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04.08.12 / Es kommt wohl noch schlimmer / Berliner S-Bahn-Chaos im vierten Jahr: Auszehrung des Nahverkehrs verschärft sich weiter

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-12 vom 04. August 2012

Es kommt wohl noch schlimmer
Berliner S-Bahn-Chaos im vierten Jahr: Auszehrung des Nahverkehrs verschärft sich weiter

Der Berliner Nahverkehr galt einst weltweit als bewundertes Modell für Effektivität. Von der Vorreiterolle ist nicht mehr viel übrig geblieben – die Probleme um die Berliner S-Bahn gehen mittlerweile ins vierte Jahr, wegen leerer Kassen droht nun auch noch der Rest des Berliner Nahverkehrs unter die Räder zu kommen.

„Wir wollen zufriedene Fahrgäste befördern, keine heiße Luft“ – die launige Bemerkung von der Frau an der Spitze der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Sigrid Nikutta, scheint zunächst einmal nur eine Binsenwahrheit zu sein. Spätestens mit dem nachgeschobenen „Da müssen wir genau hinschauen, auch aus ökologischen Gründen“ hat sie allerdings klargestellt, was auf die Kunden der BVG zukommt: Kürzungen im Angebot.

Die Sorge der BVG-Chefin dürfte allerdings weniger dem Umweltschutz als dem fehlenden Geld gelten: Nach jahrelangen Kürzungen der Senatszuwendungen wird die Unterfinanzierung der BVG mittlerweile auf jährlich 44 Millionen Euro beziffert. Doch es soll offenbar noch weiter nach unten gehen: Kürzungen beim Angebot – kaschiert als Anpassung an angeblich nicht vorhandenen Bedarf oder als Beitrag zum Umweltschutz – könnten den BVG-Etat um 20 Millionen Euro pro Jahr entlasten, so die Kalkulation.

Als erste werden vermutlich die Bewohner der Berliner Außenbezirke die Ausdünnung zu spüren bekommen: Im Gespräch ist, Bus- und Straßenbahnverbindungen in Randlagen einzuschränken.

Auch wenn offiziell ein Zusammenhang mit dem Debakel um den Berliner Großflughafen BER geleugnet wird – die zukünftigen finanziellen Belastungen durch das missratene Großprojekt werden immer offensichtlicher. Im brandenburgischen Doppelhaushalt 2013/14 wurden bereits weitere 435 Millionen Euro für den Großflughafen eingeplant.

Die Hauptstadt hingegen setzt auf das Prinzip Hoffnung. Im Berliner Haushalt ist bislang keinerlei Vorsorge für Mehrkosten durch den BER getroffen worden. Der Senat scheint auf eine inzwischen gebräuchliche Praxis zurückgreifen zu wollen. Die Flughafengesellschaft soll sich die fehlenden Gelder möglichst durch Anleihen beschaffen. Im Klartext: neue Schulden, die nicht im offiziellen Berliner Haushalt auftauchen.

Das Prinzip wird bei der BVG bereits ausgiebig praktiziert. Der Schuldenberg der landeseigenen Verkehrsbetriebe ist so inzwischen auf mehr als 800 Millionen Euro angewachsen. Der Weg hin zu weiteren Kürzungen des Verkehrsangebots ist für die Zukunft damit vorgezeichnet.

Wenig erfreulich ist auch die Ent- wicklung beim Brennpunkt Berliner S-Bahn, einer Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn. Die Dauerkrise des Unternehmens geht mittlerweile ins vierte Jahr, ohne dass eine wirkliche Besserung absehbar ist. Eine parlamentarische Anfrage im Berliner Abgeordnetenhaus brachte zutage, dass sich Verspätungen der S-Bahn allein von Januar bis Mai auf 170810 Minuten addiert haben – am Stück wären das mehr als 118 Tage. Die S-Bahn Berlin führt die verschiedensten Ursachen als Begründung für die anhaltenden Probleme an: von Personalengpässen, über Signalstörungen bis hin zu Einsätzen von Polizei und Rettungskräften oder gar Kabeldiebstahl.

Der Chef des Verkehrsverbundes, Hans-Werner Franz, zieht ein ganz anderes Fazit: „Es fehlt offenbar die notwendige Entschiedenheit, die Schwierigkeiten schneller zu lösen.“ Hoffnungen auf eine Änderung der Lage liegen nun bei der auf den Weg gebrachten Teilausschreibung für den Innenstadt­ring. Allerdings soll erst 2014 eine Entscheidung über den neuen Betreiber fallen, der dann 2017 den Betrieb der Ringbahn übernehmen soll.

Ob das tatsächlich den erwarteten Durchbruch bringt, bleibt abzuwarten; nicht zuletzt, weil der neue Betreiber verpflichtet werden soll, rund 380 neue Waggons für geschätzte 600 Millionen Euro anzuschaffen, könnte aus der Ausschreibung leicht ein alter Bekannter als Sieger hervorgehen: die Deutsche Bahn.

Ein weiterer Schwachpunkt der Ausschreibung ist das Gleisnetz, auf dem der S-Bahnverkehr abgewickelt wird. Es gehört der Deutschen Bahn, die einen Verkauf weiterhin ablehnt. Als Folge befürchtet die Eisenbahngewerkschaft EVG, dass die Deutsche Bahn Investitionen ins Gleisnetz unterlässt, so lange Unklarheit herrscht, wer künftig für den S-Bahnbetrieb zuständig ist.

Möglich ist allerdings auch eine ganz andere Entwicklung. Die Bahn entdeckt das Gleisnetz als lukrative Einnahmequelle und treibt damit die Kosten und somit auch Fahrpreise in die Höhe. Einen Vorgeschmack hat die Bahn bereits im Jahr 2010 geliefert, als sie der eigenen Berliner Tochtergesellschaft für das Abstellen von S-Bahnzügen auf dem konzerneigenen Gleisnetz Millionenbeträge in Rechnung stellte.

Um hier Abhilfe zu schaffen, wäre entweder eine Ablösung des Schienennetzes von der Deutschen Bahn nötig oder wenigstens eine genaue Vorgabe aus dem Bundesverkehrsministerium. Zumindest aktuell dürften Vertreter des Berliner Senats mit entsprechenden Gesprächswünschen bei Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) aber eher auf taube Ohren stoßen. Obwohl der Bund immerhin mit 26 Prozent am neuen Berliner Großflughafen beteiligt ist, setzte die Flughafengesellschaft Experten des Bundes vor einigen Tagen kurz vor einem heiklen Test der Brandschutzanlage kurzerhand an die Luft. So macht man sich mächtige Feinde. Norman Hanert


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