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16.06.12 / Reise in die Zarenzeit / Auf Spuren der Großmutter

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-12 vom 16. Juni 2012

Reise in die Zarenzeit
Auf Spuren der Großmutter

So mancher findet, dass das Leben der eigenen Großmutter einer Biografie würdig sei. Eben dieser Meinung war auch die in London geborene und in England aufgewachsene Sofka Zinovieff. Zum Glück. Denn ihre Großmutter, Sofka Dolgorukij (1907–1994), war nicht nur eine Nachkommin von Katharina der Großen, sondern auch eine ungewöhnliche Frau.

Zunächst feudal aufgewachsen in den Palästen von St. Petersburg, wendete sich im Jahr 1914 das Blatt für die Zarenfamilie und deren Freunde und Verwandte. So befand Sofkas Großmutter Olga (1848–1927), dass es an der Zeit sei, der Stadt St. Petersburg vorerst den Rücken zu kehren und sich auf die nach wie vor der besseren russischen Gesellschaft vorbehaltene Halbinsel Krim zurück-zuziehen. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch noch nicht abzusehen, dass es sich um eine Reise ohne Rückkehr handeln sollte.

In der Biografie „Die rote Prinzessin. Ein revolutionäres Leben“ berichtet die Enkelin von Prinzessin Sofka Dolgorukij von ihrer Reise auf den Spuren des Lebens ihrer Großmutter. So bereiste die Autorin sämtliche Orte aus den Tagebuchaufzeichnungen ihrer Großmutter, unter anderem auch die Stadt Jalta im Süden der Halbinsel Krim.

„Meine eigene Reise auf die Krim fand 77 Jahre später statt und begann mit einem holprigen Aeroflot-Flug von St. Petersburg … Sofka und Olga nahmen von Simferopol eine Pferdekutsche, die sie über das Innere der Halbinsel Krim nach Jalta an die Küste brachte … Ich wusste nicht, was mit dem Anwesen der Dolgorukijs in Mischkor geschehen war, aber ich hatte ein Hotel in der Nähe eines Dorfes mit demselben Namen buchen können. Der Taxifahrer setzte mich in einer riesigen, nichtssagenden Hotelburg ab, wo es von spärlich bekleideten Russen mit leuchtenden Sonnenbränden nur so wimmelte.“

Der Leser kann die Kälte, welche von dem hässlichen, aus der Sowjetzeit stammenden Urlaubsbunker ausgeht, quasi durch die Seiten hindurch spüren. Eine wunderschöne Insel, auf welcher die Zaren einst luxuriös und opulent ihren Urlaub zu verbringen pflegten, verkommt zu einer billigen Touristeninsel, die heute Urlaub für jedermann in schuhkartongroßen Zimmern mit drittklassiger Verpflegung verspricht. Umso erhebender ist der erste Moment, als Sofka Zinovieff – dank einiger engagierter Taxifahrer – das Anwesen in Mischkor findet.

Zwei Weltkriege und viel Leid musste Sofka Dolgorukij erdulden. Ein Leben ohne feste Wurzeln, ein Leben mit einem Zuhause hier und da, aber dennoch ohne Heimat. Ein zügelloses, zum Teil oberflächliches Leben, geprägt von vielen Liebhabern und dennoch ohne die große Liebe. Ein Leben voller Chaos und Wandel, voller Erkenntnisse und dennoch ohne festen Halt. „,Ich habe Bergen-Belsen einen Monat nach seiner Befreiung gesehen. Und egal wie viel Blödsinn ich rede und egal wie verrückt ich mich bei Partys aufführen kann, das ist dennoch wie ein düsterer Hintergrund da, eine Erinnerung an das, was wir mit jedem Funken unserer Kraft bekämpfen müssen. Nicht nur den Krieg, sondern die Grausamkeit des Menschen … Ich kann nicht akzeptieren, dass eine Tat ein ,Verbrechen‘ ist, wenn sie ein Deutscher begangen hat, und ein ,Fehler‘, wenn sie unter Stalin geschieht. Von einem bin ich heute wirklich absolut überzeugt, nämlich, dass wir alle, mehr als alles andere, die Wahrheit brauchen.“ Vanessa Ney

Sofka Zinovieff: „Die rote Prinzessin. Ein revolutionäres Leben“, Insel Verlag, Berlin 2011, broschiert, 366 Seiten, 9,95 Euro


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