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16.06.12 / Gegen das Vergessen Ostpreußens / Sächsischer Bildhauer schuf aus Trümmerbrocken der Dresdner Frauenkirche einen Gedenkstein für Vertreibungsopfer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-12 vom 16. Juni 2012

Gegen das Vergessen Ostpreußens
Sächsischer Bildhauer schuf aus Trümmerbrocken der Dresdner Frauenkirche einen Gedenkstein für Vertreibungsopfer

In jedem Menschen wohnt das tiefe Bedürfnis zu verehren und zu gedenken. Diejenigen, die ihre Heimat Ostpreußen verloren und in Sachsen ein neues Zuhause gefunden haben, wollten einen Ort haben, an dem sie der Toten gedenken können, die durch Flucht und Vertreibung ihr Leben gelassen haben.

Auf der Suche nach einem geeigneten Standort wurde der Vorstand der Kreisgruppe Chemnitz durch Friedhofmeister Buck auf eine Gedenkstätte auf dem Friedhof in Chemnitz-Reichenbrand hingewiesen. Die Kreisgruppe recherchierte im Stadtarchiv nach den Geschehnissen von 1944 und 1945.

Einige Mitglieder des Vereins erinnern sich noch an die schreck­lichen Bombenangriffe auf die Stadt Chemnitz, wobei auch ein vollbesetzter Flüchtlingszug, der aus dem Osten kam, getroffen wurde. An der Gedenkstätte auf dem Reichenbrander Friedhof hat die Gruppe nun einen Platz erhalten, auf den sie ihren Gedenkstein setzen konnten. Sie hatte das große Glück, den Bildhauer Reinhard Peter Kilies zu kennen. Sie bat den Künstler, einen Gedenkstein zu schaffen. Er sagte sofort zu, da seine Mutter ebenfalls aus Ostpreußen stammte. Anschließend wurden Spenden für den Stein gesammelt. Von der Landesregierung kam keine Unterstützung. Kilies kam der Initiative abermals großzügig entgegen, indem er einen ganz besonderen Stein spendete: einen Stein aus der Ruine der Kuppel der Frauenkirche in Dresden. Nur die Arbeit der Beschriftung musste bezahlt werden.

Der Stein hat bereits Geschichte geschrieben. Kilies berichtete folgendes: „Als dieser Elbsandstein 1734 die Kuppel der Dresdner Frauenkirche zierte, war er bereits ein Symbol von Flucht und Vertreibung geworden. Die von den Katholiken vertriebenen Salzburger Protestanten zogen auf ihrem Weg nach Ostpreußen, wo ihnen vom preußischen König eine neue Heimat angeboten war, durch Sachsen. Die für sie nach einem Aufruf von August dem Starken in Sachsens Kirchen gesammelten 28000 Taler wurden jedoch vom Sohn des Königs zweckentfremdet für die Fertigstellung der Frauenkirche ,gespendet‘.

Als 1945 Millionen Flüchtlinge ihre Heimat verlassen mussten, wurde auch dieser Stein bei der Bombardierung Dresdens ein Kriegsopfer. Unter dem Motto ,Brücken bauen – Versöhnung leben‘ wurde die Frauenkirche Dresden mit Spenden wieder aufgebaut. Als die Salzburger Ostpreußen, zum zweiten Mal Opfer von Vertreibung, gefragt wurden, warum sie so viel für den Wiederaufbau gespendet haben, antworteten sie: ,Die Kuppel gehört doch uns‘.“

Als einziger Künstler erhielt Reinhard Peter Kilies vom Baudirektor der Stiftung Frauenkirche Eberhard Burger die Erlaubnis, sich beim Wiederaufbau ausgemusterte Steine für seine künstlerische Arbeit auszusuchen. Der letzte Stein aus der Ruine der Frauenkirche in Dresden wird fortan eine bedeutende Gedenkstätte für alle Ostpreußen, die in Sachsen ein neues Zuhause gefunden haben.

Am 11. Mai wurde dieser Gedenkstein in Chemnitz eingeweiht. Einen Tag, bevor die Kreisgruppe ihr 20-jähriges Jubiläum feierte, trafen sich einige Mitglieder sowie Bildhauer Kilies und Pfarrer Klaus Plorin aus Rückersdorf von der Gemeinschaft evangelischer Ostpreußen e.V. Die Chemnitzer Bläsergilde unter der Leitung von Siegfried Langner umrahmte die Gedenkfeier mit ihrem Bläsereinsatz. Pfarrer Plorin sprach zu den Anwesenden. „Der Friede Gottes sei mit uns und mit allen, die um die Toten von Kriegen trauern. Amen. Wir sind hier zusammengekommen, um diesen Gedenkstein zu enthüllen, einzuweihen, also seiner mahnenden Bestimmung zu übergeben.“

Der Stein hat die Inschrift: „Aufbewahren für alle Zeit – Unseren Opfern von Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen – Chemnitz Sachsen – 75 Opfer des bombardierten Flüchtlingszuges in Siegmar vom 2. März 1945.“ Das Eingangszitat ist übersetzt aus dem Russischen „Chranit‘ wetsch­no“. Mit diesem Befehl wurden in der Sowjetunion alle Geschichtsakten gestempelt, in denen sich Material über Vergehen gegen den Sowjetstaat nach Paragraf 58 befand. Der frühere Major der Roten Armee und spätere Schriftsteller Lew Kopelew, der in der Sowjetunion in Ungnade fiel, hat diesen Befehl zum Titel eines Buches gemacht, das ein Bekenntnis zur Menschlichkeit auch gegen­über Angehörigen der Feindnation, auch im Krieg, darstellt. Nicht nur zur christlichen, sondern auch zur allgemeinen menschlichen Moral gehört es, dass wir die Toten nicht vergessen. Im Gegensatz zu früheren Kriegen sind im und nach dem Zweiten Weltkrieg mehr Zivilisten als Soldaten ums Leben gekommen. Für die zivilen Kriegsopfer gibt es bisher nur wenige Gedenkstätten. Dieser Gedenkstein soll nun eine solche sein.

Bildhauer Kilies sprach folgende Worte: „Als Kind erfuhr ich von meiner Mutter viel über Ostpreußen, viel über Land und Leute und über die Flucht. Sie erzählte von den Namensendungen auf -is, -us, -at und -eit, an denen man die Herkunft der Menschen erkennen kann. … In meiner Jugendzeit in der DDR wurde mehr oder weniger geschwiegen. Heute aber, über 20 Jahre nach der Wende, haben die Flüchtlinge wieder Angst, Angst, in die rechte Ecke abgeschoben zu werden. Ich habe in meinen 65 Lebensjahren unter den Ostpreußen keinen rechtsgerichteten Ostpreußen kennengelernt. Auf diesem Stein habe ich das Wort ‚Ostpreußen‘ in voller Absicht in deutscher Schrift eingemeißelt. Es gibt dazu ein geflügeltes Wort: Wenn man etwas deutlich, offen und klar sagen will, spricht man Fraktur. Dies ist die Frakturschrift, die Schrift, in der das erste Buch der Welt von Gutenberg gedruckt wurde, Luthers Bibel. Es ist die Schrift, in der Goethe und Schiller, Marx und Engels, Kant, Heine, Mann und alle anderen Geistesgrößen Deutschlands ihre Werke veröffentlichten. Nazis verbrannten die Bücher und diese Schrift. … Heute ist allein der Gebrauch dieser Schrift für manchen Möchtegernpolitiker verwerflich. Diesen möchte ich in ihr scheinbar nicht vorhandenes Stammbuch schreiben: Auf dem Eckersberg bei Weimar stand eine Eiche, unter der Goethe saß und zu Eckermann sinngemäß sagte: Hier fühlt der Mensch sich frei. Diese Eiche wurde von den Nazis gefällt, sie störte den Aufbau des KZs Buchenwald-Weimar. Allein dies ist eine Verhöhnung der deutschen Kultur. Die deutsche Frakturschrift ist nicht die Schrift der Nazis. Die Inschriften über den Lagereingängen der Konzentrationslager Buchenwald und Auschwitz, ‚Arbeit macht frei‘ und ‚Jedem das Seine‘ waren in lateinischer Schrift gehalten...

Dieser Stein zum Gedenken an Flucht und Vertreibung wird von Ostpreußen, ihren Kindern und Angehörigen eingeweiht. Aber in nur wenigen Jahren wird er ein Denkmal sein für ein Volk, das es nicht mehr gibt. Die ostpreußische Sprache wird man nur noch von Tonaufnahmen her kennen. Assimiliert werden nur noch die alten Namen mit den Endungen auf -is, -as, -us, -at, -eit an das Volk der Ostpreußen erinnern. Mit etwas Phantasie kann man die Kriegsspuren auf diesem Stein auch mit den Umrissen der Landkarte eines verlorenen, aber nicht vergessenen Landes und seines Volkes vergleichen.

Ich bin stolz, dass ich diesen Stein beschriften durfte. Meine Mutter, Hedwig Naujeck geb. Kilies aus Tilsit-Stadtheide, hat es mir mit ihrer Kriegswitwenrente ermöglicht, mit diesen Steinen der Dresdner Frauenkirche zu arbeiten, Steine, die selbst eine mit Ostpreußen aufs engste verbundene Geschichte haben. Ich danke auch Herrn Eberhard Burger, Baudirektor der Stiftung Frauenkirche Dresden, dass er mir diese Steine zur Verfügung stellte.

Ich persönlich widme diese Arbeit allen auf der Flucht Umgekommenen, wie auch meinen Großeltern Anna Prusaß und Georg Kilies, Nachkommen der Urprussen, 1945 geflüchtet über das halb aufgetaute Haff, zurück nach Budweiten und verschollen.

Dieser Stein soll auch ein Ruf sein in die Welt gegen Krieg, gegen Flucht und Vertreibung unter dem Motto ‚Brücken bauen – Versöhnung leben‘.“

Der letzte Stein der Frauenkirchruine, bezahlt vor 280 Jahren von ostpreußischem Geld, zierte 210 Jahre die Kuppel, mahnte 50 Jahre im Trümmerberg und wird auch in den nächsten Jahrhunderten die Geschichte von Krieg, Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen erzählen. Hildegard Bartkowiak


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