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23.06.12 / Schöpferische Möglichkeiten ohne Ende / Das Kleingedruckte übersehen: Vom Kreta-Urlaub enttäuscht zurück – Die Kinderzeit war »all-inclusive«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-12 vom 23. Juni 2012

Schöpferische Möglichkeiten ohne Ende
Das Kleingedruckte übersehen: Vom Kreta-Urlaub enttäuscht zurück – Die Kinderzeit war »all-inclusive«

Na, der Heimkehrer sieht nicht gerade begeistert aus. Hat es ihnen auf Kreta denn nicht gefallen? Kreta, dachte sie immer, wäre die Insel der Seligen, Wein und sonnengereifte Tomaten, wo die Kultur zu Hause war, das Meer und überhaupt. Und die Schlucht? Habt ihr die berühmte Schlucht auch gemacht? Nichts davon. Statt wie im Katalog versprochen, kein Meerblick, sondern seitwärts auf den nicht gerade sehr einladenden Pool. „Und“, sagt Luka, „Mama hatte das Kleingedruck­te im Katalog nicht gelesen und dachte, es sei all-inclusive. Auch die Ausflüge sollten extra bezahlt werden.“ Na sowas. Und ganz empört setzt er hinzu: „Überhaupt keine Ani­mation gab es.“

Das muss das Schlimmste für ihn gewesen sein. So hört es sich jedenfalls an. Übermorgen fängt die Schule wieder an, und auch seine Eltern müssen wieder arbeiten, um den nächsten Reinfall finanzieren zu können. „Wenn ihr wollt, könnt ihr morgen bei mir essen. Sag das deinen Eltern. Kommt nicht zu spät und bleibt nicht zu lange“, ruft sie ihm noch nach, als er sich schon aufs Rad schwingt.

Kartoffelflinsen wird sie machen. Die Kartoffeln sind in diesem Jahr herrlich. Vielleicht ein bisschen zu groß, deshalb eben Flinsen. Dazu Apfelmus. Der Wind hat großzügig Früchte vom Baum gerüttelt. Wie alt der schon ist. Schon vor Jahren wollten sie ihn umhauen, weil er irgendwie nicht ganz in Ordnung schien. Vielleicht aus Dankbarkeit trägt er jedes Jahr neue Frucht. Sie weiß nicht einmal, was das für eine Sorte ist. Jedenfalls ist kein anderer Apfel für Kompott oder Mus so geeignet wie er, meint sie. Sie freut sich schon auf die Bewirtung.

Luka hat sie aufgehalten. Nun aber erst zum See, zu ihrem Privatbadestrand. Kaum zehn Minuten mit dem Rad sind es bis dahin. Meistens ist sie allein, höchstens sitzt mal ein Angler am Ufer, einige Haubentaucher und Enten teilen mit ihr den See. Gestern war auf der großen Wiese nebenan ein Storchenpaar gelandet. Kaum zu glauben, fast wie zu Hause, muss­te sie denken. Überhaupt kam ihr während des Schwimmens der heimatliche Banktinsee in den Sinn, im Geist hörte sie den Lärm von der Badeanstalt, hatte plötzlich den Geruch der nassen Bretter im Sonnenlicht vor den Umkleidekabinen in der Nase. Auf dem See Kantor Brehm mit seinem ungeheuren Bauch auf dem Rücken treibend. Der solle ihn tragen, meinten die großen Kinder. Ob das stimme, fragte sie sich damals.

Man konnte aber den Eintritt ins Bad sparen und sich dafür ein Eis bei Urban leisten, wenn man zum Flöt ging, eigentlich Omet, aber sie nannte ihn für sich Flöt. Vielleicht weil die Kinder von dort das Entenflot holen gingen, links am Friedhof vorbei und die Wiesen runter bis zum Weidengebüsch. Im Drahtkorb, damit das Wasser abfließen konnte. Wie sich das Geflügel später darauf stürzte!

Das Allerschönste war für sie damals die freie Zeit der Ferien. Hoffentlich würden sie nie enden! Ohne Animation kamen die Kinder damals glänzend durch die Tage. Sie wussten gar nicht, was sie zuerst beginnen sollten: in den Wald nach Beeren gehen, nach Kinderhof oder in den Stadtwald. „Wir fahren nach Jerusalem“ spielen. Ach, Möglichkeiten ohne Ende. Kinderzeit, die ihr oft beim Schwimmen in den Sinn kommt: eine Zeit, die, aus heutiger Sicht betrachtet, für sie ganz groß gedruckt „all-inclusive“ bedeutet hatte. Christel Bethke


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