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28.07.12 / Der Karpfen war ein 30-Pfünder / Königsberger Erinnerungen: Anglerparadies Oberteich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-12 vom 28. Juli 2012

Der Karpfen war ein 30-Pfünder
Königsberger Erinnerungen: Anglerparadies Oberteich

Die weiße Brücke hatte es mir angetan, die in Folge 28 auf der Seite „Leserforum“ abgebildet war. Und der Leserbrief von Frau Irene Blankenburg-Korbjuhn dazu, denn sie führten mich in ein Paradies meiner Königsberger Kindheit zurück: an den Oberteich. Und vielleicht kann ich nun die Schreiberin, die auch ihre glücklichen Kinder- und Jugendjahre im und am Oberteich verbrachte, mit meinen eigenen Erinnerungen erfreuen und andere Leserinnen und Leser dazu. Die weiße Brücke macht’s möglich, unter ihr sind wir mit unserem Boot in den stillen Ziegelhöfer Winkel gerudert, und über sie führt nun der Weg zurück in die Vergangenheit.

Schon ehe wir das Boot hatten, gingen wir oft zum Oberteich, der nicht weit von unserer Wohnung im Roßgartenviertel lag. Dort pflegte mein Vater den Petrijünger zuzusehen. Die schwiegen still vor sich hin und mein Vater auch. Ich spielte am Ufer und wartete gespannt, dass es endlich „tibberte“. Und manchmal verschwand auch die Pose und der Angler zog tatsächlich einen Fisch an Land – meistens war es aber nur ein Plötzchen oder ein Barsch, handtellergroß. Die Prachtexemplare von Schleien und Karpfen hörte man an warmen Sommertagen irgendwo in der Schilfwildnis schnalzen, in die man leider nur mit dem Boot eindringen konnte.

Ein Boot! Es kam der Tag, an dem Vater sich den Traum erfüllte und uns Kindern eine ungeahnte Freiheit schenkte. Es lag an einem Steg des „Königsberger Angler-Clubs“, der sich hinter den Schrebergärten am Ostufer versteckte und für Spaziergänger kaum zu finden war. Vater hatte die Mitgliedschaft erworben und wurde nun mit einem „Petri-Heil“ der gerade anwesenden Petrijünger begrüßt. Er musste seinen Einstand in der Kantine des Clubhauses geben, die eigentlich eine Art Wohnküche war, in der Herr Reichermann, der Wirt, Grogwasser und Würstchen wärmen konnte. Viel mehr gab es nicht an Speisen und warmen Getränken, dafür Bier und härtete Getränke für durstige Ang­lerkehlen. Wir Kinder wurden mit Limonaden und Leibnitzkeksen abgespeist, auf unsere Jahrgänge war man nicht eingestellt. Zum langen Verweilen in der „Kantine“ hatten wir sowieso keine Lust, denn das Mobiliar bestand aus einigen Schemeln und einem durchgesessenen Sofa, dessen Spiralen sich bei längerem Sitzen schmerzhaft bemerkbar machten.

Dafür gab es dann Freiheit, Wasser und Frischluft pur auf dem Ufergelände mit dem alten Baumbestand – und es gab „unser Boot“. Es war nicht das größte, das neueste, das schönste, aber es gehörte uns. Wir lernten „Kahnchenfahren“ und waren bald so sicher, dass selbst die besorgte Mutter uns ohne Vorbehalt allein „auf den Teich“ ließ. Es führte uns in stille Ecken, die wir vom Ufer aus nie entdeckt hätten. In dem Ziegelhöfer Winkel, den wir nach der Durchfahrt unter der weißen Holzbrücke erreichten, konnte man sich verstecken, mannshoch stand das Schilf um den Kahn. Wie Orchideen leuchtete die Wasseriris, dottergelb und violett, Libellen, gläsern und zart, sirrten in der klaren Luft. Ab und zu raschelte es im Schilf, vielleicht ein Wasserhuhn, eine Stockente oder ein anderes Getier. Und plötzlich sprang in der Blänke ein Fisch hoch, sein silberner Körper in der Sonne und verschwand dann wieder. Die Stadt schien so weit, obgleich nur einen Steinwurf entfernt die Straßenbahn vorbeifuhr, ihr Klingeln kam wie aus weiter Ferne. Am liebsten verbargen wir uns hinter einer alten Weide, deren Zweige wie Perlenvorhänge in das Wasser hingen. Sie stand am Ufer des „kleinen Teiches“ hinter der Oberteichterrasse, den wir nach der Durchfahrt unter der Straßenbrücke – wobei wir laut Hallo und Huhu riefen, das ergab herrliches Echo – erreichten. Dicke Freundschaft hatten wir mit den Schwänen geschlossen, sie kamen sofort auf den Ruf „Hans-Hans“ herbei und ließen sich füttern. Auf dem Inselchen neben dem Bootssteg brütete ungestört ein Schwanenpaar im Schutz des Anglerklubs. Nach Süden weitete sich der Oberteich zur großen Wasserfläche – anderswo hätte man ihn mit Sicherheit „See“ genannt – und an seinen Ufern herrschte im Sommer fröhliches Badeleben. Ein bisschen unheimlich war es an der Mauer, wo Pricken keinen Grund mehr fanden, besonders am Abfluss des Oberteiches zum tiefergelegenen Schloss­teich. Ich hatte immer Angst, dass wir mit unserem Boot mitgerissen wurden, was aber nicht geschehen konnte. Das war das bevorzugte Angelrevier meines Vaters, hier raubten die großen Hechte, man konnte sehen, wie die kleinen Flitzerchen angstvoll hochsprangen. Er war schon ein fischreiches Gewässer, der Oberteich, und er erfüllte damit noch immer seine Pflicht, denn einstmals war er von den Ordensrittern als Fischteich angelegt worden. Mein Vater brachte manchen kapitalen Fang nach Haus und einmal sogar einen 30-pfündigen Karpfen, aber den hatte er nicht geangelt, sondern beim offiziellen Abfischen des Oberteiches ersteigert. Meine Mutter meinte skeptisch, er müsste nach Modder schmecken – tat er aber nicht. Die zum Karpfenschmaus eingeladenen Gäste behaupteten, noch nie so etwas Köstliches gegessen zu haben. Ja, ja, die alten Rittersleut’, die wussten schon, was sie taten!            R.G.


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