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14.07.12 / Cameron als Schiedsrichter Europas / Britischer Premier nutzt Schwäche der EU und des Euro, um eigene nationale Interessen durchzusetzen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-12 vom 14. Juli 2012

Cameron als Schiedsrichter Europas
Britischer Premier nutzt Schwäche der EU und des Euro, um eigene nationale Interessen durchzusetzen

Erstmals könnte der Austritt eines Landes aus der EU Realität werden. In Großbritannien wird die Abhaltung einer Volksbefragung über die weitere EU-Mitgliedschaft des Landes immer wahrscheinlicher.

Statt eines EU-Austritts könnte allerdings auch ein altes Konzept britischer Machtpolitik Auferstehung feiern: Euro-Bonds, gemeinsame Fiskalpolitik, eine Banken­union – viele der aktuellen Forderungen des britischen Premiers David Cameron hören sich so an, als würden sie von Euro-Einpeitschern wie Martin Schulz oder Eurogruppenchef Jean Claude Juncker stammen. Erst beim Kleingedruckten wird ein entscheidender Unterschied deutlich: Die gemeinsame Schuldenunion und der weitere Verlust von Entscheidungsfreiheit zugunsten Brüssels sollen alle ohne Großbritannien stattfinden. Für sich selbst sehen die Briten die Zukunft genau im Gegenteil von dem, was sie dem übrigen Europa empfehlen, denn in Großbritannien stehen die Zeichen auf Abwendung von der EU. Unklar ist nur, wie weit man dabei gehen wird.

Derzeit befürworten 68 Prozent der Briten einen Volksentscheid über den weiteren Verbleib des Landes in der EU. Unter dem Druck einer starken EU-kritischen Gruppe in seiner eigenen Partei, den Tories, hat Cameron inzwischen sogar Bereitschaft erkennen lassen, eine derartige Befragung abzuhalten. Camerons eigentliches Ziel ist indes der Verbleib Großbritanniens in der EU – allerdings zu Vorzugsbedingungen: ein Zugang zum gemeinsamen Binnenmarkt ohne größere weitere Verpflichtungen und Belastungen. Auch den Ansatzpunkt, wie sich diese Art von privilegierter EU-Mitgliedschaft erreichen lässt, hat Cameron bei einer Rede im Unterhaus bereits angedeutet: „Wir sollten diese Gelegenheiten maximieren und unsere nationalen Interessen durchsetzen.“ Mit „diese Gelegenheiten“ meint er nichts anderes, als das Ausnutzen der aktuellen Schwächephase von EU und Euro. Die Chancen, so Sonderkonditionen aushandeln zu können, scheinen nicht einmal schlecht. Aufmerksam verfolgt wird etwa die zunehmende Isolation Deutschlands bei EU-Gipfeln. Sollte der „Club Med“ irgendwann Themen wie eine Abschottung vom Weltmarkt oder Ähnliches auf die Tagesordnung der EU setzten, könnte Deutschland auf die Unterstützung Großbritanniens angewiesen sein, lautete etwa eine Kalkulation, die unlängst von einem Vertreter der Denkfabrik „Open Europe“ zu hören war. Das Gedankenspiel macht nicht nur deutlich, welche Möglichkeiten sich aus britischer Sicht bieten, sondern auch, wie erpressbar Deutschland innerhalb der EU geworden ist.

In moderne Form gekleidet, könnte damit in der britischen Außenpolitik ein Konzept Auferstehung feiern, das bereits im viktorianischen Zeitalter Triumphe feierte: die „Splendid isolation“, die „wunderbare Isolation“. Kernpunkt war die Aufrechterhaltung eines europäischen Mächtegleichgewichts, bei dem Großbritannien den Schiedsrichter spielt, kombiniert mit einem anderen traditionellen Grundsatz britischer Europapolitik, der Schwächung der jeweils stärksten Macht auf dem Kontinent. Camerons Befürwortung von Euro-Bonds, Fiskal- und Bankenunion für die Euro-Zone, während Großbritannien außen vor bleibt, lässt sich nämlich durchaus in zwei Richtungen deuten. Zum einen als Wunsch, Investitionen der „City of London“ in den EU-Krisenländern zu retten, indem Deutschland zur Kasse gebeten wird. Zum anderen würde Deutschland mit der Abgabe seiner Haushaltssouveränität an Brüssel und dauerhaften Transferleistungen an das übrige Europa daran gehindert, selbst allzu erfolgreich zu sein.

Cameron hat gleich noch ein weiteres Beispiel für pragmatische britische Interessenpolitik geliefert. „Den roten Teppich ausrollen“ wolle er den französischen Konzernen, die vor der Steuerpolitik des neuen französischen Präsidenten flüchten wollen, ließ er unlängst wissen. In Deutschland wenig beachtet, hat allerdings auch schon Frankreichs Präsident Francois Hollande klar gemacht, was er von der Abgabe französischer Souveränitätsrechte hält: „Es gibt keine Übertragung von Souveränität ohne größere Solidarität“. Im Klartext war das eine Absage an Merkels Europa-Konzept einer gemeinsamen Fiskalpolitik, der auf lange Sicht einmal eine gemeinsame Schuldenhaftung folgen kann. Damit befindet sich Hollande im Einklang mit der gesamten Europa-Politik Frankreichs der Nachkriegszeit. Deren Ziel war es nicht, französische Souveränität einzuschränken, sondern im Gegenteil die Einflussmöglichkeiten Frankreichs durch Rückgriff auf deutsche Ressourcen zu erweitern. De facto heißt das, Weltmacht mit den Mitteln anderer zu sein.

Deutschlands politische Führung scheint unter den wichtigen nationalstaatlichen Akteuren der letzte zu sein, der noch am Ziel einer weiteren politischen Integration der EU festhält. Tatsächlich stehen die Zeichen auf eine Art von Restaurationspolitik im Stil der Zeit Metternichs. Eine Diskussion, wie unter diesen Bedingungen eine realistische deutsche Europapolitik aussehen könnte, hat jedoch noch nicht einmal begonnen.          Hermann Müller


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