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23.06.12 / Einer Frau verfallen und einen Mord begangen / Eine Allensteiner Offizierstragödie als Stoff eines großartigen Romans – »Der Exot« erstmals veröffentlicht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-12 vom 23. Juni 2012

Einer Frau verfallen und einen Mord begangen
Eine Allensteiner Offizierstragödie als Stoff eines großartigen Romans – »Der Exot« erstmals veröffentlicht

Gegen Ende des Jahres 1907 geisterten Berichte über ein Verbrechen durch die deutsche Presse, das bis dahin für undenkbar galt: ein Mord im Offizierskorps, begangen in Allenstein, wo neben Königsberg und Insterburg die größte Garnison Ostpreußens stationiert war – der Nähe zur russischen Grenze wegen. Frühmorgens am 26. Dezember 1907 hatte der Hauptmann Hugo von Goeben vom Masurischen Feldartillerie-Regiment Nr. 7 den Major August von Schoenebeck erschossen, der dem Ostpreußischen Dragonerregiment Nr. 10 angehörte. Der Täter beging am 2. März 1908 in seiner Zelle Selbstmord. Erst nach einer ungewöhnlich langen Voruntersuchung wurde am 6. Juni 1910 die Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht Allenstein gegen die Frau des Ermordeten, Antonie von Schönebeck, wegen Anstiftung oder Beihilfe zur Tat eröffnet. Das Verfahren zog sich in die Länge. Es wurde am 22. Verhandlungstag wegen Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten vorläufig eingestellt und später nicht mehr aufgenommen.

Das „Allensteiner Justizdrama“ sorgte für großes Aufsehen. Selbst im Preußischen Abgeordnetenhaus kamen in diesem Zusammenhang Fragen wie die Gleichbehandlung vor Gericht ohne Rücksicht auf den Stand der Betroffenen zur Sprache. Auch erkannte man die Notwendigkeit gesetzlicher Bestimmungen bezüglich einer Strafminderung bei verringerter Zurechnungsfähigkeit.

August von Schoenebeck, geboren 1860 in München, hatte 1897 die 17 Jahre jüngere, in Görlitz geborene Antonie geb. Lüders geheiratet, die Tochter eines vermögenden Wagonfabrikbesitzers und Patentanwalts. Die Ehe verlief unglücklich aufgrund der unterschiedlichen Veranlagung beider Partner. Antonie von Schoenebeck war Hysterikerin, lebenslustig und allem Anschein nach nymphoman. Wegen der beiden gemeinsamen Kinder duldete ihr Gatte stillschweigend ihren ausschweifenden Lebensstil. Eine Scheidung kam für ihn als Katholik ohnehin nicht in Frage. Ablenkung suchte er auf der Jagd, beim Karten- und Billardspiel und dem Rauchen und Trinken im Kasino.

In den Gerichtsverhandlungen stellte sich heraus, dass die Tatverdächtige sich jahrelang Liebhabern aus den niederen Offiziersrängen zugewandt hatte, bevor sie ihr Netz über den Ende 1906 nach Allenstein abkommandierten, fast 37 Jahre alten Hauptmann Hugo von Goeben auswarf. Dieser hatte eine erstaunliche Laufbahn hinter sich. Als Oberleutnant hatte er 1899 seinen Abschied genommen, um auf Seiten der Buren im Südafrikanischen Krieg mitzukämpfen. Nach seiner Rückkehr veröffentlichte er eine Broschüre, wurde in den Generalstab berufen und zum Hauptmann befördert, ohne die Kriegsakademie besucht zu haben.

Die Frage, über die viel diskutiert wurde, lautete: Wie hatte ein Offizier mit Aussicht auf eine glänzende Karriere dieser Frau, über die viel Übles getuschelt wurde, derart verfallen können, dass er gemeinsam mit ihr den Mord an ihrem Ehemann plante und schließlich auch ausführte?

Einer Antwort kann man sich nur literarisch nähern. Ende der 20er Jahre verwandte der renommierte Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber Friedrich von Oppeln-Bronikowski (1873–1936) die Allensteiner Offizierstragödie als Stoff für einen mitreißenden Roman, dem er den Titel „Der Exot“ gab. „Exot“ war seinerzeit in militärischen Kreisen die Bezeichnung für einen Haudegen mit Kampferfahrung. Der Roman blieb unveröffentlicht, möglicherweise weil in den letzten Jahren der Weimarer Republik kein Verleger die Courage hatte, ein Buch über das verpönte Thema herauszubringen. Der Manuskripttext aus dem Nachlass des Autors ist nun erstmals veröffentlicht.

Der Verfasser, ein konservativer Humanist, war als ehemaliger Kavallerieoffizier ein intimer Kenner der Verhältnisse. Wegen eines Reitunfalls mit bleibenden Folgeschäden hatte er 1896 seinen Abschied nehmen müssen. Er wechselte ins schöngeistige Fach und studierte Philosophie, Romanistik und Archäologie. Als freier Schriftsteller lebte Friedrich Oppeln-Bronikowski anschließend in Italien, der Schweiz und seit 1905 in Berlin. In erster Linie befasste er sich mit der preußischen und europäischen Geschichte. Seine eigenen Novellen und Romane behandeln überwiegend das Militärleben. Im Ersten Weltkrieg diente er im Generalstab und war bis 1923 im Auswärtigen Amt beschäftigt, um sich danach wieder seiner schriftstellerischen Tätigkeit zuzuwenden. Als einer von wenigen namhaften Autoren engagierte er sich entschieden gegen die Entfaltung des Antisemitismus in der Weimarer Republik. Infolgedessen wurde er aus der DNVP ausgeschlossen. Bekannt ist er bis heute als Übersetzer mehrerer Werke Friedrichs des Großen ins Deutsche und als deren Herausgeber. Außerdem übersetzte er französische und belgische Literatur und gab die Werke Maurice Maeterlinks heraus. 1926 erhielt Friedrich von Oppeln-Bronikowski den Titel „Dr. phil. h.c.“.

Sein Roman „Der Exot“ lässt auf den Autor als einen feinsinnigen Menschenkenner schließen. Die Hauptfiguren sind Akteure einer Gesellschaft im Umbruch, in der Individualität zunehmend über Konformität gestellt wird. Eine besondere Stärke des Romans sind die klug inszenierten Dialoge. Im Hintergrund vervollständigt sich nach und nach das Bild von der ostpreußischen Stadt, die im Roman Kuhren heißt. Der Autor selbst hatte sich intensiv mit Nietzsche befasst. Frau von Burgess, die Majorsgattin, leiht ihrem zaudernden Geliebten Hauptmann von Verden, den seine Kameraden „Exot“ nennen, eine Ausgabe von Nietzsches Sophismen, um ihn zur Ausführung des Mordes an ihrem Gatten anzuspornen. Von Verden, ein triebgesteuerter Mensch mit einer schweren narzisstischen Störung – wie man heute urteilen würde –, fühlt sich weder Traditionen noch Werten verpflichtet und ist daher manipulierbar. Frühmorgens am 26. Dezember 1907 stellt er sich Major von Burgess auf der Treppe seines Hauses entgegen und erschießt ihn kaltblütig. Dagmar Jestrzemski

Friedrich-Wilhem von Oppeln-Bronikowski: „Der Exot“, Schneesturm-Verlag, Itzehoe 2012, fester Einband, 505 Seiten, 28 Euro.


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