher Maler werden soll, der muss von guten Meistern viel kopieren, bis er eine freie Hand erlangt.“

Den vielfältigen Formen, Funktionen und Motiven der mit künstlerischem Anspruch geschaffenen Wiederholung von Werken ist in der Kunsthalle Karlsruhe eine aufschlussreiche Schau gewidmet. Sie will Anwalt der Kopie als Original sein. Aufgeboten sind 120 Werke von 81 Künstlern aus den letzten 700 Jahren. Pia Müller-Tamm, Direktorin der Kunsthalle, erläutert: Die Ausstellung „zeigt uns das Neue als Rekurs auf das Alte, die Kunstgeschichte als ein System von Aneignungen und Ableitungen“.

Nicht selten hat gerade die Kunst der Wiederholung den Ruhm der Schöpfer der Originale gefestigt. Das veranschaulichen die drei fast identischen Gemälde „Anbetung der Könige im Schnee“. Geschaffen wurden sie von Pieter Brueghel dem Jüngeren (1564–1637/38) und seinen Werkstattmitarbeitern nach dem Original von Pieter Bruegel dem Älteren (1520/30–1569). Ausstellungskuratorin Ariane Mensger kommentiert: „Indem der Sohn die Bilder des Vaters kopierte, variierte und in dessen typischem Stil auch neue Motive entwickelte, prägte er das Bild Bruegels für die Nachwelt und sicherte ihm dadurch den großen, bis heute anhaltenden Ruhm.“

Oft werden bei der künstlerischen Aneignung eines Werkes Veränderungen vorgenommen, die das kopierte Werk in einen neuen Zusammenhang überführen. Das wird schon durch den Wechsel des Mediums anschaulich. So hat etwa Johann Geminger den von Dürer geschaffenen berühmten Kupferstich „Ritter, Tod und Teufel“ (1513) in ein farbenprächtiges Gemälde (um 1600) übertragen. Und aus Francis­co de Goyas großartiger kleiner Radierung „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ (1797/98) ist unter der Regie Yinka Shonibares eine fast zwei Meter hohe, irritierend lebendig wirkende Farbfotografie mit echtem Darsteller sowie ausgestopften Tieren – Luchs, Fledermäusen und Käuzchen – geworden.

Wiederholt ist das Vorbild in der Neuinterpretation kaum wiederzuerkennen. Das beweisen drei Bilder, auf denen Maria den sterbenden Christus beweint. Das erste in der Reihe ist die von Eugène Delacroix gemalte „Pietà“ (um 1850). Getreu, aber seitenverkehrt wurde sie von Célestin-Francois Nanteuil in eine Lithografie (1853) übersetzt. Die schwarzweiße Lithografie wiederum wurde für Vincent van Gogh zum Auslöser eines kreativen Prozesses: In seinem Gemälde „Pietà (nach Delacroix)“ identifiziert sich van Gogh mit dem gemarterten Heiland, indem er seine Gesichtszüge auf dessen Antlitz überträgt.

Kuratorin Mensger zieht das Ausstellungsfazit: „Jede Kopie ist ein Original im Hinblick auf den, der sie geschaffen hat.“ VMT

„Déjà-vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube“ bis 5. August in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, Hans-Thoma-Straße 2-6. Informationen: Telefon (0721) 9263359, Internet: www.kunsthalle-karlsruhe.de. Eintritt: 8 / 6 Euro.


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