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09.06.12 / Tuchfabrik war Anfang / Geschichte der Quandts

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-12 vom 09. Juni 2012

Tuchfabrik war Anfang
Geschichte der Quandts

Für den Historiker Jo-achim Scholtyseck von der Bonner Universität war es das große Los. Er gewann 2007 mit seinem wissenschaftlichen Team die offizielle Ausschreibung der Familie Quandt, eine Unternehmensgeschichte über diese reiche Industriellenfamilie zu schreiben. In ihrem Besitz sind bis heute große Beteiligungen am Autohersteller BMW, dem Chemiekonzern Alta-na und anderen Firmen. Das Team um Scholtyseck durchforstete 50 Archive und stellte eine Unternehmensgeschichte zusammen, die tatsächlich das Prädikat „objektiv“ verdient und dabei die Familie Quandt nicht immer im besten Licht erscheinen lässt.

Der Erfolg der Quandts begann mit der Tuchfabrik Gebrüder Draeger, die der Unternehmensgründer Emil Quandt im brandenburgischen Pritzwalk ab Mitte des 19. Jahrhunderts als Geschäftsführer leitete. Er galt in der märkischen Provinz bald als arriviert und legte den Grundstein für den heutigen Familienbesitz. Günther Quandt, sein ältester Sohn, modernisierte die Tuchfabriken, erweiterte seinen Aktionsradius und erwarb ab 1922 die weltweit operierenden Akkumulatorenwerke (AFA), die späteren „Varta“-Werke. Damit sicherte er sich die Eintrittskarte in den weltweit prosperierenden Markt der Elektrobranche.

Aufgrund seiner Recherchen wirft Scholtyseck vor allen Dingen Günther Quandt in der Zeit des Nationalsozialismus „politischen Opportunismus und grenzenlosen Moralverlust“ vor. So lässt sich im Nachhinein leicht urteilen. Noch 1944 wurde jedem renitenten Unternehmer, wie zu lesen ist, von der Staatsführung angedroht, vor dem eigenen Firmentor aufgehängt zu werden, wenn man nicht die Maßgaben des Regimes erfüllte. Trotz mancher Schattenseite in ständig wechselnden politischen Gegebenheiten gilt Günther Quandt wegen seiner phänomenalen Auffassungsgabe und Flexibilität als genialer Unternehmenslenker. Bis in die frühe Bundesrepublik lenkte er die Geschicke der verschiedenen Quandt-Firmen. Sein Sohn Herbert (1910–1982), der „Retter von BMW“, übernahm dann in dritter Generation die Firmengeschicke. In vierter Generation führt heute Stefan Quandt zusammen mit anderen die Quandt-Gruppe.

Seit jeher galten die Quandts nicht nur wegen ihrer Herkunft aus Brandenburg als „preußisch“. Dies zeigte sich auch in ihrem Lebensstil, als die Familie nach dem Zweiten Weltkrieg in einem kleinen Haus in einem niedersächsischen Kiefernwald lebte und von dort die Firma wieder aufbaute. Bis heute ist ihr Lebensstil von Bescheidenheit und Zurückgezogenheit geprägt, wie das Team um Scholtyseck bei persönlichen Besuchen bei den Familien Quandt und Klatten erstaunt feststellte. Vor den Forschern verschlossen die Eigentümerfamilien aber nicht das Familienarchiv und beantworteten jegliche Fragen. So liegt mit diesem dicken Werk eine einzigartige Familien- und Unternehmensgeschichte vor, die ihresgleichen sucht. Dazu trägt nicht nur die sorgfältige Recherche, sondern auch die gute Lesbarkeit bei. H. E. Bues

Joachim Scholtyseck: „Der Aufstieg der Quandts. Eine deutsche Unternehmerdynastie“, C. H. Beck, München 2011, geb., 1184 Seiten, 39,95 Euro


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