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07.07.12 / Ausgewogen und für zu leicht befunden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-12 vom 07. Juli 2012

Moment mal!
Ausgewogen und für zu leicht befunden
von Klaus Rainer Röhl

Kaum ist Angela Merkel, auf wundersame Weise unverletzt und unausgeschlafen, aus Paris und Brüssel zurück im Bundestag, setzen sich die politischen Schaumacher in Bewegung. War der Auftritt der Kanzlerin eine Niederlage? Kommt jetzt die Lösung der Krise? Kommen der Fis­kalpakt, die Bankenunion? Die Euro-Bonds? Wurde die Kanzlerin über den Tisch gezogen? Was sagt der meistens ungefragt redende SPD-Genosse Martin Schulz vom Europa-Parlament? Was sagen Barroso und Juncker, was die spanischen und italienischen Ministerpräsidenten, haben sie über die Kanzlerin triumphiert? Wenn das am Montag abend von dem ewig grundlos gut gelaunten Frank Plasberg in „Hart aber fair“ noch nicht genügend ausdiskutiert wurde, wird es garantiert am Dienstag bei Markus Lanz und am Mittwoch bei Anne Will vertieft. Ich schreibe diese Kolumne vorher, aber der Ablauf steht so fest wie die Absicht der Talkmaster, das Publikum auf keinen Fall zu informieren. Eher auf sanfte Weise dumm und dämlich zu quasseln, bis niemand mehr irgendetwas durchschaut. Also: Wie gut ist der ESM für den Euro und Europa? Nicht: Wer wird das bezahlen? Und: Ist der Euro nun gerettet? und nicht: War der Euro überhaupt eine gute Idee? Werden sich „die Märkte“ beruhigen? Und nicht: Wer sind die „Märkte“? Sitzen sie in einem Haus mit Telefonen? Haben sie Farbe, Geruch und eine Adresse? Wann kommen die Euro-Bonds? Und nicht: Wie kann man die Euro-Bonds verhindern?

Um den Anschein zu erwecken, dass man eine ausgewogene, pluralistische Sendung anbietet, die alle Seiten ausreichend zu Worte kommen läßt, lädt man die Gäste ein – zwei kraus, zwei glatt, zwei links, zwei rechts und noch einen skurril gekleideten Spinner oder Schriftsteller oder Lebenskünstler dazu. Alles sehr ausgewogen. Würde man denken, wenn man vom Mond käme. Ist aber auf der Erde in deutschen Talkshows anders. Wen also lädt man ein, sagen wir, zur Frage der Euro-Krise? Zunächst einen Hardliner von Grün-Rot, Minister oder Grünen-Vorsitzenden, gut erholt, gesund, dynamisch, redegewandt, man könnte auch sagen, demagogisch. Typ Trittin oder Gabriel. Dann ein Gegenspieler von rechts, ja – woher nehmen? Am Ende läuft es dann auf Wolfgang Bosbach hinaus, wenn der absagt, lädt man eben Arnulf Baring ein, der von Mal zu Mal resignierter lächelt, so oft hat er Selbstverständlichkeiten geduldig vor tauben Ohren schon wiederholt. Einen Typen, der jung, gut erholt, redegewandt, notfalls auch mal demagogisch wäre wie von Guttenberg, hat man in der CDU und der FDP nicht mehr zu bieten. Sie sind in der Koalition längst ausgeschaltet worden. Dann kommen die sogenannten Experten. Ein Finanz-Experte, der bei näherem Hinsehen eher links oder grün gestimmt ist, aber einen ausgewogenen, geradezu wissenschaftlichen Ton anschlägt und eine sympathische, vertrauenerweckende Miene aufgesetzt hat. Als Gegenspieler ein Vertreter der Banken oder der „Märkte“, der schon äußerlich einen ungünstigen Eindruck macht (so einen findet man leicht) und, ein bißchen hart angefaßt, sich provozieren läßt („Lassen Sie mich doch bitte ausreden!“) und schnell beim Publikum durchfällt. Und nun kommt der fünfte Dis­kussionsteilnehmer. Wetten – es ist eine Frau, jung, aufgekratzt und gut drauf, mit Bubikopf-Frisur aus den 20er Jahren, flotter Feger, meistens von der Linkspartei oder der „Grünen Jugend“ oder den Piraten. Die Talkshow ist gelaufen. Und die nächste dieser Art kommt bestimmt. Von Plasberg, Anne Will, Günter Jauch oder Maybrit Illner.

Junge Grüne hin und flotte Piratinnen her! Aber das ständige, absurd disproportionierte Auftreten von Vertretern der Linkspartei ist so auffällig, als wenn es System hätte. Ist nicht die dreimal umbenannte SED – mit dem Vermögen, den Mitgliedern, der Infrastruktur und meistens auch mit der Ideologie der SED – auch unter ihrem vorläufig letzten Namen eine verfassungsfeindliche, nicht umsonst in mehreren Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachtete Partei? Mehr und mehr wird die Bekämpfung des Extremismus an allen Ecken und Kanten unserer Republik gefordert, oft und gerade von den ganz Jungen mit glühendem Eifer und glaubhaftem Zorn. Aber nur von wenigen Politikern, meist aus Bayern, wird mehr oder weniger zaghaft hinzugefügt, dass man den Extremismus von rechts und links gleichermaßen bekämpfen müsse. Gegen die Gewalt, mit den Autonomen? Haut die Glatzen, bis sie platzen! und Autos abfackeln und Kampf gegen den Patriotismus durch Abknicken und Verbrennen der Deutschlandfahnen? Mit Honeckers Erben und Stalins Verehrern gegen die Rechtsextremen? Mit dem Bock als Gärtner? Kampf gegen den Extremismus – mit der Antifa? Seit Hannah Ahrend sollten wir wissen, dass der Kampf gegen den Totalitarismus unteilbar ist.

Entweder – oder. Sagen wir das unseren jungen, glühenden, zornigen Kämpfern für die Menschenrechte und die Demokratie. Der Kampf gegen die Gewalt und für die Menschenrechte ist unteilbar. Stalin und Hitler sind keine Vorbilder. Sie sind Geschichte, schlimm genug, das muss auch Sahra Wagenknecht lernen, bevor sie in der nächsten Talkshow lauthals das Loblied auf den Sozialismus singt und ihre große Wertschätzung für Stalin still verschweigt. Ein offenes Wort wäre erforderlich und auch nützlich für die umbenannte SED. Findet sicher auch ihr Lebensabschnittsgefährte Oskar, der nie was mit Stalin am Hut hatte. Thema für die nächste Sendung?

Unsere politischen Talkshows werden allmählich gefährlich. Langweilig waren sie schon immer. Aber durch die wundersame Vervielfachung seit einem Jahr läuft die ganze Woche – sogar am Sonntag – jeden Abend zur besten Sendezeit eine politisch einseitige Propaganda-Sendung. Das ist frech, denn es gibt ja auch einen öffentlichen Auftrag der Anstalten zur Information – und den bezahlen wir mit unseren Gebühren. Dieser Auftrag kann nicht nur durch flächendeckende Fußballreportagen und Berichte über Naturereignisse erfüllt werden, er schließt grundsätzlich auch politische Information ein. Information, nicht Desinformation. Linksdrehende Propaganda und Ablenkung durch Nonsens (wie „Alle Deutschen sind Antisemiten“ oder „Dem Sozialismus gehört die Zukunft“) oder Verbreitung von offenkundigem Unfug („Deutschland muss die Schulden der Welt zahlen, weil wir Hitler gewählt haben“) sind das Gegenteil von Information – Desinformation. Trotz heftiger Bemühungen besonders der Neukommer wie Günter Jauch oder Frank Plasberg, sich und ihrer Talkshow ein besonderes Profil zu verleihen, ist, wenn man ehrlich ist, ein Unterschied zwischen den Sendungen im schnellen Ablauf der Wochentage kaum auszumachen. Alle Talkshows haben sich heute zu einer gewissen Gleichförmigkeit abgeschliffen. Gestartet als politischer Klönschnack mit Unterhaltungswert und viel gutem Willen zur Demokratie, ist heute der Unterhaltungswert dieser Sendungen null und der gute Wille purer Eigenpropaganda gewichen. Die Macher selbst mögen sich sogar einbilden, kolossal unterschiedlich und einmalig zu sein. Geschenkt. Einmalig sind wir alle. Nur ahnen sie kaum, dass wir – und das ist die Mehrheit der Deutschen – sie einmalig satt haben. Wie satt, das steht in keiner Quoten-Meldung. Es gibt auch zähneknirschende Zuschauer.


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