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21.07.12 / Westalliierte tragen Mitschuld / US-Historiker über die brutale Vertreibung der Deutschen und die Heuchelei seiner Landsleute

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-12 vom 21. Juli 2012

Westalliierte tragen Mitschuld
US-Historiker über die brutale Vertreibung der Deutschen und die Heuchelei seiner Landsleute

Nach verlorenen Kriegen setzen die Siegermächte das Recht und schreiben die Geschichte in ihrem Sinne. Die Wahrheit ist das erste Opfer vor, aber auch nach einem Krieg! Wenn mehr als 60 Jahre nach einem Krieg ein „Sieger“ sich die Mühe macht, die Wahrheit ans Licht zu befördern und die Geschichtsschreibung einer Revision zu unterziehen, dann ist das schon eine Sensation, auch wenn dies für die überwiegende Mehrheit der Betroffenen zu spät kommt. In einem akribischen Quellenstudium hat der US-Historiker R. M. Doug-las vor allen den Siegermächten in Ost und West den Spiegel ihres ambivalenten und unrechtmäßigen Tuns vorgehalten.

Umso mehr ist die Lektüre des Buches „,Ordnungsgemäße Überführung‘: Die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg“ ein Muss für die nachfolgenden Generationen, insbesondere für die handelnden Politiker, damit sie sich der Dimensionen ihrer Entscheidungen bewusst werden und weitere Fehler vermeiden. Das Buch ist extrem faktenreich, anspruchsvoll, ja anstrengend. Vor allem erfordert es Charakter- und Nervenstärke, um die Wallungen der Gefühle angesichts der Grausamkeiten wie der Verbrechen an den Heimatvertriebenen unter Kontrolle zu behalten. Der Stempel auf der Titelseite „Ordnungsgemäße Überführung“ ist eine Ironie, die ein Ereignis formal-bürokratisch abschließt. Die Vertreibungen waren brutal und völkerrechtswidrig, zogen die Würde des Menschen in den Dreck. Ob „wild“ oder „organisiert“, Vertreibungen als „Kollektivbestrafung“ sind immer ein Willkürakt und nie „ordnungsgemäß“.

Das Buch ist gegliedert in 13 Kapitel und umfasst 460 Seiten. Es folgen fast 80 Seiten Anmerkungen und ein Literaturverzeichnis von 24 Seiten. Das Werk ist eine Fundgrube an Fakten, vor allem für historisch Interessierte. Douglas: „Ich habe bestimmte Elemente betont, die meiner Meinung nach besondere Aufmerksamkeit verdienen: die Durchführung der Massenvertreibungen, das Archipel von Konzentrations-, Internierungs- und Sammellagern, das in ganz Mitteleuropa nach dem Krieg entstand, die Implikationen der Vertreibungen für die Entwicklung des Völkerrechts und die (viel) zu wenig beachtete Mitwirkung der Westalliierten bei der Operation, die (sehr) weit über bloße Zustimmung hinausging.“

Erstaunlich ist die Bereitschaft, mit der vor allem Historiker aus Polen und Tschechien zum Gelingen dieses Werkes beigetragen haben. Das Buch beginnt 1938 mit „Der Planer“ und zeigt auf, welch zentrale Rolle Präsident Edward Benesch spielte, der zwar 1918 den Alliierten einen „multinationalen Musterstaat“ Tschechoslowakei versprach, doch genau das Gegenteil schuf. Er betrieb zielstrebig die Vertreibung der Sudetendeutschen und „Ende 1943 hatte das Vertreibungsprojekt aber eine solche Eigendynamik gewonnen, dass nur ein eindeutiges Veto der Großen Drei es noch aufgehalten hätte“.

Aufschlussreich ist das Kapitel „Der Plan“: „Die Vertreibung unerwünschter Völker ist fast so alt wie die dokumentierte Menschheitsgeschichte.“ Und dann: „In vieler Hinsicht war der Erste Weltkrieg eine Generalprobe für die Bevölkerungsverschiebungen im 20. Jahrhundert.“ Wenig bekannt ist die „épuration“ (Säuberung) der Franzosen in Elsass-Lothringen zwischen 1918 und 1921, der zirka 100000 Deutsche zum Opfer fielen. Interessant das Spiel von Stalin mit der Mehrdeutigkeit „Oder-Neiße-Linie“, denn es gab eine „östliche“ und eine 200 Kilometer westlich davon verlaufende „westliche“ Neiße. Dazu: „Stalin versicherte den Lubliner Polen sarkastisch, Churchill werde den Unterschied gar nicht merken.“ Und so war es dann auch, obgleich der polnische Exil-Premier T. Arci-szewski der Presse sagte: „Polen hat nicht den Wunsch, Breslau und Stettin zu annektieren, es wolle höchstens ein von der deutschen Bevölkerung geräumtes Ostpreußen.“ Während die Briten und Amerikaner die Schuld an den zu „hohen“ Verlusten und dem „schrecklichen“ Leid nun den Vertreibungsländern und der Sowjetunion gaben, kommt Douglas zu dem Schluss: „Das war und ist eine völlig unaufrichtige Interpretation.“ Die Westalliierten „hatten ihre Verbündeten zu Handlungen ermutigt und ihre Mitarbeit dabei versprochen, die sie bei ihren Feinden später als Kriegsverbrechen anklagten“.

Die Kapitel „Die wilden Vertreibungen“ und „Die Lager“ offenbaren die ganze Bestialität und Brutalität, zu der Menschen aller Völker selbst gegenüber wehrlosen Kindern, Frauen und Greisen fähig sind. Die Zustände in den Internierungslagern müssen so schrecklich gewesen sein, dass die Polen, Tschechen, Rumänen und Jugoslawen selbst der Internationalen Kommission des Roten Kreuzes den Zugang verweigerten. Wie es im gewonnenen „Wilden Westen“ zuging, fasst Douglas wie folgt zusammen: „Die Aussage ist nicht übertrieben, dass ,Goldgräber‘-Stimmung die gesamte tschechoslowakische und polnische Gesellschaft von ganz unten bis ganz oben durchdrang. Nach seiner Rückkehr aus dem Londoner Exil verschaffte sich beispielsweise Hubert Ripka, der neu ernannte Außenhandelsminister, eine große Villa mit 17 Zimmern, die deportierten deutschen Besitzern gehört hatte. Der Minister stattete das Haus bald mit besten Möbeln aus gleicher Quelle aus. Für ein paar eifrige Pioniere war das „Goldgräbertum“ nichts weiter als die Fortsetzung eines Profitstrebens, das während des Holocaust begonnen hatte. Wie der „Economist“ im Juli 1946 verächtlich feststellte, hatte sich „in Mitteleuropa während des Krieges eine neue Lumpenbourgeoisie ausgebreitet, die zuerst den Besitz ermordeter Juden und dann vertriebener Deutscher plünderte“. Im Kapitel „Der Neubeginn“ schreibt Douglas: „Rational betrachtet, war das ,Abladen‘ einer riesigen verarmten und traumatisierten Bevölkerungsgruppe in einem zerbombten Land, das sie nicht haben wollte und wo keine Vorbereitungen für ihre Aufnahme getroffen waren, ein Rezept für eine Katastrophe.“ Dass es dazu nicht kam, ist kein Verdienst der Besatzungsmächte, sondern einzig und allein ein Verdienst der Heimatvertriebenen, die sozial degradiert sich in ihr Leid wie ihr grauenvolles Schicksal fügten, es aber zugleich wendeten, um sich diszipliniert und fleißig am Wiederaufbau zu beteiligen. Wenn auch Ende 1947 der „Alliierte Kontrollrat“ als Deutschlands provisorische Viermächteregierung die Vertreibung aus „Gründen wirtschaftlicher, sozialer und religiöser Ungerechtigkeiten“ verurteilt, so ist dies auf juristisch-völkerrechtlicher Ebene bis heute unterblieben und wird es ohne „Friedensvertrag“ auch bleiben. Wolfgang Thüne

R. M. Douglas: „,Ordnungsgemäße Überführung‘. Die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg“, Beck, München 2012, gebunden, 556 Seiten, 29,95 Euro


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