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21.07.12 / Hedwig fehlt etwas / Ein Hahn − letzte Rettung für Legehenne

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-12 vom 21. Juli 2012

Hedwig fehlt etwas
Ein Hahn − letzte Rettung für Legehenne

Die Katastrophe hatte sich schon seit längerer Zeit angekündigt. Hedwig benahm sich in den letzten Tagen recht merkwürdig. Manchmal stand sie einfach nur teilnahmslos am Maschendraht und blickte traurig zum Grundstück des benachbarten Bauern hinüber.

Ich mochte Hedwig, mit ihrem schneeweißen Federkleid sah sie viel eleganter aus, als die übrigen Hühner auf dem Hof unserer Nachbarin. Pflichtbewusst legte sie jeden Tag ein Ei und lief anschließend gackernd über den Hof. Und Hedwig gackerte oft und laut ... Ab und zu, wenn Frau Bergers Hühner besonders viele Eier produzierten, schenkte unsere Nachbarin mir ein paar. „Hedwigs Eier schmecken besonders gut“, sagte mein Mann stets nach dem Frühstück. Ich konnte ihm da nur beipflichten – ein Topfkuchen mit frischen Hühnereiern gebacken, schmeckt einfach herrlich.

Und nun streikte Hedwig – trotzig schlug sie mit den Flügeln und scharrte träge in der Erde. Gelangweilt pickte sie ein Futterkorn auf und putzte ihr Gefieder. Nachdenklich stand Frau Berger am Zaun und ließ ihre Augen über die Hühnerschar wandern. Ihr Blick verhieß nichts Gutes. Mit zusammengekniffenen Augen starrte sie Hedwig an und machte schließlich eine unmißverständliche Handbewegung. Mir kam ein entsetzlicher Gedanke. Sie wird doch nicht ... „Wenn Hedwig nicht spurt, kommt sie in den Kochtopf“, Frau Bergers Stimme klang energisch und unversöhnlich.

Ich musste schlucken, mit allem hatte ich gerechnet, doch damit nicht. Flehend sah ich zuerst Frau Berger und dann Hedwig an. „Muss das wirklich sein? Vielleicht ist Hedwig etwas unpässlich“, fragte ich unsicher. „Hedwig ist eine Legehenne! Mein Hühnerhof ist kein Sanatorium für unpäßliche Hühner!“

Frau Berger duldete keinen Widerspruch, das wurde mir in diesem Moment klar. In meiner Verzweiflung wandte ich mich, in einem unbemerkten Augenblick, an Hedwig. „Nun komm schon“, sprach ich beschwörend auf die Henne ein. „Leg doch wenigstens ein Ei. Das kann doch nicht so schwer sein“, murmelte ich leise.

Hedwig ließ mein Bitten und Flehen ziemlich kalt. Sie drehte ihren Kopf in die andere Richtung und trippelte lustlos über den Hof. Jetzt war guter Rat teuer. Auf Hedwigs wohlschmeckende Früh-

stückseier wollten mein Gatte und ich auf keinen Fall verzichten. Frau Berger machte auch nicht den Eindruck, als könne es mir jemals gelingen, sie umzustimmen. Nun verstehe ich von artgerechter Hühnerhaltung ungefähr soviel, wie ein Hamster vom Haareschneiden. Außerdem fehlte mir jede Idee, was in einem Fall von absoluter Legeverweigerung zu tun sei. Frau Berger würde uns keine große Hilfe sein, das stand fest.

Mein Mann hatte schließlich die rettende Idee. „Ich kann mir denken, was Hedwig fehlt“, sagte er schmunzelnd und versprach, sich um die einsame Henne zu kümmern. Und so kam es, dass einige Zeit später ein stolzer, schwarzer Hahn würdevoll über Bergers Hühnerhof stolzierte. Hedwig war völlig aus dem Häuschen. Laut gackernd putzte sie kokett ihre kurzen Schwanzfedern und folgte dem aufgeblasenen Hahn, auf Schritt und Tritt bei seinem Kontrollgang über den Hühnerhof.

„Das war Hedwigs letzte Chance“, sagte Frau Berger amüsiert und bedankte sich bei meinem Gatten mit einem großen Korb frischer Hühnereier. Ich glaube, von Hedwig waren auch einige dabei. Helga Licher


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