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28.07.12 / »Marsch für die Autonomie« durch Kattowitz / Die RAS brachte rund 4000 Demonstranten auf die Straße – Das Ziel ist mehr Unabhängigkeit für Schlesien von Warschau

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-12 vom 28. Juli 2012

»Marsch für die Autonomie« durch Kattowitz
Die RAS brachte rund 4000 Demonstranten auf die Straße – Das Ziel ist mehr Unabhängigkeit für Schlesien von Warschau

Schon seit 2007 demonstrieren jeden Sommer meist gelb-blau gekleidete Oberschlesier für die Autonomie ihrer Heimat und jedes Jahr werden es ein bisschen mehr. Am 14. Juli, beim nunmehr sechsten „Marsch für die Autonomie“ waren es schon an die 4000, die in heiterer Stimmung und zu Blasmusik durch die Straßen der oberschlesischen Metropole zogen, um Schlesien mehr Eigenständigkeit innerhalb Polens zu verschaffen. Die Veranstalter von der Ruch Autonomii Slaska (RAS, „Bewegung für die Autonomie Schlesiens“) sprechen sogar von 6000 Demonstranten, und um das Bild ein wenig eindrucksvoller erscheinen zu lassen, trugen die Teilnehmer eine mehrere Meter breite und etwa 100 Meter lange blau-gelbe Fahne Oberschlesiens über die Straße aufgespannt mit sich.

Über mangelnde Beachtung muss sich die Bewegung indes keine Sorgen mehr machen. 1990 gegründet, blieb sie zunächst unbedeutend, bis sie im Jahre 2003 mit dem damals 32-jährigen Jerzy Gorzelik einen geschickt agierenden Vorsitzenden bekam. Im Jahre 2010 eroberte die RAS in der Woiwodschaft Schlesien, die das östliche Oberschlesien und einige angrenzende altpolnische Gebiete umfasst, bei der Regionalwahl knapp 123000 Stimmen oder 8,5 Prozent. Seitdem ist sie nicht nur mit drei Sitzen im Regionalparlament (Sejmik) in Kattowitz vertreten, sondern auch in der Regierung der Woiwodschaft, wobei die RAS den Test der Politikfähigkeit offenbar bestanden hat. Wie sehr die Zeit inzwischen für die Autonomiebewegung arbeitet, zeigen folgende Zahlen: Als es bei der Volkszählung 2002 erstmals möglich war, als Nationalität „Schlesisch“ anzugeben, taten dies erst 173000 Menschen, im Jahre 2011 waren es schon 809000. Vermutlich waren darunter ein paar Tausend, die sich 2002 noch als Deutsche bezeichnet hatten, aber offenbar kaum weniger als 600000 mit zuvor polnischem Bekenntnis.

Der in Breslau promovierte Kunsthistoriker vertritt mit Eloquenz die beiden Kernforderungen der RAS: erstens mehr Respekt für die Kultur Oberschlesiens, dessen im Deutschen meist „Wasserpolnisch“ genannte Sprache sich durchaus vom Polnischen unterscheidet, und zweitens mehr wirtschaftliche und finanzielle Eigenständigkeit.

Was letztere angeht, so erarbeiten in Oberschlesien etwa 13 Prozent der Bevölkerung der Republik Polen rund 24 Prozent der Wirtschaftsleistung des Staates. Dieses Zahlenpaar fasziniert viele in der Region, auch wenn sie von ihrer Herkunft her waschechte Polen sind. Denn der Zentralismus des Staates führt dazu, dass die Region sehr viel vom selbst erarbeiteten Wohlstand abgeben muss. Eine Folge ist, dass das tüchtige Oberschlesien immer noch von überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit geplagt wird.

Jerzy Gorzelik, der in den 90er Jahren als junger Pressesprecher der RAS auch polemische Spitzen gegen Warschau zum Besten gab, äußert sich heute moderater. Die schon obligatorische Ansprache auf der Kundgebung nach dem Marsch war inhaltlich kaum angreifbar, wobei Gorzelik nicht nur Polnisch sowie etwas Tschechisch und Englisch sprach, sondern auch auf Deutsch die für den Marsch aus der Bundesrepublik heimgekehrten Landsleute ansprach. Direkt wandte sich der RAS-Chef an den polnischen Staatspräsidenten Bolesław Komorowski, gegen seine noch vor kurzem ausgesprochene Propaganda, Schlesien sei „in die polnische Familie zurückgekehrt“, wobei er die Forderung nach Autonomie und Dezentralisierung erneuerte. Selbstverständlich tauchten auch in diesem Jahr wieder niederschlesische und mährische, außerdem bayrische, schottische, katalanische, baskische und Fahnen anderer europäischer Regionen auf.

Vor gut einem Jahr machte der ehemalige Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski noch Gratiswerbung für die RAS, indem er ihr vorwarf, ihr Beharren auf einer eigenen schlesischen Nationalität sei nichts anderes als Kollaboration mit dem Feind durch eine „verkappte deutsche Option“. In diesem Jahr blieben solche Überreaktionen aus, doch zwei Grüppchen polnischer Nationalisten protestierten mit zusammen etwa 20 Teilnehmern lautstark gegen das Autonomieverlangen. Tatsächlich ist die Haltung der RAS zu Deutschland und zur deutschen Volksgruppe in Schlesien aber vorsichtig, ja fast ambivalent. Einerseits gibt es keinerlei Vorbehalte gegen die deutsche Sprache oder Kultur, diese werden als fester Bestandteil der Kultur Schlesiens akzeptiert und begrüßt. „Dennoch ist das Verhältnis zu den Organisationen der Deutschen, die ihren Schwerpunkt in der Nachbarwoiwodschaft Oppeln haben, geschäftsmäßig bis distanziert“, erklärte Robert Starosta, der Vorsitzende eines 2008 in der Bundesrepublik gegründeten Partnervereins der RAS gegenüber der PAZ. Die deutschen Verbände sähen in der RAS eine Konkurrenz, und obwohl die Bewegung die Autonomie ganz Schlesiens anstrebe, gebe es mit der Landsmannschaft Schlesien so gut wie keine Kontakte, sondern nur mit der Landsmannschaft der Oberschlesier. Und zum Vertreibungsunrecht, das in Oberschlesien nicht nur Deutsche, sondern auch Polen, Juden und Ukrainer betroffen und der Region unübersehbare Wunden geschlagen hat, hält sich die RAS bisher völlig bedeckt. Konrad Badenheuer


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