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28.07.12 / Die ostpreussische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-12 vom 28. Juli 2012

Die ostpreussische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,           
liebe Familienfreunde,

heute mal wieder querbeet durch unseren Familiengarten, und da hat sich doch so einiges angesammelt, was zwar nicht so dringlich erscheint, aber ein Auf-die-lange-Bank-schieben auch nicht verträgt. Da ist ein Brief von unserm neugierigen Landsmann Werner Mai aus Hamburg – diese Eigenschaft schreibt er sich selbst zu, weil er hoffnungsvoll auf ein positives Ergebnis nach Veröffentlichung seiner Suchfrage wartet, die nun heute erfolgt. Er hat es nämlich so langsam „dick“, bei allem, was er von seiner Königsberger Kindheit erzählt, angezweifelt zu werden. Dieses Misstrauen kennen wir ja alle, wenn wir von tohuus berichten, und deshalb sind wir immer froh, wenn wir unsere Angaben belegen können, Zeitzeugen das von uns Gesagte bestätigen. Derartige Zeitzeugen könnten im Falle Werner Mais die Mitbewohner des Hauses Schönstraße 11 in Königsberg sein, wo er 1938 geboren wurde. Sein Vater Fritz Mai hatte die Bäckerei Ecke Paulstraße gegenüber der „Regierung“, wie der Gebäudekomplex am Mitteltragheim, der Sitz des Regierungs-Präsidiums war, kurz genannt wurde. Vielleicht erinnern sich noch Königsberger vom Tragheim an diese Bäckerei – zum Brötchenholen lief man ja als kleines Gnoss nur zu gerne, denn manchmal fiel was Leckeres dabei ab wie Blechkuchen vom Vortag oder irgendein frisches Abbruchsel. So könnten sich also auch Königsberger, die etwa gleichaltrig mit Werner Mai sind, an die Bäckerei erinnern. Gezielt sucht er aber nach der etwa drei Jahre älteren Ursula Brandenburg, die mit ihren Eltern zusammen mit der Familie Mai in dem Haus in der Schönstraße wohnte. Wie ich seinen Ausführungen entnehme, in einer Wohnung, die sehr groß gewesen sein muss, weil auch das Balkonzimmer von einem weiteren Mitbewohner genutzt wurde. An diesen „Onkel Schobert“ kann sich der heute 74-Jährige gut erinnern, noch intensiver aber an die Familie Lagerpusch, die in dem Haus einen Friseursalon hatte. Deren Söhne Siegfried und Wolfgang zählten zu Werners besten Spielkameraden. Sie bekamen 1943 noch ein Schwesterchen. Da Herr Lagerpusch bei der Wehrmacht war, blieb der Salon während der letzten Kriegsjahre geschlossen. Für die Kinder wurde er aber zur wahren Spieloase vor allem bei schlechtem Wetter, wenn sie nicht draußen spielen konnten. Dann hatte auch Frau Blume aus dem Erdgeschoss keinen Grund zum Schimpfen, denn sie pflegte die Bowkes zu verscheuchen, wenn sie zu viel Rabatz auf dem Hof machten. Das sind die Erinnerungen von Herrn Werner Mai an das Haus in der Schönstraße und seine Mitbewohner und so hofft er, dass sich noch jemand aus diesen Familien bei ihm meldet. Das könnte bei der Familie Lagerpusch der Fall sein, denn die Mutter von Werner Mai hat nach der Flucht mit ihr in Verbindung gestanden. Frau Lagerpusch befand sich damals in einem dänischen Internierungslager, und sie übersandte Frau Mai ein dort aufgenommenes Bild, das sie zusammen mit ihrem Töchterchen zeigte. Dann muss der Kontakt abgerissen sein, aber vielleicht ist es möglich, dass er jetzt wieder zustande kommt zwischen Werner Mai und seinen ehemaligen Spielkameraden und deren Familien. Anschrift: Werner Mai, Bürgermeister-Bals-Straße 8 in 82216 Maisach-Malching.

„Dieser Brief sollte eigentlich anders anfangen“, schreibt Herr Mai zum Schluss. „Heute beginnt nämlich ein regnerischer Tag mit dem Spruch in meinem Tischkalender: Man reist nicht billiger und schneller als in seinen Gedanken! So habe ich mich ,billig‘ in die Heimat reisen lassen. Viel Nettes und Schönes ist mir wieder eingefallen, aber auch traurige und schlimme Erlebnisse.“

Also reisen wir weiter und nehmen unsere Landsleute auf die Fahrt in die Vergangenheit mit, die uns kein Wettergott verhageln kann. Jeder Wunsch, jede Frage, jedes Wort in der vertrauten Sprache bringt uns ein Stück Heimat zurück. Die Ostpreußische Familie ist ein guter Mutterboden, wir bearbeiten ihn fleißig und graben nach unsern Wurzeln. Die hat auch Herr Dr. Wolfgang Klein aus Schwörstadt in seinen Erinnerungen an seine Heimatstadt Königsberg zusammengetragen und mir nun einige übersandt, denn er fühlte sich von dem „Dialog mit der Vergangenheit“ von Jörn Pekrul in Folge 26 angesprochen, da er auch Ähnliches erlebt hatte, als er 1993 wieder heimatlichen Boden betrat. „Auch ich habe meinen Eltern ihre Sicherheit wiedergeben können und sie aufgenommen. Das Erstaunliche daran ist aber, dass meine Eltern und ich kaum über die Vergangenheit der Jahre 1939 bis 1945 gesprochen haben. Das mag daran gelegen haben, dass wir in den Kriegsjahren doch engen Kontakt gehabt und so manches gemeinsam erlebt haben. Es war jedoch kein Problem über die Jahre davor und sogar über den Ersten Weltkrieg zu sprechen.“ Seine Erinnerungen werden wir sicher dann und wann „anzapfen“, denn er hat in ihnen das Bild seiner Heimatstadt gezeichnet, wie er es schon als Junge mit wachen Augen gesehen hat, wobei er eigene Eindrücke mit dem von Schule und Elternhaus übermittelten fundierten Wissen verbindet.

Reisen wir weiter, diesmal mit Frau Christel Stößer aus Garstedt, die uns in den Kreis Labiau führt. Sie hatte in Folge 17 von Herrn Benz aus Reichenbach gelesen, der für eine Frau Schulz auf Heimatsuche geht, denn deren Erinnerungen sind sehr vage und entbehren jeder genauen Ortsangabe. Herr Benz hatte ihren Bericht aufgeschrieben und wollte ihn nun mit Ortsangaben, Namen und Daten vervollkommnen, um den Herkunftsort lokalisieren zu können. Das erwies sich aber als sehr kompliziert, denn die Erinnerungen von Frau Schulz bezogen sich mehr auf das allgemeine Leben bis zur Flucht, es waren vor allem kleine Erlebnisse aus ihrer Kindheit, die überall zwischen Haffufer und Großem Friedrichsgraben geschehen konnten. Immerhin konnten wir einige Orte ausmachen, die nach den Angaben von Frau Schulz infrage kämen, darunter auch Agilla/Haffwerder. Da wir dazu auch ein Foto „Hochwasser in Agilla“ gebracht hatten, erregte dieser Bericht die Aufmerksamkeit von Frau Stößer, die in dem Haffdorf geboren wurde. Sie schreibt:

„Der Bericht hat mich sehr angesprochen. Ich bin 1931 in Agilla geboren, auch mein Vater war dort tätig. Die andere Dorfseite wurde durch den Arbeitsdienst eingedeicht. Der Große Fried­richsgraben teilte unser Dorf. Die Gemüsebauern kamen aus dem große Moosbruch mit den Kähnen, die früher noch von Menschenhand gezogen (also getreidelt) wurden. Und wenn der Winter kam, wurde das Eis auf dem Großen Friedrichsgraben aufgebrochen, damit die letzten Schiffe aus Tilsit nach Königsberg konnten. Mein Vater hatte dort die Schmiede, daher weiß ich noch alle Namen aus dem Dorf, aber eine Frau Schulz ist mir nicht bekannt, vielleicht ist das ja der Ehename der Frau.“

Damit dürfte Frau Stößer Recht haben, deshalb haben sich in diesem Fall noch keine konkreten Spuren ergeben. Herr Benz kannte nur den nicht gerade seltenen Nachnamen und konnte Frau Schulz auch nicht befragen, da der Kontakt inzwischen abgebrochen war. Deshalb hatte er gehofft, dass sich auf unsere Veröffentlichung hin Frau Schulz bei ihm melden würde, das ist aber anscheinend nicht geschehen. Die Ostpreußin aus dem Kreis Labiau müsste heute etwa 80 Jahre alt sein. Vielleicht kommen jetzt nach erneuter Veröffentlichung Hinweise aus dem Leserkreis, denn Frau Schulz, die in Mecklenburg-Vorpommern leben könnte, hängt noch sehr an ihrer Heimat und hat oder sucht Verbindung zu Landsleuten.

Wenn ich manchmal zu sehr in die Einzelheiten gehe und auch nebensächlich scheinende Daten und Angaben berücksichtige, so hat das schon seinen Grund. Den hat Herr Peter Perrey genau erkannt, denn er sagt in seinem Schreiben an mich nicht nur ein Dankeschön für die gewünschten Abbildungen von Godrienen, sondern bestätigt auch die dokumentarische Arbeit der Ostpreußischen Familie.

„Ich halte es in der Tat für außerordentlich wichtig, so viele Einzelheiten über unser Ostpreußen und seine Menschen zu sichern, wie nur irgend möglich. Die eigene Erfahrung auf dem Gebiet der Genealogie lehrt mich, dass man mit der Sicherung von Daten und Fakten – einschließlich des überkommenen Bildmaterials – nicht frühzeitig genug anfangen kann. Der Tod der vorangehenden Generation kommt vielfach eher als man denkt, und danach steht man mit vielen Fragen, die man hätte immer noch stellen können, plötzlich alleine da. Wenn man dann überhaupt noch Auskünfte erhalten kann, muss man versuchen, diese in manchmal weit entfernten Archiven zu finden. Insofern sind Einrichtungen, die per Internet zugänglich sind – wie das Bildarchiv Ostpreußen – von außerordentlicher Wichtigkeit. Ich habe mich bisher schon bemüht, diese oder jene Fehlinformation zu korrigieren und werde mich auch weiter einbringen, soweit es mir nötig erscheint. Ich sehe dies auch als eine bescheidene Ergänzung zu der fortlaufenden sehr wichtigen Arbeit, die Sie dankenswerter mit Ihrer Kolumne ,Ostpreußische Familie‘ leisten. Als jemand, der das Ostpreußenblatt zeit seiner Existenz – also für mich von Kindesbeinen – gelesen hat und das Abonnement seit dem Tod der Eltern weiterführte, verfolge ich die Kolumne regelmäßig.“

Vielen Dank, lieber Herr Perrey für Ihre anerkennenden Worte und Ihre Mithilfe. Die ist besonders wichtig, denn die Unterlagen, die ich bekomme, sind in den meisten Fällen lückenhaft. Häufig fehlen Postanschrift und Telefonnummer. Da auch unsere Recherchemöglichkeiten vor allem zeitlich begrenzt sind, ist die Mitarbeit unserer Leserinnen und Leser ungeheuer wichtig, wie die vielen positiven Ergebnisse beweisen.

Der interessante Fund, über den wir in der letzten Folge berichteten, hat noch ein Nachspiel. Das veröffentlichte Foto von der Originalhandschrift hat dokumentarischen Charakter. Es zeigt einen Auszug aus den Aufzeichnungen des Sammlers K. W. J. Albrecht aus Bad Gandersheim, der 1946 im Besitz des Dokuments über den verheerenden Brand der Haberberger Kirche in Königsberg war. Heute bringen wir nun eine Kopie des Originalberichtes eines unbekannten Zeitzeugen aus dem Jahr 1747, den Jürg Schmied aus Siegen als Einlage in den gebundenen Aufzeichnungen von Albrecht in einem antiquarisch erworbenen Buch entdeckte.

Eure Ruth Geede


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