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30.06.12 / Hoffnung stirbt zuletzt / 108-Jährige über ihr Leben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-12 vom 30. Juni 2012

Hoffnung stirbt zuletzt
108-Jährige über ihr Leben

Alice Herz-Sommer ist mit ihren stolzen 108 Jahren die älteste Holocaust-Überlebende und zugleich die älteste Konzertpianistin der Welt. Die in New York lebende international bekannte Konzertpianistin und Kulturmanagerin Caroline Stoessinger befasst sich bereits seit langem mit der Musik, die in Theresienstadt komponiert wurde. Im Rahmen dieser Studien lernte sie Alice Herz-Sommer kennen. Caroline Stoessinger war von der Lebensgeschichte dieser Frau, ihrer Weisheit und ihrem immanenten Optimismus dermaßen angetan, dass sie zusammen mit der Holocaust-Überlebenden das Buch „Ich gebe die Hoffnung niemals auf. 100 Jahre Weisheit aus dem Leben von Alice Herz-Sommer“ schrieb.

Die 1903 in Prag geborenen Pianistin hat viele Höhen und Tiefen erlebt, und trotzdem hat die 108-Jährige nie ihren Humor und ihre Zuversicht verloren. 1943 musste Herz-Sommer die Konzertsäle Prags gegen das Konzentrationslager Theresienstadt eintauschen, wo sie als Insassin für die anderen dort festgehaltenen Juden Konzerte geben durfte. „An ihrem dritten Tag in Theresienstadt wurde Alice mitgeteilt, dass sie in der kommenden Woche einen Klavierabend geben solle … Die Nazis hatten begriffen, dass eine Ergänzung der Kurortkulisse durch musikalische und künstlerische Veranstaltungen ein geschickter Werbetrick war, um der Außenwelt zu beweisen, dass mit den Juden alles in Ordnung war. Und so befahlen sie den Gefangenen eine ,Freizeitgestaltung‘ und die Organisation von Konzerten, Lesungen und anderen Veranstaltungen.“

Eindrucksvoll sind die Schilderungen der 108-Jährigen. „,Musik war unsere Nahrung‘, meint Alice. ,Das kann ich wirklich sagen. Wenn wir etwas Spirituelles haben, brauchen wir vielleicht gar kein Essen. Musik war unser Leben. Wir konnten, wollten und durften nicht aufgeben.‘“

Unendlich viele der Lagerinsassen, welche diesen Veranstaltungen beigewohnt haben, wurden zu einem späteren Zeitpunkt nach Auschwitz gebracht. Auch ihren ebenfalls in Theresienstadt inhaftierten Ehemann Leopold sollte Alice Herz-Sommer nach der Einlieferung ins Lager nie wiedersehen. Die Pianistin und ihr Sohn Ravi jedoch überlebten Theresienstadt und zogen nach dem Ende des Krieges nach Israel.

Jedes Kapitel des Buches beginnt mit einem Foto der 108-Jährigen, auf dem sie trotz ihres hohen Alters vor Freude zu leuchten scheint. Unter jedem Foto steht eines ihrer Mantras wie zum Beispiel „Wir sind für unser Tun und Sagen verantwortlich“, „Angst lässt uns kapitulieren, Mut gibt uns eine Chance“ und „Es zählt nur das, was in uns ist“.

Am Ende des Buches kann man den Zusatz des Buchtitels „100 Jahre Weisheit aus dem Leben von Alice Herz-Sommer“ innerlich nur unterstreichen, da die Lehren, welche die alte Dame, die Franz Kafka und Sigmund Freud persönlich gekannt hat, aus ihrer Lebensgeschichte gezogen hat, in der Tat nicht nur höchst weise klingen, sondern damals wie heute gelten. Vernunft und Erfahrung gepaart mit Gefühlen ergeben hier eine perfekte Mischung.

Die Lebensgeschichte der 108-Jährigen, die ihren einzigen Sohn bereits zu Grabe tragen musste, berührt, stimmt nachdenklich und löst starke Bewunderung und Respekt für diese Frau aus, die in diesem biblischen Alter noch ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Ich gebe die Hoffnung niemals auf“. Vanessa Ney

Caroline Stoessinger: „Ich gebe die Hoffnung niemals auf. 100 Jahre Weisheit aus dem Leben von Alice Herz-Sommer“, Albrecht Knaus, München 2012, geb., 272 Seiten, 18,99 Euro


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