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23.06.12 / Er half, den Code der Enigma zu knacken / Vor 100 Jahren wurde der britische Logiker, Mathematiker, Sträfling und Selbstmörder Alan Turing geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-12 vom 23. Juni 2012

Er half, den Code der Enigma zu knacken
Vor 100 Jahren wurde der britische Logiker, Mathematiker, Sträfling und Selbstmörder Alan Turing geboren

Der Held kämpft im Verborgenen. Seine Waffen: die Rechenmaschine auf seinem Schreibtisch und die „kleinen grauen Zellen“ in seinem Kopf. Sieg oder Niederlage hängen davon ab, ob er es schafft, virtuell in Rechenmaschine und graue Zellen des Gegners einzudringen, zu wissen, was dieser als nächstes plant, ihm aber vorzutäuschen, es nicht zu wissen.

Nein, was hier beschrieben wird, ist nicht der Cyber War, der Krieg der Zukunft, den nicht mehr die mörderischsten Kampfjets, Schlachtschiffe und Panzer entscheiden, sondern die schnellsten Computer und die findigsten Informatiker. Dieser „Krieg der Zukunft“ hat längst stattgefunden, ist ein Stück Zeitgeschichte.

Der Kämpfer im Verborgenen ist Kryptoanalytiker. Sein Schlachtfeld ist das Herrenhaus von Bletchley Park, auf halbem Weg zwischen den altehrwürdigen Denkschulen von Oxford und Cambridge. In dieser militärisch eher unauffälligen Ecke des Vereinigten Königreichs hatten die Briten zu Beginn des Zweiten Weltkriegs eine kleine, aber feine Dienststelle angesiedelt, die später über den Ausgang eben dieses Krieges mitentscheiden sollte, die „Government Code and Cypher School“.

Und da gab es nur ein „Schulfach“: die Entschlüsselung der geheimen Codes der deutschen Wehrmacht.

Vor allem die verschlüsselten Funksprüche, mit denen das Oberkommando der deutschen Kriegsmarine seine U-Boote steuerte, taten den Kriegsgegnern des Reichs weh, denn der Nachschub aus Amerika versank bruttoregistertonnenweise in den Fluten des Atlantik.

Der unsichtbare Feind hatte einen Namen: „Enigma“, eine zwölf Kilogramm schwere „Schreibmaschine“ der besonderen Art. Über drei Walzen verschlüsselt sie den Text, und nach jedem Buchstaben schaltet sie auf einen neuen Geheimschlüssel um.

Genauso geheim wie die deutsche Verschlüsselungstechnik war die Zusammensetzung des britischen Teams, das den Code knacken sollte. Erst drei Jahrzehnte später wurde bekannt, dass dazu einer der bedeutendsten Mathematiker des 20. Jahrhunderts gehörte: Alan Turing, vor 100 Jahren, am 23. Juni 1912 in London geboren. Schon als 24-Jähriger hatte er eine wegweisende Arbeit mit dem auch sprachlich bemerkenswerten Titel „On Computable Numbers, with an Application to ,Entscheidungsproblem‘“ veröffentlicht, die an Arbeiten des mährisch-österreichischen Mathematikers Kurt Gödel anknüpft und heute als „Geburtsurkunde“ der Informatik gilt. Turing war ein exzellenter Theoretiker, verfügte aber auch über beachtliche technische Fertigkeiten. Genau diese Kombination war der britischen Admiralität aufgefallen; so wurde der hochbegabte Gelehrte, der sich gerade in Cambridge etabliert hatte, zum geheimen Dienst in Bletchley Park abkommandiert.

Gut drei Jahre brauchte Turing, um die Zahl der theoretisch möglichen Enigma-Schlüssel auf ein paar hundert Millionen zu reduzieren, was etwa einem Jackpot-Gewinn im Lotto entspricht. Aber er hatte das Verschlüsselungsprinzip entschlüsselt. Unter seiner Regie wurde nun die sogenannte Turing-Bombe gebaut, eine Art Anti-Enigma, mit deren Hilfe die Alliierten die Funksprüche der deutschen Seekriegsleitung mitlesen konnten. Die U-Boot-Waffe war damit stumpf, der Weg zum Sieg über das Deutsche Reich war offen.

Turings weiterer Lebensweg verlief wenig heldenhaft. Seine richtungweisenden Forschungen über Künstliche Intelligenz fanden kaum öffentliche Anerkennung. 1952 wurde er wegen homosexueller Beziehungen zu einer Haftstrafe verurteilt, musste sich einer psychiatrischen Behandlung unterziehen. Im Juni 1954, kurz vor seinem 42. Geburtstag, nahm er sich das Leben.

Erst Jahre später erkannte die Fachwelt, dass Alan Turing einer der geistigen Väter des Computer- und Informatik-Zeitalters war. Seit 1966 wird alljährlich der Turing-Award verliehen, der als „Nobelpreis der Informatik“ gilt. Rolf Hochhuth hat ihm 1987 eine Erzählung gewidmet, seine Rolle beim Knacken des Enigma-Codes wurde 1996 in einem britischen Spielfilm gewürdigt. Der 100. Geburtstag wird in diesem Tagen mit wissenschaftlichen Kongressen in San Francisco, Manchester und Cambridge gefeiert. Und das Nixdorf-Museum in Paderborn, eine moderne Kultstätte der Informatik, ehrt Turing mit einer Sonderausstellung. Titel: „Genial & Geheim“. Genau das war Alan Turing. Hans-Jürgen Mahlitz


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