29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
16.06.12 / Neu entdecken, nicht nur feiern / Nürnberg zeigt die größte Dürer-Ausstellung in Deutschland seit 40 Jahren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-12 vom 16. Juni 2012

Neu entdecken, nicht nur feiern
Nürnberg zeigt die größte Dürer-Ausstellung in Deutschland seit 40 Jahren

Albrecht Dürer war der erste deutsche Künstler, der schon zu Lebzeiten europaweites Ansehen genoss. Zum ersten Mal überhaupt widmet sich eine große Ausstellung dem frühen Werk Dürers und den Lebensumständen des jungen Malers, die sein einzigartiges Werk erst möglich machten. Erstmals wird seine künstlerische Entwick­lung in den Kontext der Zeit gestellt, um Dürer aus der Isolation der Genie-Ästhetik zu befreien.

Ist Albrecht Dürers „Haller-Madonna“, um 1498 als Auftragswerk für die Nürnberger Patrizierfamilie Haller entstanden, wirklich ein „Glanzstück“? Die Washingtoner „National Gallery of Arts“ hat sie als Leihgabe dem Nürnberger Germanischen Nationalmuseum überlassen, wo Kurator Daniel Hess die Ausstellung „Der frühe Dürer“ ausrichtet, die noch bis zum 2. September zu bewundern ist. Wusste Dürer-Experte Hess nicht, dass dieses Gemälde vielfach als „gescheitert“, ja „verunglückt“ gilt, weil der Arm des Jesuskindes anmutet wie „verkehrt herum“ angefügt? Und wie konnte so etwas Dürer passieren, der sich zeitlebens um exakteste Darstellung des menschlichen Körpers mühte?

Um die Antworten mögen sich die Besucher – die Veranstalter rechnen vorsichtig mit „über 100000“ – selber in einem ehrfurchtgebietenden Bilderreigen mühen. Dürers Œuvre umfasst rund 900 Handzeichnungen, 350 Holzschnitte, 100 Kupferstiche und 70 Gemälde. In Nürnberg sind 197 Kunstwerke zu sehen, von ihnen 120 Dürer-Originale, zusammengetragen von 51 Leihgebern aus 12 Nationen. „So gewaltige Bilder hatte die Menschheit bis dahin nicht gesehen“, frohlockte Kurator Hess während der Ausstellungseröffnung. Wie die Ausstellung im Titel sagt, geht es um den „frühen Dürer“, also die Jahre 1484 bis 1505, beginnend mit dem Selbstporträt des damals 13-Jährigen und endend bei einer ersten „Summe seiner praktischen Erfahrungen“.

Zu Dürers Lebzeiten ereigneten sich Großtaten der Neuzeit: Columbus entdeckte Amerika, es begann der Aufstieg der Fugger, Portugiesen überquerten den Äquator, Copernicus begründete das heliozentrische Weltbild. In Nürnberg mit seiner ökonomischen Dynamik, technischen Innovationskraft und künstlerischen Universalität konnte ein Genie wie Albrecht Dürer förmlich alle seine Anlagen ausbilden. Sein Lehrer Michael Wolgemut unterwies ihn in seltener Vielfältigkeit, Freunde und Förderer wie Martin Schongauer und Willibald Pirckheimer waren ihm „Türöffner“ zu höchsten Würdenträgern, Reisen führten ihn an den Oberrhein, nach Italien und in die Niederlande und machten ihn mit neuen Einflüssen vertraut. Dürer, der schon 1487 zur „Schedelschen Weltchronik“ beitragen oder 1494 seinen berühmten Nürnberger Landsmann Sebastian Brant, den Verfasser des „Narrenschiffs“ und Berater des damaligen Kaisers, porträtieren durfte, vereinte Können und Glück. Auf neue Entdeckungen gehen moderne Forscher aus, wenn sie beispielsweise mittels Infrarotreflektografie und Makrofotografie Zeichen freilegen, die Dürer gar nicht gepasst hätten – wie Daniel Hess mutmaßt: „Dürer hat alle Spuren seines mühsamen künstlerischen Prozesses verwischt. Er wollte steuern, welches Bild von sich er der Nachwelt überliefert“.

Kunst, so Dürers Credo, muss „gwaltig“ sein, der Künstler „gewaltzam“, was nicht mit „brachial“ zu übersetzen ist: Mit welcher Akribie Dürer Rasenstücke oder venezianische Trachten zeichnete, wie er Landschaften im Bildhintergrund zu eigenen Kunstwerken ausformte, Barthaare und Hasenfelle mikroskopisch ausstrichelte, in Naturbildern ganze Partien unvollendet ließ, um die Bewältigung schwieriger Details deutlich zu machen, wie er Anatomie darstellte, weibliche und männliche, wie er am Maul einer Kuh Schattierungen von Nässe herausarbeitete oder den Schmerz am „Kopf des toten Christus“ – das und vieles mehr machte ihm wahrhaft niemand nach. Und wenn er jemanden nachmachte oder kopierte, dann überbot er das Original um Längen, wie die Ausstellung in aufschlussreichen Gegenüberstellungen dokumentiert. Dürer hatte eine hohe Meinung vom Rang der eigenen Kunst, weswegen er sein weltberühmtes AD-Signet ganz gezielt als Gütesiegel einsetzte. Dass seine Werke anderen zugeschrieben wurden, ist wohl mitunter in seiner Lehrzeit geschehen, später gewiss nicht mehr. Seine Bilder, heißt es in der Ausstellung, sind „Ego-Dokumente“, Zeugnisse moderner Individualität, die sich auch noch auszahlte: Dürer besaß früh eine eigene Werkstatt und wurde ab 1499 als Porträt- und Sakralmaler mit Aufträgen förmlich eingedeckt. Natürlich fürchtete er die „apokalyptischen Reiter“, die er selber gezeichnet hatte, Krieg, Teuerung und Tod, aber „bschiss“ durch kriminelle Partner erlitt er nur selten, verdiente vielmehr gut und dauerhaft. Kaiser Maximilian gestattete ihm 1511 das Alleinrecht auf Druck und Verkauf seiner Werke, Kaiser Karl V. gewährte ihm 1520 ein „leibgedings“, eine jährliche Rente von 100 Gulden.

Dürer malte auf Holz oder „Tüchlein“ (Leinwand), er arbeitete „in unterschiedlicher Weise“ – mal profitable Massenware wie Spielkarten oder 1498 die „Apokalypse“, eine Bilderserie zum Weltuntergang, dann wieder in zeitraubender Akribie und minutiöser Vollendung, die er selber als unbezahlbar ansah. Differenzen in Sujet und Technik waren normal, nie in der Qualität. In seiner Sichtweise der Kunst kannte Dürer keine Konzessionen: Kunst ist Nachahmen der Natur und Verständnis der Gesetzmäßigkeiten von Proportionen des menschlichen Körpers. Alles künstlerische Schaffen vollzieht sich in vier Kategorien: Die „Norm“ will erkannt und angewendet werden, die „Ambition“ lässt den Künstler immer wieder seine Grenzen ausloten, die „Perfektion“ ist das Ziel aller Kunst, ihre „Autonomie“ liegt in eigenen Gesetzen, die alle vom Alltag wegführen. Das Ergebnis fand stets Bewunderer wie beispielsweise den Kunsttheoretiker Heinrich Wölfflin, der 1905 urteilte: „Manchmal möchte man sagen, die Zeichnung koche. So sehr sind alle Linien in Wallung geraten, dass gar nichts still bleibt“. Wolf Oschlies

„Der frühe Dürer“, noch bis 2. September, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Kartäusergasse 1, 90402 Nürnberg, Telefon (0911) 1331-0, Internet: http://der-fruehe-duerer.gnm.de


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren