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21.07.12 / Doktor in Wut / Mediziner kritisiert Gesundheitsbranche

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-12 vom 21. Juli 2012

Doktor in Wut
Mediziner kritisiert Gesundheitsbranche

Eine der Säulen unserer Gesellschaft ist die medizinische Versorgung. Wie die Energiewirtschaft und die Nahrungsmittelindustrie ist unser Gesundheitswesen von massiven wirtschaftlichen Interessen mitbestimmt. Produktion, Vertrieb und Handel funktionieren auf der Basis von Netzwerken und Interessenausgleich. In aller Regel werden diese Strukturen nicht hinterfragt, auch weil man sie für undurchschaubar hält. Anlass zum Nachdenken ergibt sich für Patienten oftmals erst, wenn Schmerz, Leid oder ein Todesfall eingetreten ist und zum Beispiel eine falsche Medikamentenverordnung als Ursache vermutet wird.

Der Heidelberger Hausarzt, Dozent, Berater und Bestsellerautor Dr. med. Gunter Frank beklagt in seinem in den Medien umstrittenen Buch „Schlechte Medizin. Ein Wutbuch“, dass es in sehr vielen Fällen allerdings gar nicht mehr möglich sei, einen solchen Zusammenhang zu erkennen. Warum das der Fall sei, warum also Millionen Menschen, wie er behauptet, unwissentlich zu Opfern schlechter Medizin werden, glaubt er zu wissen. Dieses vermeintliche Wissen löste seine Wut aus und veranlasste ihn zum Schreiben seines pamphletartigen Buches.

Große Mühe hat er darauf verwandt, seine Hauptthese zu untermauern, dass die allermeisten Menschen heute aufgrund einer Absenkung der Normwerte, meist für Blutdruck und Cholesterin, fälschlicherweise für krank erklärt würden. Nicht nur chronisch Kranke, sondern auch für krank erklärte Gesunde erhalten demnach unwissentlich jahrelang Medikamente gegen Diabetes und Bluthochdruck mit der Folge schwerer, oft sogar tödlicher Nebenwirkungen. Allein auf der Grundlage unzureichender Studien und wegen der Absenkung von Normwerten seien sie als Patienten oder besser „Kunden“ gewonnen worden. Damit würde ihnen auch unnötigerweise Angst eingejagt, betont der Autor, und schließlich sei ihnen natürlich auch der Blick auf die Ursache bestimmter, später eingetretener Beschwerden verstellt: eine falsche Diagnose. Aus diesem Grund hat sich Gunter Frank sogar die Mühe gemacht, seiner Leserschaft die Bewertungskriterien von medizinischen Studien zu erläutern; denn handwerklich schlecht gemachte Studien würden zum Risiko für zahllose Menschen, wenn darüber hinaus keine Erfahrungswerte vorliegen und sie dennoch als Basis für neue Richtwerte herangezogen werden. Genauso werde bei der Absenkung der Normwerte verfahren, so der Autor Frank.

Der Ton des Buches ist oft polemisch, und Frank schlüpft immer wieder in seine Rolle als Trainer und Berater von Firmenpersonal, indem er seine Leser persönlich anspricht, um sie auf seine Seite zu ziehen. Energisch widerspricht er der auf der US-amerikanischen Framingham-Studie beruhenden grundsätzlichen Annahme, durch Prävention könnten Zivilisationskrankheiten verhindert werden. Diese irrige Annahme habe zur derzeitigen Situation der übermäßigen Medikamentenverordnung geführt. Als Hauptschuldige in dem undurchsichtigen System – und darin scheint er mit den von ihm im Fach „Gesundheitsmanagement“ unterwiesenen Chemikern und Pharmakologen überein zu stimmen, was er an einer Stelle den Leser wissen lässt – hat Dr. Frank die medizinischen Hochschulprofessoren ausgemacht. Sie allein würden entscheiden, welche Medikamente in den Forschungseinrichtungen getestet werden und welche nicht. „Mietmäuler“ nennt er sie.

Eigentlich muss man Gunter Frank dafür dankbar sein, dass er den Finger in die Wunde legt. Doch könnte es vielleicht sein, dass er einen Kreis von Gleichgesinnten hinter sich weiß, vielleicht sogar Interessenvertreter aus der Lebensmittelbranche? Frank meint nämlich, Diäten seien nutzlos. In einem „Stern“-Interview hat er versichert, Fastfoodesser seien nicht dicker als der Durchschnitt. Nun noch dies: Auf der Internetseite eines Zürcher Beratungsunternehmens für Führungskräfte empfiehlt sich Gunter Frank als „Berater namhafter Firmen“. Dagmar Jestrzemski

Gunter Frank: „Schlechte Medizin. Ein Wutbuch“, Knaus Verlag, München 2012, kartoniert, 285 Seiten, 16,99 Euro


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