26.04.2024

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23.06.12 / Ein Sommermärchen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-12 vom 23. Juni 2012

Ein Sommermärchen
von Vera Lengesfeld

Durchs offne Fenster strömt der Linden verträumter Blütenduft herein. Nie ist Berlin so umwerfend wie im Frühsommer. Der beliebteste Stadtbaum der Hauptstadt hat einen dichten Aromateppich über alles gelegt. Tagsüber überdeckt er fast die Abgase des dichten Verkehrs. Sogar mit den Dämpfen der zahlreichen Baustellen nimmt er es auf. In der Nacht, wenn es still wird, bekommt man das Gefühl, in der schweren Süße zu schweben.

Nicht nur Stefan Zweigs Mädchen wird da schwach, auch toughe Feministinnen haben plötzlich etwas Weiches im Gesicht und schielen heimlich nach der passenden Ergänzung für einen romantischen Abend. Auf allen Restaurantterrassen und in allen Biergärten sind Flachbildschirme aufgestellt, damit niemand ein Spiel der Fußballeuropameisterschaft verpasst. Wer, wie ich, den heimatlichen Balkon vorzieht und lieber in Ruhe bei einem Glas Wein der sinkenden Sonne hinterherschaut, bekommt trotzdem mit, welchen Verlauf das Spiel nimmt. Schießt die deutsche Mannschaft ein Tor, wird geböllert, was das Zeug hält, verpasst sie eine Chance, tönt der Frustschrei über die Straße. Am Ende gibt es ein Feuerwerk zum Sieg, und Autokorsos verstopfen die Straßen.

Wie gut für die Politiker, dass sich die Berliner von ihrem Fußballrausch nicht ablenken lassen, denn es läuft fast nichts mehr richtig in der Stadt. Gab es mal Sommer, in denen man mit der S-Bahn bis zum Wannsee durchfahren konnte? Tempi passati, man kommt mit Ach und Krach noch bis zum Nikolassee, alles andere ist Glückssache. Auf mehreren S-Bahnstrecken wird gebaut, repariert oder modernisiert. Es gibt Schienenersatzverkehr oder nur die Empfehlung, doch bitte auf U-Bahn und Linienbus auszuweichen. Das hat zur Folge, dass auch die Busse nicht mehr pünktlich sind. Auf den übervollen Straßen, auf denen sich wiederfindet, wer sich nicht auf den öffentlichen Nahverkehr verlassen will, ist das Durchkommen schwer. Zwar gibt es Busspuren, aber die werden immer selbstverständlicher von Pkw belegt, die dem Dauerstau ausweichen wollen.

Im Autoradio hört man dann, was alles sonst nicht läuft. Die Flughafeneröffnung im März wird wohl noch später stattfinden. Klaus Wowereit, lange Zeit der Liebling der Berliner, nervt seine früheren Fans nur noch. Sein Vertrauter hat es kürzlich nicht mal mehr zum Parteivorsitzenden geschafft. Es beunruhigt immer mehr Bürger, dass Berlin schlecht bis gar nicht regiert wird. Das Mitglied der „Stern“-Chefredaktion Jörges spricht im Fernsehen schon von mafiösen Strukturen bis hin zur Korruption, die in der Hauptstadt herrschen.  Ein Sommermärchen ohne Happy End.


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