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28.07.12 / Moderne Kunst am Pranger / Vor 75 Jahren wurde die klassische Moderne in der Münchner Ausstellung »Entartete Kunst« verteufelt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-12 vom 28. Juli 2012

Moderne Kunst am Pranger
Vor 75 Jahren wurde die klassische Moderne in der Münchner Ausstellung »Entartete Kunst« verteufelt

Am 19. Juli 1937 wurde in München eine Sensationsausstellung eröffnet, die wohl für immer die am besten bestückte Schau moderner deutscher Kunst bleiben wird. Mit über zwei Millionen Schaulustigen verzeichnete sie das höchste Besucherergebnis aller Zeiten. Der Titel der Ausstellung  „Entartete Kunst“ rief zur Empörung auf. Die Ausstellung „Moderne am Pranger“ in Aschaffenburg erinnert daran.

Die „Prangerschau“ war als Gegenstück zur tags zuvor eröffneten „Großen Deutschen Kunstausstellung“ konzipiert, mit der das Münchener „Haus der Deutschen Kunst“ (heute „Haus der Kunst“) eingeweiht wurde. Die bot in 40 lichtdurchfluteten Sälen, 1200 großzügig und übersichtlich präsentierte Plastiken, Gemälde und Grafiken von 557 Künstlern, welche die nationalsozialistischen Machthaber für gute deutsche Kunst hielten. In den Katalog der 420000 Besucher verzeichnenden Großen Deutschen Kunstausstellung war ein roter Handzettel eingelegt. Der verhieß Ungeheuerliches: „Gequälte Leinwand – Seelische Verwesung – Krankhafte Phantasten – Geisteskranke Nichtskönner. Besucht die Ausstellung ,Entartete Kunst‘.“ Diese wurde in den Hofgarten-Arkaden präsentiert. In neun schmalen Räumen waren rund 600 Gemälde, Plastiken und Grafiken von etwa 120 Künstlern zusammengepfercht.

Die Schau prangerte Vertreter des Impressionismus, des Dada-ismus und der Neuen Sachlichkeit, die Künstler des Bauhauses und die Spielarten der Abstraktion als „Verfallskunst“ an. Der Hauptangriff galt den Expressionisten. Auf Wandbeschriftungen wurde das Ausstellungsgut beschimpft. Zu Max Beckmanns „Kreuzabnahme“ hieß es „Freche Verhöhnung des Gotterlebens“. Jüdische Künstler wie Marc Chagall und Ludwig Meidner waren in einer eigenen „Schreckenskammer“ zusammengeführt. Unter „Verhöhnung der deutschen Frau“ firmierten Aktbilder von Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner. Gemälde von Otto Dix wurden als „Be-schimpfung der deutschen Helden des Weltkriegs“ abqualifiziert. Zu Werken von Paul Klee und Wassily Kandinsky hieß es „Verrückt um jeden Preis“. Christoph Zuschlag, Verfasser des Standardwerks „Entartete Kunst“, bezeichnet die gezielte Bestätigung des Betrachters in seinen Vorurteilen gegenüber der modernen Kunst als wichtigste Intention der Ausstellungsdramaturgie.

Reichspropagandaminister Joseph Goebbels hatte Adolf Ziegler, Präsident der Reichskammer der bildenden Künste, den Auftrag erteilt, aus deutschen Museen Werke für die geplante „Schandausstellung“ zu beschaffen. Ziegler stellte eine Kommission zusammen. In seiner Eröffnungsrede zur Großen Deutschen Kunstausstellung kam Adolf Hitler ausführlich auf die „Verfallskunst“ zu sprechen, unter der er moderne deutsche Kunst seit 1910 verstand. Er kündigte an: „Wir werden von jetzt ab einen unerbittlichen Säuberungskrieg führen gegen die letzten Elemente unserer Kulturzersetzung.“ Am 24. Juli 1937 gab er den entsprechenden „Führerbefehl“. Beide Aktionen zusammengerechnet, wurden in 101 Museen von 74 Städten etwa 21000 Kunstwerke beschlagnahmt.

Die international verwertbar erscheinenden Werke wurden ausgesondert und zu Schleuderpreisen ins Ausland verkauft. Berühmt ist die Luzerner Auktion von 1939, bei der neben „entarteten“ Werken von 24 deutschen Künstlern ebenfalls beschlagnahmte Werke von 15 Ausländern wie Vincent van Gogh, Paul Gauguin und Pablo Picasso unter den Hammer kamen. Man kann den enormen Verlust für die deutschen Museen beklagen. Doch der Verkauf war für die Kunstwerke die Rettung. Denn der von den Nazis seinerzeit als unverwertbar eingestufte Rest wurde verbrannt.

Seit dem Ende der NS-Herrschaft wird die einst „entartete Kunst“ hoch verehrt. Dazu hat ganz wesentlich die erste documenta beigetragen, die 1955 in Kassel gezeigt wurde. Die gab einen internationalen Überblick auf die Kunst des 20. Jahrhunderts. An dem waren 41 deutsche und elf ausländische Künstler beteiligt, deren Werke von den Nazis als „entartet“ beschlagnahmt worden waren.

Spitzenreiter unter den von den Beschlagnahmen betroffen Künstler war ausgerechnet das NSDAP-Mitglied Emil Nolde mit 1075 Arbeiten. Beckmann, der 1937 Deutschland verließ und die Kriegsjahre unter erbärmlichen Umständen in Amsterdam verbrachte, war mit 684 Bildern dabei. Nach heutigem Wissensstand wurden Werke von 1595 Künstlern und Künstlerinnen aus den deutschen Museen als „entartet“ entfernt. Das geht aus der von der Berliner Forschungsstelle „Entartete Kunst“ erarbeiteten und von Gerhard Schneider ergänzten Liste hervor. Die weitaus meisten Künstler hatten wenige Beschlagnahmen zu beklagen, viele nur ein bis zwei Arbeiten. Aber gerade diesen „vergessenen Künstlern“ gilt das Hauptaugenmerk von Gerhard Schneider. Er hat eine Spezialsammlung, in der über 300 der von den beiden Beschlagnahme-Aktionen des Jahres 1937 betroffenen Künstler und Künstlerinnen mit beispielhaften, also nicht unbedingt beschlagnahmt gewesenen Werken vertreten sind. Sie ist eine bundesweit einmalige Form der Erinnerung an die NS-Kampagne. Seine Kollektion umfasst hauptsächlich Grafiken. Unter dem Titel „Moderne am Pranger“ sind aus der Sammlung Schneider 150 Werke von 68 Künstlern, darunter Berühmtheiten wie Otto Dix und George Grosz, vor allem aber unbekannten Größen wie Rudolf W. Heinrich und Otto Lange, in der Aschaffenburger Kunsthalle Jesuitenkirche ausgestellt. Veit-Mario Thiede

„Moderne am Pranger. Die NS-Aktion ,Entartete Kunst‘ vor 75 Jahren“, Werke aus der Sammlung Gerhard Schneider. Bis 11. November in der Kunsthalle Jesuitenkirche, Aschaffenburg. Di., 14 bis 20 Uhr, Mi. bis So., 10 bis 17 Uhr. Telefon (06021) 218698, www.museen-aschaffenburg.de


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