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30.06.12 / Chinas Parteikader auf der Flucht / Zweifel an den Zukunftsperspektiven des Landes verstärken Auswanderungswelle der Reichen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-12 vom 30. Juni 2012

Chinas Parteikader auf der Flucht
Zweifel an den Zukunftsperspektiven des Landes verstärken Auswanderungswelle der Reichen

Je näher der Wechsel an der Führungsspitze der Kommunistischen Partei Chinas im Oktober rückt, desto heftiger wird um die zukünftige Ausrichtung der Partei gestritten. Immer mehr Parteikader ziehen allerdings eine Zukunft ohne die Partei vor. Sie wandern aus, im Gepäck Unmengen von Schwarzgeldern.

„Die Situation ist ähnlich der in der Endphase der Sowjetunion, aber niemand in China will der nächste Gorbatschow sein, weil dies das Ende der Kommunistischen Partei bedeutet.“ Die Zustandsbeschreibung, die Roderick MacFarquhar, Professor für Geschichte an der Harvard-Universität, abgibt, klingt verblüffend, tatsächlich ist sie allerdings naheliegend. Trotz aller Modernisierung weckt so einiges in China Erinnerungen an die letzten Jahre der Sowjet-union. Chinas amtliche Statistiken scheinen ebenso weit von der Realität entfernt zu sein wie die vieler früherer Ostblock-Staaten.

Regelmäßig weicht zum Beispiel das aus Peking gemeldete Wirtschaftswachstum für Gesamtchina von dem ab, was sich nach Aufaddierung der Daten aus den einzelnen Provinzen ergibt. Das Phänomen hat einen einfachen Hintergrund. Chinas Provinzführer „runden“ gern großzügig ihre Wirtschaftsdaten auf, um gegenüber der Zentrale in Peking gut dazustehen. Aktuell rätseln westliche Experten, wie ein Wirtschaftswachstum von veröffentlichten acht Prozent zu einem Stromverbrauch passt, der laut Statistik im letzten Jahr nur um etwa 0,7 Prozent gestiegen ist.

Erinnerungen an die Spätphase der Sowjetunion werden auch durch ein anderes Phänomen wach. Im Land grassiert die Korruption, gepaart mit Unterschlagungen und Vetternwirtschaft. Ablesbar ist das Problem an einer massiven Kapitalflucht und einer starken Auswanderungswelle. Für Aufsehen sorgte im vergangenen Jahr ein Bericht in der parteinahen „Volkszeitung“, nach der 4000 chinesische Beamte mit 50 Milliarden Dollar an staatlichen Geldern in den vorangegangenen Jahren ins Ausland geflohen seien. Noch höher bezifferte die chinesische Zentralbank die abgeflossenen Schwarzgelder. Innerhalb von zehn Jahren haben sich bis zu 18000 Beamte und Funktionäre mit etwa 124 Milliarden Dollar ins Ausland abgesetzt, lautet eine Meldung der People’s Bank of China aus dem Jahr 2011.

Eine Vorstellung, wie es möglich ist, dass eine derartige Summe an Schwarzgeldern überhaupt zustandekommt, erhält man, wenn man das Eisenbahnministerium näher betrachtet, das als regelrechter Korruptionshort gilt. Allein beim Bau der 26 Milliarden Euro teuren Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Peking und Shanghai wurden gleich mehrfach Unterschlagungen aufgedeckt. Bereits Anfang 2011 verlor der damalige Eisenbahnminister Liu Zhijun seinen Posten. Im Zuge des Schnellbahnbaus hatte er umgerechnet 96 Millionen Euro in die eigene Tasche gesteckt.

Einen Hinweis, welchen Weg derartige „Nebeneinkünfte“ häufig nehmen, liefern Daten des US-Außenministeriums. 2011 gab es aus China 2408 Anträge für Investoren-Visa. Damit kamen allein 70 Prozent dieser Visaanträge von Chinesen. Zum Erhalt einer Greencard müssen die Antragsteller mindestens eine Million Dollar investieren und innerhalb von zwei Jahren zehn Vollzeit-Arbeitsplätze in den USA schaffen. Ähnlich sieht es in einem anderen von Chinesen bevorzugten Einwanderungsland aus. Kanada verlangt von Investoren, die ein Investoren-Visa erhalten wollen, dem Staat 800000 kanadische Dollar für fünf Jahre als zinsfreien Kredit zur Verfügung zu stellen.

Die Summen scheinen keine Hürde zu sein. Einem Bericht des chinesischen Magazins „Dongxiang“ zufolge, besitzen bereits 75 Prozent aller Kinder von Beamten der Provinzverwaltungen oder höherer Ebenen entweder eine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis für die USA oder sind dort bereits eingebürgert. Einen gehörigen Anteil an dieser Auswanderungswelle dürfte haben, dass die Skepsis über die zukünftige Entwicklung Chinas mittlerweile weit verbreitet ist. Abseits der Phantasiewelt der Pekinger Statistiken ist innerhalb der Funktionärskaste die reale soziale und wirtschaftliche Situation Chinas bekannt. Vielfach vorhanden ist auch noch ein Bewusstsein von den regelmäßigen Umbrüchen in der chinesischen Geschichte. Scheinbar wiederkehrend gab es Zeitabschnitte des Irrationalismus, die das Land im Chaos versinken ließen. Mit dem Boxeraufstand, Maos „Großem Sprung nach vorn“ und der Kulturrevolution ereigneten sich solche gewalttätigen Phasen allein drei Mal im 20. Jahrhundert. Insbesondere Parteikader dürften noch Erinnerungen an die Kulturrevolution haben, als ganze Bevölkerungsgruppen wie die Intellektuellen durch die Kommunistische Partei Chinas zu Sündenböcken gestempelt wurden.

Sollte China tatsächlich in eine langanhaltende Wirtschaftskrise abgleiten, ist bei dem angestauten sozialen Sprengstoff nicht auszuschließen, dass Unternehmer und Parteikader als Feindbild herhalten müssen. Norman Hanert


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