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28.07.12 / Sonderrechte dank Religiosität / Debatte um Wehrpflicht für Orthodoxe offenbart, dass Israel ein tief gespaltenes Land ist

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-12 vom 28. Juli 2012

Sonderrechte dank Religiosität
Debatte um Wehrpflicht für Orthodoxe offenbart, dass Israel ein tief gespaltenes Land ist

Den beiden bislang in Israel regierenden Parteien Likud und Kadima ist es nicht gelungen, einen Kompromiss zur Wehrdienstreform zu finden. Der Oberste Gerichtshof hatte im April die Sonderregelungen zur Wehrdienstbefreiung für ultraorthodoxe Juden und Angehörige der arabischen Minderheit für verfassungswidrig erklärt und deren Abschaffung zum 31. Juli verlangt. Seit dem Regierungsbeitritt der liberalen Kadimapartei im Mai war zum ersten Mal eine säkulare Mehrheit ohne die religiösen Parteien möglich. Shaul Mofaz, der Vorsitzende von Kadima und ehemalige Generalstabschef hatte gefordert, für alle 18-jährigen Israelis, auch für die ultraorthodoxen Juden und israelischen Araber, in Zukunft einen Wehrdienst oder zivilen Ersatzdienst einzuführen. Doch Regierungschef Benjamin Netanjahu hat sich ohne Not nun dem Druck seiner beiden anderen ultrareligiösen Koalitionspartner, der ultraorthodoxen Schas-Partei und der Thora-Partei, gebeugt. Beide Parteien waren nur bereit, ein jährlich geringer werdendes Quotensystem für ultraorthodoxe Juden in der Armee zu akzeptieren. Daraufhin kündigte Kadima die Koalition auf, so dass bald Neuwahlen anstehen.

In Israel gilt mit drei Jahren Wehrpflicht für Männer und zwei Jahren für Frauen eine der längsten militärischen Pflichtdienstzeiten weltweit. Die noch durch jährliche Reservedienste von fast einem Monat bis zum 40. Lebensjahr ergänzt wird. Allerdings galten diese Pflichten nicht für die am schnellsten wachsenden Gruppen der israelischen Gesellschaft, die arabischen Israelis, die fast 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen, und die ultraorthodoxen Juden, deren Anteil an der jüdischen Bevölkerung ständig wächst und die etwa 15 Prozent der Staatsbevölkerung ausmachen. Da die religiösen Parteien seit der Staatsgründung 1948 in jeder Regierung zur Mehrheitsbeschaffung gebraucht wurden und diese den Waffendienst für ihre Wählerklientel immer abgelehnt haben, gehörte die Wehrdienstfreistellung für orthodoxe Juden zu jedem Koalitionsvertrag seit der Staatsgründung, und dies, obwohl der Staat Israel seit seiner Gründung fünf Kriege ausgefochten hat und angesichts des Konfliktpotenzials im Nahen Osten jeden Tag ein neuer Krieg ausbrechen könnte.

Der Unmut derer, die drei Jahre Uniform tragen und anschließend regelmäßig zu Reserveeinsätzen gerufen werden, während ihre frommen Altersgenossen freigestellt sind, wuchs in den letzten Jahren ständig. In den Anfangsjahren der Staatsgründung hatte man großes Verständnis für die orthodoxen Juden. Den religiösen Dienst ihrer Gebete verstand man damals noch als absolut gleichwertig mit dem Waffendienst der Soldaten. Aus einer verschwindend kleinen Gruppe ultraorthodoxer Juden, denen Israels erster Regierungschef David Ben-Gurion einst Sonderrechte einräumte, ist inzwischen eine riesige Anzahl freigestellter Ultraorthodoxer geworden. Durch die zunehmende Stärke der Ultraorthodoxen und ihr immer selbstbewussteres Auftreten in der israelischen Öffentlichkeit haben sie sich in der israelischen Gesellschaft zunehmend unbeliebt gemacht. Auch hatte ihr oft aggressivees Auftreten bei Demonstrationen der Öffentlichkeit deutlich gemacht, dass diese gar keine Pazifisten sind, wie sie in der Berufung auf den Talmud behauptet hatten.

In den letzten Wochen hatten sich Tausende Menschen in Tel Aviv versammelt und gefordert: „Ein Volk = eine Wehrpflicht“, man wollte eine Einbeziehung der ultraorthodoxen Juden in den Militärdienst. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtes wurde eine Parlamentskommission unter Leitung des Kadima-Abgeordneten Jochanan Plessner gebildet. Sie riet dazu, streng religiöse Männer im Alter von 22 Jahren in die Armee aufzunehmen oder sie zu einer Art Zivildienst zu verpflichten. Eine radikale Anwendung der Reform hätte sicherlich einen Kulturkampf in Israel ausgelöst, weil es viele ultraorthodoxe Juden zum Beispiel ablehnen, Hebräisch zu sprechen, sie sprechen weiterhin Jiddisch.

Zugleich werden arabische Israelis, die etwa gleichgroße Jahrgangsstärken wie die Ultraorthodoxen aufzuweisen haben, bisher nur in Ausnahmefällen in die Armee aufgenommen. Die Regierung fürchtet, sie könnten bei Kämpfen gegen Palästinenser überlaufen. Zurzeit tragen nur etwa 2000 arabische Israelis, Drusen, Christen oder Beduinen und die islamischen Tscherkessen die israelische Uniform auf freiwilliger Basis. Die restlichen fast 100000 arabischen Israelis sollten nach der Reform zu einem zivilen Ersatzdienst verpflichtet werden. Eine Mehrheit der israelischen Araber hat gegen gleiche Pflichten grundsätzlich nichts einzuwenden, aber dann müssten alle Bürger auch gleiche Rechte haben.          Bodo Bost


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