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23.06.12 / Verzweifelter Schnellschuss / Auf Suche nach Schuldigen bei Ehec-Epidemie Existenzen vernichtet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-12 vom 23. Juni 2012

Verzweifelter Schnellschuss
Auf Suche nach Schuldigen bei Ehec-Epidemie Existenzen vernichtet

Ein Jahr nach Ausbruch der Ehec-Epidemie ist der „Gärtnerhof“ im niedersächsischen Bienenbüttel ruiniert. Alle Mitarbeiter sind entlassen, Schulden türmen sich auf und Schmerzensgeldklagen drohen. Die Besitzer sind verzweifelt, obwohl sie vielleicht keine Schuld trifft.

Als im Mai 2011 immer mehr Menschen an jenem gefährlichen Stamm eines Darmbakteriums, kurz Ehec genannt, erkrankten und erste Todesfälle gemeldet wurden, galt es Schuldige zu identifizieren. Die Seuchen-Detektive vom Hamburger Robert-Koch-Institut gaben zuerst spanischen Gurken, Tomaten und Salatköpfen die Schuld. Doch sie irrten sich. Spanische Gärtner entrüsteten sich damals über das Importembargo, der hiesige Bauernverband klagte über Einkommenseinbußen; Politiker forderten einen schnellen Erfolg und dann schien man endlich eine Spur zu haben.

Am 5. Juni 2011, einem Sonntag, trat der niedersächsische Landwirtschaftsminister Gert Lindemann vor die Mikrofone und verkündete, dass ein Sprossen-Hof in seinem Bundesland unter dringendem Verdacht stünde, die Ehec-Quelle zu sein. Noch bevor das Veterinäramt am gleichen Tag um 18 Uhr auf dem Hof vorbeikam, standen dort Reporter vor der Tür und begehrten Auskunft. Die Besitzer des Biohofs, Uta Kal-tenbach und Klaus Verbeck, waren ahnungslos und völlig überrascht. In Schutzanzügen kletterten in den nächsten Tagen Reporter, Kameraleute und Neugierige über den Zaun des Gärtnerhofs. Die Polizei vertrieb die ungebetenen Besucher, aber bald sah sich Uta Kaltenbach gezwungen, einen privaten Sicherheitsdienst zu engagieren, der in den nächsten Wochen 14000 Euro kosten sollte.

Da Sprossen mit 90 Prozent zum Umsatz des Gärtnerhofs beitrugen, brach das gesamte Geschäftsmodell des Betriebs zusammen. Aus dem mit 210 Millionen Euro gefüllten Entschädigungstopf der EU erhielten die Hofbesitzer keine Leistungen, weil dort Sprossen nicht aufgeführt sind.

Mühsam versuchen sich nun Kaltenbach und Verbeck mit dem Anbau von Salat, Zucchini und Peperoni über Wasser zu halten, die sie auf Wochenmärkten oder im Direktverkauf abgeben. Doch die Schuldfrage nagt weiter an den Hofbetreibern. Der Ruf des Gärtnerhofs ist wohl für längere Zeit ruiniert, wie eine Recherche bei „Google“ zeigt, die 130000 Treffer im Zusammenhang mit Ehec liefert.

Bei insgesamt 4321 Erkrankten und 53 Toten durch die Ehec-Epidemie stellt sich die Frage nach der Schuld, möglicherweise auch nach Schadensersatz und Schmerzensgeld. Die Gerichte werden sich mit diesen Fragen höchstwahrscheinlich beschäftigen müssen, denn ob der Gärtnerhof tatsächlich die Quelle der Epidemie war, ist bis heute umstritten. Am 5. Juni hatte es nur einen Schnelltest gegeben, spätere Tests verliefen negativ und erst am 5. Juli rief die EU-Kommission 15 Arten von Sprossensamen aus Ägypten zurück und verbot den Import. Wer für den Schaden aufkommt, ist bisher ungeklärt. Klagen könnten, wegen dessen voreiliger Warnung, auch auf das niedersächsische Landwirtschaftsministerium zukommen. H. E. Bues


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