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28.07.12 / Rätselhaftes Ende des schwedischen Judenretters / Nicht einmal das Todesjahr des vor 100 Jahren geborenen Diplomaten Raoul Wallenberg ist bekannt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-12 vom 28. Juli 2012

Rätselhaftes Ende des schwedischen Judenretters
Nicht einmal das Todesjahr des vor 100 Jahren geborenen Diplomaten Raoul Wallenberg ist bekannt

Vor 100 Jahren, am 4. August 1912, kam Raoul Wallenberg als Sohn eines schwedischen Marineoffiziers und dessen jüdischstämmiger Ehefrau in der Nähe von Stockholm zur Welt. Der frühverstorbene Vater gehörte zu einer weitverzweigten, sehr einflussreichen schwedischen Unternehmerfamilie und nach dem Abschluss eines Architekturstudiums in den USA war Raoul Wallenberg gleichfalls bis in den Zweiten Weltkrieg hinein wirtschaftlich tätig.

Danach trat er auf US-amerikanische Bitten hin in den diplomatischen Dienst Schwedens ein, um als Botschaftsangehöriger in Ungarn jüdische Ungarn, die engere Beziehungen zu Schweden hatten, durch schwedische „Schutzpässe“ vor ihrer Deportation und nachfolgenden Ermordung zu schützen. Statt einiger Hundert solcher „Schutzpässe“ stellte er ab Sommer 1944 gleich viele Tausende davon aus, die ihre Inhaber als Schweden reklamierten und ihnen die Ausreise nach Schweden ermöglichten. Der Diplomat arbeitete bei diesem Rettungswerk eng mit Schweizer und Diplomaten des Vatikans zusammen und schreckte notfalls nicht vor der Bestechung ungarischer Beamter und Drohungen gegenüber deutschen Militärs zurück, diese später als „Kriegsverbrecher“ verfolgen zu lassen, sollte man ihn bei seinem Rettungswerk behindern. Dass von rund 800000 ungarischen Juden immerhin 204000 überlebten, ist teilweise das Verdienst Raoul Wallenbergs.

Doch Raoul Wallenberg überlebte sein humanistisches Rettungswerk nicht lange und sein Lebens­ende ist immer noch von vielen Rätseln umgeben. Nach heftigen Kämpfen besetzte die Rote Armee 1944/45 ganz Ungarn und sofort begannen sowjetische Geheimdienste ihr unheilvolles Werk, um angebliche Spione, Diversanten und Feinde des Sozialismus aufzuspüren. Anfang Januar 1945 wurde von einem russischen adeligen Emigranten, der Hilfsdienste an der schwedischen Botschaft in Budapest leistete, Raoul Wallenberg als „amerikanischer Spion“ denunziert und dieser trotz seiner diplomatischen Immunität am 17. Januar 1945 auf dem Weg von Budapest nach Debrecen verhaftet.

In den ersten Jahren danach wurde sowjetischerseits gegen­über Schweden sogar diese Verhaftung geleugnet. Es wurde auf die angespannte militärische Lage in Ungarn verwiesen, in deren Folge Raoul Wallenberg möglicherweise durch deutsche Einwirkung ums Leben gekommen sein könnte. Das änderte sich erst in der „Tauwetterperiode“ der Chruschtschow-Zeit. Am 6. Februar 1957 teilte der sowjetische Außenminister Andrei Gromyko dem schwedischen Außenministerium mit, am 17. Juli 1947 sei in der Moskauer „Lubjanka“, dem Gefängnis des Geheimdienstes, ein gewisser „Walenberg“ wahrscheinlich an Herzinfarkt verstorben und die Leiche sei anschließend verbrannt worden. Allerdings hielten sich in den Folgejahren hartnäckig Gerüchte, dass Wallenberg noch nach dem angegebenen Todesdatum von vielen Augenzeugen im Gulag gesehen worden sei und nun in sibirischen Gefängnissen beziehungsweise in einer psychiatrischen Einrichtung gefangen gehalten werde, um sowjetische Fehler bei dessen ungerechtfertigten Verhaftung 1945 zu vertuschen. Der sogenannte Nazi-Jäger Simon Wiesenthal beschäftigte sich ausweislich seiner Memoiren, worin er dem Fall Wallenberg ein eigenes Kapitel widmete, jahrelang mit der Suche nach Beweisen für den Aufenthalt Wallenbergs in sowjetischem Gewahrsam auch noch nach 1947.

Der entscheidende Schub an sowjetischen Zeugnissen über das Ende Wallenbergs ist durch Wadim Bakatin gekommen, der von Michail Gorbatschow nach dem Augustputsch 1991 in das Amt gehoben, für mehrere Monate als „weißer Rabe“ die Position des KGB-Chefs bekleidete. Nun erst erfuhr die Öffentlichkeit dokumentarisch auf Grund einer Meldung der sowjetischen 151. Schützendivision, dass tatsächlich im Januar 1945 Raoul Wallenberg nebst Fahrer vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet worden war. Am 6. Februar 1945 wurde seine Ankunft in der Lubjanka schriftlich festgehalten. Doch musste Bakatin als KGB-Chef bei seinen eigenen Nachforschungen feststellen, dass in den 40er und 50er Jahren planmäßig alle Akten von Zeugnissen über Raoul Wallenberg gesäubert worden sind. Nur ganz wenige Schriftstücke überlebten diese Vernichtungsaktion. Immerhin ließen sich noch die Verhördaten der Jahre 1945 bis 1947 ermitteln. Das letzte nachgewiesene Verhör fand am 11. März 1947 statt. Von der Zeit danach liegt kein Lebenszeichen Wallenbergs vor. Vom damaligen sowjetischen Staatssicherheitsminister Viktor Abakumow fand sich eine Aufzeichnung vom 17. Juli 1947, dass bezüglich „des schwedischen Staatsangehörigen R. Wallenberg“ ein Bericht an den damaligen sowjetischen Außenminister und Stalin-Vertrauten Wjatscheslaw Molotow abgegangen sei. Dieser angebliche Bericht ließ sich bis heute nicht auffinden. Ältere sowjetische Geheimdienstler mit dem Aufgabengebiet „Schweden“ glaubten sich dagegen während Bakatins Nachforschungen zu erinnern, einst gehört zu haben, Wallenberg sei 1947 hingerichtet worden. In anderen sowjetischen Archiven ließen sich dagegen für den Zeitraum von 1952 bis 1986 allein 16 Politbürobeschlüsse zum „Fall Wallenberg“ nachweisen, die zeigten, welche politischen und diplomatischen Verrenkungen man nach Josef Stalins Tod 1953 begangen hat, um nicht die sowjetische Schuld am Tod von Wallenberg zugeben zu müssen. Bakatin selber glaubt, dass die Spionageabwehr der 2. Ukrainischen Front seinerzeit Wallenberg eigenmächtig festgenommen und eingekerkert habe. Als diese vor dem eigenen Außenministerium geheimgehaltene Verhaftung eines ausländischen Diplomaten ruchbar zu werden drohte, habe Staatsicherheitsminister Abakumow den Fall „bereinigen“ wollen und danach in Absprache mit Molotow entschieden, jegliche sowjetische Beteiligung zu leugnen, gemäß dem alten Stalinschen Prinzip: „Gibt es den Menschen, gibt es ein Problem. Gibt es den Menschen nicht, gibt es kein Problem.“Jürgen W. Schmidt


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