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23.06.12 / Königsberg als Spiegelung / Wie die italienische Malerin Lucia Lamberti nach Königsberg kam – Große Ausstellung in Leipzig

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-12 vom 23. Juni 2012

Königsberg als Spiegelung
Wie die italienische Malerin Lucia Lamberti nach Königsberg kam – Große Ausstellung in Leipzig

Nur wer vergessen ist, ist wirklich tot“, sagt der Volksmund. In dieser Hinsicht braucht man sich um Königsberg nicht zu sorgen: verwandelt, lebt es in der Erinnerung weiter und immer weiter. Die einstige Schönheit der Perle Ostpreußens zieht auch heute noch Menschen in ihren Bann. Ungewöhnliche Wege führt einen dabei manchmal das Schicksal: Durch Zufall kam die italienische Malerin Lucia Lamberti bei einem Arbeitsaufenthalt in Sachsen mit der Pregel-Metropole in Berührung. Wie fruchtbar diese geistige Begegnung war, zeigt die Ausstellung der Bilder in Leipzig.

„Und umzuschaffen das Geschaffene, / Damit sich’s nicht zum Starren waffne, / Wirkt ewiges lebendiges Tun.“ Das Goethe-Wort, hier passt es. Das Sinnlich-Wahrnehmbare des physisch nicht mehr existenten deutschen Königsberg erstand durch die Kunst neu, erlebte eine Auferstehung im Geist und auf der Leinwand. In der kleinen Galerie am Leipziger Markt hängen an die 300 Bilder, die Königsberg verwandelt zeigen und Zeugnis geben von einer intensiven künstlerischen Auseinandersetzung der Malerin mit einer Stadt, deren ursprüngliche Gestalt unwiederbringlich verloren ist.

In der thematisch dreigeteilten Ausstellung überwiegen die leisen Töne. Die Farbigkeit der Bilder ist reduziert, ihr Hintergrund oft weiß, wie um anzuzeigen, dass nichts des Dargestellten in der materiellen Welt mehr existiert, dass es wie Traumschatten der Erinnerung sind, emporgeholt in einem langen Rückholprozess.

Das Kapitel unter dem Namen „People and Books“ („Menschen und Bücher“) versammelt Aquarelle, die damalige Bewohner und Büchereien Königsbergs beziehen, die zum großen Teil umgekommen und deren Bücher zerstreut wurden. Die berühmte Wallenrodtsche Bibliothek im südlichen Turm des Königsberger Doms mit ihrem hohen gotischen Gewölbe zeigt die Malerin gleich mit zwei Bildern, eines ganz in dunklem, feurig leuchtendem Rot. Von der im 17. Jahrhundert begonnenen Sammlung seltener Bücher und Handschriften aus den verschiedensten Disziplinen der Wissenschaft sind heute nur wenige Hundert Bücher übrig geblieben – mutwillig verbrannt durch die Bomben. Mit 52 mal 41 Zentimetern entsprechend klein die Werke: Miniaturen. Das Agnes-Miegel-Haus hat Lamberti eingefangen, den bekannten alten Torweg am Pregel, Szenen von Spaziergängern und Besorgungen. „Menschen und Bücher können den Ort wechseln oder gezwungen werden diesen zu wechseln“, deutet die Einleitung zum Kapitel die Vertreibung und den furchtbaren kulturellen Verlust an.

Für die Bilder des Abschnitts „Seven Bridges of Koenigsberg“ („Die sieben Brücken von Königsberg“) hat sich die Künstlerin vom alten Königsberger Brückenproblem anregen lassen: Gab es einen Rundweg, bei dem man alle sieben Brücken über den Pregel genau einmal überquert und am Ende wieder zum Ausgangspunkt gelangt? Wie der Schweizer Mathematiker Leonhard Euler 1736 bewies, war ein solcher Weg, der „Eulersche Weg“, in Königsberg nicht möglich, da zu allen vier Ufergebieten beziehungsweise Inseln eine ungerade Zahl von Brücken führte. Aus den sieben alten Königsberger Brücken, von denen nicht alle Krieg und Nachkriegsabrisse überstanden, malte Lamberti mit Öl auf Leinwand eine Serie – das blasse Blau-Grau als Grundton dieser Gemälde scheint mit dem Wasser zu spielen, über das die Wege führten, und umso deutlicher zu sprechen: Es ist nicht mehr. Die Krämerbrücke und die ob ihrer Schönheit oft fotografierte klappbare Grüne Brücke – an ihrer Stelle führt heute eine seelenlose Spannbetonbrücke den Verkehr über die beiden Pregelarme und die Insel. Das Kleinstformat der Bilder von nur 12 mal 20 Zentimeter zwingt zum genauen Hingucken.

Die unter dem Namen „Water Memory“ („Wasser-Erinnerung“) zusammengefassten Gemälde sind wohl die spektakulärsten. Spürt man in ihnen doch gleichsam den gemalten Phantomschmerz über die verlorene Stadt. Auf der stillen Oberfläche des Pregel spiegeln sich die Häuser und Gebäude – das Schauspielhaus, die Schlossfreiheit, die Alte Universität, der Dom und das Kneip­höfsche Gymnasium, die Alten Speicher der Lastadie. Ein Paradox, denn das, was der Wasserspiegel zeigt, es existiert so nicht mehr. Das Wasser als Spiegel der Erinnerung, auf der Erde der Ufer dunkelblaue Büsche, ein Baum, ein einsamer Fischer, karges Land – vernichtete Kulturlandschaft, Wüstenei.

Dass die Italienerin in Leipzig zu Königsberg fand, war nicht selbstverständlich, sondern, so muss man wohl sagen, eine glück­liche Fügung. Lamberti konnte 2011 als residierende Künstlerin am Leipzig International Art Programme (LIA) teilnehmen. In den geräumigen Ateliers der zum Kunstzentrum umfunktionierten ehemaligen Baumwollspinnerei, in denen auch der international gefeierte Neo Rauch ein und aus geht, hatte die 1973 geborene Italienerin ihre Staffelei aufgestellt. Durch Zufall lernte sie auf ihren Streifzügen durch Leipzig eine alte Dame kennen, die aus Königsberg stammte. Die weck­te ihr Interesse durch ihre Erzählungen von der schon mythischen Hafenstadt am Pregel so sehr, dass sie begann, sich mit dem zerstörten Königsberg zu beschäftigen. Lamberti (siehe kleines Bild) recherchierte in Bibliotheken und Buchhandlungen – in der Bücherstadt Leipzig mit ihrer vitalen Antiquariatsszene ein Leichtes, vertiefte sich in Fotografien, Bildbände, arbeitete Postkartenbestände durch – und wusste irgendwann: Das ist es, deswegen bin ich hier, das ist mein Projekt. Selbst in der süditalienischen Hafen- und Universitätsstadt Salerno aufgewachsen, war sie fasziniert, ja überwältigt von der früheren Schönheit Königsbergs mit dessen Kanälen, Brücken, Teichen, Schiffen, Hafenanlagen – und der Nähe zum Meer. Ihr ist ein bemerkenswert empathischer Blick auf Königsberg gelungen. CR

„Die Stadt aus den Büchern“. Verkaufsausstellung noch bis 28. Juli in der salve art gallery, Barthels Hof, Markt 8, 04109 Leipzig. Geöffnet donnerstags und freitags von 14 bis 19 Uhr, sonnabends von 11 bis 16 Uhr oder nach Vereinbarung. Telefon (nur mobil): 0177 / 3506585 oder 0151 / 40524732, Internet: www.salve-art-gallery.de


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