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07.07.12 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-12 vom 07. Juli 2012

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

die Ostpreußische Familie hat ein an sie gerichtetes Schreiben bekommen, 14 Seiten lang und reich bebildert. Dass ich es nicht in vollem Wortlaut bringen kann, wird der Schreiber ebenso bedauern wie ich und mancher Leser, aber dass dies aus Platzgründen nicht geht, liegt auf der Hand. Und so greife ich heute aus dem Gesamttext einen Komplex heraus, der sich nur auf die Ostpreußische Familie bezieht und das, was sie in reichem Maße zu dem Thema beigetragen hat, das wir vor zwei Jahren aufgriffen: die Kirche von Alt-Lappienen/Rau­ters­kirch, ihre Geschichte und ihre Bedeutung als Wahr- und Mahnzeichen. Als solches betrachtet sie Herr Prof. Günter Hertel aus Dresden, der sich selber als „herzensbewegten Ostpreußen-Fan“ bezeichnet und der die Diskussion um die Kirchenruine überhaupt in Bewegung gebracht hat. Seitdem dokumentiert er seine ostpreußischen Eindrücke, Erlebnisse und Überraschungen und vor allem seine neue „familiäre Verbindung zur Ostpreußischen Familie“. Sein Engagement für den Erhalt der Ruine, das er in seinen Vorträgen wie beim Bohnenmahl der Kantfreunde im Deutsch-Russischen Haus in Königsberg erklärt, und die darauf folgenden Reaktionen von russischer und deutscher Seite werden wir gesondert behandeln. Heute kommen unsere Leserinnen und Leser zu Wort, die sich zur Überraschung von Herrn Prof. Hertel außerordentlich rege an der Beantwortung seiner Fragen beteiligten, die wir vor zwei Jahren in unserer Rubrik veröffentlicht haben.

Wir hatten dazu ein Bild von dem „Ostpreußenauto“ des Professors veröffentlicht, mit dem er überall die Blicke auf sich zog und mit dem er sich als „Ostpreußen-Fan“ ortete, denn es zeigte Königsberger Motive auf beiden Seiten. Herr Dieter Picklapp war einer der ersten, die auf Herrn Prof. Hertels Fragen nach persönlichen Verbindungen zu der schönen, achteckigen Kirche einging. Er schrieb: „Ich habe eine ganz besondere Verbindung zu diesem Ort. Seit Einweihung der Kirche sind meine Ahnen – zuletzt mein Vater – dort getauft worden. Seit 1648 ist die Familie Picklapp dort auf einem von der Familie bewirtschafteten Hof ansässig. Leider ist alles dem Erdboden gleichgemacht und nur noch in eingelagerten urkundlichen Schriften nachweisbar.“ Ein paar Tage später schickte ihm Herr Picklapp den Scan der Taufurkunde seiner Großmutter Johanne Adline geborene Suttkus, auf dem deutlich das Kirchensiegel der Grafschaft Rautenberg zu erkennen ist.

Herr Prof. Hertel hatte in seiner Anfrage bedauert, dass seine kurzen Nachforschungen zu einer Liste der Dompfarrer und Pfarrer in Alt-Lappienen nicht von Erfolg gekrönt seien, da kam eine Zuschrift von Frau Gisela Hill-Bradder. Die in Königsberg-Ratshof Geborene teilte ihm mit, dass ihr Urgroßvater Samuel Theodor Zippel, (1810–1866) Pfarrer in Lappienen war. Dessen Vater war Theodor Zippel (1777–1838), der das Amt des Dompredigers in Königsberg von 1815 bis 1932 innehatte. Immerhin konnte Herr Prof. Hertel eine von dem Domprediger verfasste Abhandlung über „Kants Stellung zum Christentum“ finden.

Und dann bekam der „Ostpreuße aus Leidenschaft“ eine Auflistung aller Pfarrer, die seit Errichtung der Adl. Kirche von Lappienen anno 1684 bis zu ihrem Ende als deutsches Gotteshaus 1945 von der Kanzel der achteckigen Kirche gepredigt hatten. Frau Katharina Schröter, die fleißige Genealogin zum Kirchspiel Inse, übersandte Herrn Prof. Hertel einen Auszug aus dem „Altpreußischen Evangelischen Pfarrbuch – von der Reformation bis zur Vertreibung 1945“, das Friedwald Moeller 1968 herausgegeben hat. Beginnend mit Johann Vollhard, dem ersten Seelenhirten der Gemeinde, bis zu Pfarrer Kurt Ernst Szogs, dem letzten Geistlichen, der während seines Kriegsdienstes von dem Königsberger Pfarrer Pilzecker vertreten wurde, dessen Name allerdings nicht in der Auflistung der Geistlichen von Alt-Lappienen vertreten ist.

Woher Herr Prof. Hertel diese Information bekam? Von einem, der es wissen muss, denn Herr Ulrich Szogs, gebürtig aus Kaukehmen/Kuckerneese, ist der Neffe von Pfarrer Kurt Ernst Szogs und besitzt sogar ein Foto von seinem Onkel, das nach dessen Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft aufgenommen wurde. Er konnte es Herrn Prof. Hertel zusammen mit dem Lebenslauf des letzten Pfarrers von Rauterskirch – wie das Gotteshaus 1938 umbenannt wurde – übersenden. Sein Onkel hatte die Daten seiner Biographie eigenhändig 1937 in Kaukehmen notiert. Pfarrer Szogs, der in Inse als Hilfsprediger begonnen hatte und 1935 die Pfarrstelle in Alt-Lappienen übernahm, heiratete nach dem Tod des Inser Pfarrers Schiefferdecker dessen Witwe. Nach seelsorgerischer Tätigkeit in Bethel, Hohne und Hagen verstarb er 1982 in Nienburg/Weser.

Auch Frau Sigrid Matthee-Kohl konnte auf eine Verbindung ihrer Familie zu der Kirche hinweisen: Ihre Tante Edith Plauk aus Rauterskirch/Alt-Lappienen hatte ihr erzählt, dass ihr Vorfahre Jakob Plauk die Wetterfahne, die den Turm zierte, geschmiedet hatte. Jacob Plauk war Schmied in Koadjuten. Hier könnte Herrn Prof. Hertel das Buch „Wo liegt Coadjuthen“ von Günter Uschtrin weiterhelfen.

Als gute Informantin erwies sich Frau Dora Jennert, *1932 in Neu Norweischen/Alt Dümpelkrug im Kirchspiel Alt-Lappienen, die in der Kirche getauft wurde. Sie berichtete über ihre Kindheit und Jugend und konnte sich noch an die Einweihung der Straßenbrücke erinnern, die ab 1940 die Ufer der Gilge miteinander verband. Sie konnte Herrn Prof. Hertel sogar eine seltene Originalaufnahme von der Brückeneinweihung übersenden. Und dann stellte sie ihm sogar das Familienbuch zur Verfügung, worüber er hocherfreut war, denn über die große familiäre Bedeutung mit Eintragungen der Trauungen und Taufen hinaus finden sich in diesem Unikat drei interessante originale Stempel der Grafschaft Rautenberg, des Standesamtes Norwischeiten und des Standesamtes Lappienen. Frau Jennert hat den beginnenden Verfall der schönen Kirche auch miterlebt. Die Familie wurde nach missglückter Flucht im Samland von den Russen gefangen genommen – der Vater, Bürgermeister von Alt-Dümpelkrug, wird seitdem vermisst, Dora wurde mit Mutter und Bruder in Seckenburg interniert. Bis zu ihrer Ausweisung im November 1947 wurde sie auch Zeugin der Schändung des Gotteshauses: Alles war herausgerissen worden und durch umliegende Kadaver entweiht.

Auch Herr Gerhard Gengel erlebte die Entweihung der Kirche und musste sogar dabei helfen. Der damals 15-Jährige aus Karkeln musste am 1. Mai 1945 mit etwa 500 anderen Deutschen das Inventar aus den Kirchen in Kuckerneese, Karkeln, Seckenburg und Rauterskirch hinaustragen und an der Gilge bei Sköpen ablagern, damit es von dort nach Russland transportiert wurde. Das Diebesgut, so berichtete er, sei aber zum zweiten Mal gestohlen oder mit dem Hochwasser ins Kurische Haff gespült worden. Bei diesem Hochwasser im Frühjahr 1946, der „Vergessenen Katastrophe“, seien 300 Meter Damm des Russstroms zerbrochen, die Reparatur musste von internierten deutschen Frauen und Kindern sowie Kriegsgefangenen bei gefühlten Temperaturen um minus 40 Grad verrichtet werden! Herr Gengel zweifelt daran, dass irgendein Kirchenbuch diese Zeit an Ort und Stelle überlebt habe, da alles, was nicht niet- und nagelfest war, als Heizmaterial verwendet wurde.

Aber hier unterscheiden sich die Aussagen der Informanten. Zwar erklärt auch der letzte Pfarrer in Rauterskirch, Kurt Szogs, in einer offenbar als Trauschein ausgestellten Bescheinigung 1956 in Hagen (Westfalen), dass „die Kirchenbücher der Kirchengemeinde Rauterskirch infolge der Vertreibung verloren gegangen sind“ – dem tritt aber Herr Carl-Heinz Prinz entgegen. Der Westpreuße, der bis heute einen regen Austausch mit ostpreußischen Vertriebenen pflegt, weist auf einen Gesprächspartner aus diesem Kreis hin, der meint, dass die Kirchenbücher auch aus Ostpreußen in Salzstöcke in Mitteldeutschland ausgelagert wurden und sich jetzt unter anderem im Zentralarchiv der Evangelischen Kirche in Berlin-Kreuzberg befinden müssten. Frau Katharina Schröter weiß sogar die finale Lösung, wenn sie schreibt: „Die Kirchenbücher von Lappienen sind wie etliche andere der Elchniederung um 1935 vom Reichssippenamt verfilmt worden. Jüngster Jahrgang war jeweils das Jahr der Einführung der Standesämter, also 1874. Die Filme sind erhalten geblieben. Sie liegen in der, beim Sächsischen Staatsarchiv in Leipzig angesiedelten, Genealogischen Zentralstelle und können dort eingesehen werden. Außerdem haben die Mormonen Kopien dieser Filme erworben, und man kann sich Kopien zur Einsichtnahme in eine Familienforschungsstelle der Mormonen bestellen.“

Viele Zuschriften, die Herr Prof. Hertel erhielt, beziehen sich auf das mit vielen alten Aufnahmen versehene Buch „Leben und Treiben im Kirchspiel Rauterskirch“ von Brigitte und Horst Janke, das 2002 von der Kreisgemeinschaft Elchniederung herausgegeben wurde. Auch ich konnte ihm mit dem „Heimat-Jahrbuch des Kreises Niederung 1933“, das ich vor langen Jahren aus unserem Leserkreis erhielt, eine gute Informationsquelle bieten, denn in ihm ist eine Abhandlung des Lappiener Kantors Reinecker „Die Kirche von Lappienen – ein Kleinod unter den Baudenkmälern Ostpreußens“ enthalten. Aus ihm konnte der Chronist sehr viel Wissenswertes entnehmen, das in anderen Quellen nicht zu finden und das vor allem authentisch ist.

Wie dieses Thema die Elchniederunger unter unseren Lesern bewegte, ist auch aus den Zuschriften und Fotos zu ersehen, die sich nicht direkt mit der Kirche befassen. So erhielt Herr Prof. Hertel von Herrn Heinz Krüger umfangreiches Material zum Ort Seckenburg, der Endstation der Kleinbahn, die von Brittanien kam und auch in Alt Lappienen/Rauterskirch regelmäßig Halt machte. Herr Krüger hat noch herrliche Erinnerungen an die „Schniefkebahn“, wie sie im Volksmund hieß, denn sein Vater, der Postangestellte Paul Krüger, war zeitweise Heizer auf der Lok der Kleinbahn.

Mit manchen Lesern steht Herr Prof. Hertel auch weiter in Verbindung, es werden neue Informationen und Erkenntnisse ausgetauscht. Eine besonders rege Korrespondenz hat sich für ihn mit Frau Frieda Lukner aus Florida ergeben. Sie ist für unsere Leserinnen und Leser keine Unbekannte, schon oft hat sie sich bei Themen in unserer Kolumne zur Wort gemeldet. Frieda Lukner, die in Labiau geboren wurde, wo ihr Elternhaus Kohzer noch heute steht, schildert vor allem das Leben der Katharina von Rauter und das großartige Werk, das diese Frau nach dem Tod ihres Gatten weiterführte: den Bau des Großen Friedrichsgrabens, eine für eine Frau um 1700 großartige Leistung. Frieda Luckner schreibt: Sie war eine ungewöhnlich tapfere und von Gottesfurcht und Gnaden beseelte Frau, deren Person und Taten noch lange nach ihrem Tod 1704 das Gesprächsthema waren …“

Herr Prof. Hertels Schlussworte sprechen uns aus dem Herzen: „So möge es bleiben! Lassen Sie uns die Splitter der europäischen Kultur in diesem Gebiet zusammensetzen.“ Und er symbolisiert seine Aufforderung mit einer Aufnahme von den Glassplittern eines Kirchenfensters in der Ruine, gefunden unterhalb der Fensterbänke von Manfred von Bötticher. Die aus dem Kreis unserer Ostpreußischen Familie gelieferten Informationen sind aber mehr als Splitter. Wir freuen uns mit Herrn Prof. Hertel über die so rege Beteiligung an einem einzigen Thema, das uns wohl noch lange beschäftigen wird.

Eure Ruth Geede


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