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23.06.12 / Keine zweite Heimatlosigkeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-12 vom 23. Juni 2012

Keine zweite Heimatlosigkeit

Beinahe wären sie zum zweiten Mal heimatlos geworden: zwei Glocken, die einst in schlesischen Dorfkirchen nahe Breslau hingen. Heute klingt ihr Geläut vom Turm der katholischen Kirche „Heilige Familie“ im Hamburger Stadtteil Langenhorn. Beide sind sie über 500 Jahre alt und ergänzen – die eine auf cis, die andere auf dis gestimmt – den Klang einer neu gegossenen fis-Glocke.

Die Geschichte der „alten Schlesischen“ von Langenhorn liest sich wie das Schicksal von etwa 45000 anderen deutschen Glocken, die während des Zweiten Weltkriegs in ihren Türmen abhängt wurden, um als kriegswichtiges Metall eingeschmolzen zu werden. Aber die beiden Bronzeglocken, die eine 1450 für die St. Nikolauskirche in Peicherwitz [Pichorowice], die andere 1494 für St. Marien im benachbarten Weicherau [Wichrow] gegossen – beides kleine Dörfer im einstigen schlesischen Kreis Neumarkt –, überstanden unversehrt den Krieg. Sie wurden unter Hunderten Geläuten auf einem Sammelplatz – makaber genug „Glockenfriedhof“ genannt – im Hamburger Hafen gefunden. Nach dem Krieg bemühte sich ein Rück­führungsausschuss die dort gefundenen Glocken an ihre Heimatkirchen zurückzugeben.

Die schlesischen jedoch waren 1946 heimatlos geworden. So entschied man, diese Glocken an westdeutsche Kirchen zu vermitteln.

Im schleswig-holsteinischen Barmstedt wurde 1953 eine katholische Kirche gebaut, notwendig geworden durch die Ansiedlung vieler Vertriebener. Hier läuteten fortan die Glocken von Peicherwitz und Weicherau. Bis im vergangenen Jahr diese Kirche abgerissen wurde. Weniger gewordene Katholiken, Zusammenlegung von benachbarten Gemeinden, Priestermangel, Kostenersparnis – das Erzbistum Hamburg weiß viele Gründe zu nennen. Wohin mit den Glocken?

Pfarrer Dietmar Wellenbrock von der Gemeinde „Heilige Familie“ in Hamburg-Langenhorn hörte davon.

Und weil schon lange geplant war, der Kirche ein stärkeres Geläut zu geben – bisher gab es im Turm nur eine kleinere Glocke –, bemühte er sich um die „Schlesischen“. Er bekam sie kostenlos. Die Kirchengemeinde brachte 15000 Euro an Spenden auf für Transport, für einen neuen Glockenstuhl und für das Umschmelzen der bisherigen Glocke ein.

Nun tönt Dreiklang vom Turm in Langenhorn und behauptet sich gegen den Fluglärm. Der Kirchturm steht nur wenige hundert Meter entfernt von einer vielgenutzten Einflugschneise des Hamburger Flughafens.

Glocken rufen ja nicht nur zu Andacht und Gebet; ihr Stundenschlag erinnert auch daran, wie die Zeit verstreicht.  Karlheinz Mose


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