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04.08.12 / Mehr als nur der Kultautor der Hippies / Vor 50 Jahren verstarb der Schriftsteller Hermann Hesse – Seine Themen gelten auch heute noch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-12 vom 04. August 2012

Mehr als nur der Kultautor der Hippies
Vor 50 Jahren verstarb der Schriftsteller Hermann Hesse – Seine Themen gelten auch heute noch

Ob es sich um die recht sentimental gehaltenen Entwicklungsromane wie „Peter Camenzind“ (1904), „Siddharta“ (1922) und „Narziß und Goldmund“ (1930) handelt, etwa um den 1927 erschienen Roman „Steppenwolf“ oder, ob es um sein abgeklärtes Alterswerk „Das Glasperlenspiel“ (1943) geht, – zu allen Zeiten fand das dichterische Werk Hermann Hesses (1877–1962) extreme Zustimmung und Ablehnung zugleich.

Während Dichterkollege Gottfried Benn Hermann Hesse „als einen durchschnittlichen Entwick-lungs-, Ehe- und Innerlichkeitsromancier“ zu diskreditieren versuchte, setzte sich Thomas Mann seit 1934 beharrlich für die Zuerkennung des Literaturnobelpreises an den seit 1919 im Tessiner Montagnola wohnenden Hesse ein, den dieser dann auch 1946 überraschend erhielt.

Eine erstaunlich große Lesergemeinde und weltweite Rezeption ist Hesses Werk beschieden (man spricht von über 100 Millionen Gesamtauflage) und garantiert seinem Hausverlag Suhrkamp bis heute hohe Renditen. Hesses Zivilisationskritik, sein Plädoyer für den jeweils eigenen Weg, den jeder Mensch für sich persönlich zu finden und zu gehen habe, das Aufzeigen der den Menschen bedrängenden Gegensätze und Konflikte sowie ein Religionsverständnis, das eklektisch offen ist für unterschiedliche Glaubensweisen – all diese Merkmale und Botschaften seiner Dichtung erreichten und erreichen ganz offensichtlich viele Menschen in ihrem modernen Weltverständnis und Lebensgefühl.

Dabei hat es ausgesprochene Boomjahre der Rezeption gegeben. Wie etwa nach den beiden Weltkriegen, als nicht wenige Leser sich nach den Katastrophenjahren durch Hesses Werk Trost, Hilfe zur Selbstfindung und Neuorientierung versprachen. Schon legendär ist der Hesse-Boom in den 60er und 70er Jahren durch die junge Generation in den USA, als der „Steppenwolf“ geradezu zum Kultbuch der Hippie- und Studentenbewegung avancierte und der damals einflussreiche Harvard-Professor und „Drogenapostel“ Timothy Leary empfahl: „Vor jeder LSD-Sitzung solltest du ‚Siddharta‘ und ‚Steppenwolf‘ lesen.“

Apropos „Steppenwolf“. Nicht zuletzt dieser Roman vermag deutlich zu machen, dass Hesses Werke immer auch starke Züge einer Bekenntnisliteratur tragen. Die Protagonisten seiner Romane, sie geben ziemlich genau den jeweiligen Standort ihres Autors bei seiner Sinnsuche und seinem Weg der Menschwerdung wider. Der Harry Haller seines „Steppenwolfs“, dieser zwischen seiner „wölfischen“ und seiner geistigen Natur, zwischen Lebensgier und Lebensüberdruss hin- und hergerissene Mensch, das ist im Grunde Hermann Hesse selbst und ist die Selbstoffenbarung seiner eigenen Lebenskrise! Diese hatte der Dichter in dem Gedicht „An den indischen Dichter Bhartrihari“ einmal so ausgedrückt: „Wie du, Vorfahr und Bruder, geh auch ich/ Im Zickzack zwischen Trieb und Geist durchs Leben,/ Heut Weiser, morgen Narr, heut inniglich/ Dem Gotte, morgen heiß dem Fleisch ergeben.“

Bekanntlich entstammte Hesse einem frommen, pietistischen Milieu. Die Eltern und die Großeltern mütterlicherseits waren sogar Missionare in Indien gewesen. Erst als es gesundheitlich nicht anders ging, waren sie nach Deutschland zurückgekehrt und im schwäbischen Calw heimisch geworden. Hier ist Hermann groß geworden. Hier hat er nach einem kurzen Intermezzo in Basel seine Kindheit und Jugend verbracht. Dabei nahm die Pubertätskrise des Missionarssohns einen geradezu dramatischen Verlauf. Mit „Flucht“ aus einem Eliteinternat in Maulbronn, mit einem Selbstmordversuch wegen verschmähter Liebe zu einer sieben Jahre älteren Frau, mit zeitweisem Aufenthalt in einer Nervenheilanstalt. Seitdem ist es, wie einmal Joachim-Ernst Behrendt es ausdrückte, „ja Bildungsstandard, dass er (das heißt Hermann Hesse) von den Eltern unterdrückt, gequält und missverstanden wurde und fast daran zugrundegegangen wäre“.

Bis heute wird in Hesse-Biografien dieses Klischee bedient. Dabei würde eine unvoreingenommene Untersuchung der reichhaltigen Quellen, nicht zuletzt die vielen Selbstzeugnisse Hermann Hesses selbst, belegen, dass nicht die Eltern die Ursache für die so problematisch verlaufende Pubertätskrise ihres Jungen gewesen waren, sondern dass es vielmehr ihren beharrlichen und opferbereiten Liebesbemühungen zu verdanken gewesen ist, dass ihr Sohn am Ende aus den Irrungen und Wirrungen seiner Pubertätszeit herausgefunden hatte. Der hatte dann auch bereits als 20-Jähriger eine Brieffreundin wissen lassen: „Ich rühme mit Liebe und Dankbarkeit, dass kein Glück-licher vollkommenere, gütigere, edlere Eltern haben kann als ich.“ Diese Dankbarkeit, diese Achtung seinen Eltern gegenüber hatte im Übrigen Hesse sein Leben lang empfunden. Aus dieser Haltung heraus resümierte er dann auch während des Zweiten Weltkriegs gegenüber seiner Schwester Adele: „Unsre Eltern haben uns viel mitgegeben …, einfach und leicht ist das Erbe nicht, aber es ist reich und edel, es ruft auf und verpflichtet, und es hilft einem oft, die Augen offen behalten und klar sehen und urteilen, wenn die meisten mit Schlagworten zufrieden sind. Unsre Eltern haben ziemlich viel von uns verlangt, weit mehr aber von sich selber, und haben uns etwas vorgelebt, was selten geworden ist und unvergesslich ist. Man sucht uns heute einzureden, ihr Glaube, ihre Weltanschauung, ihre Urteile seien rück-ständig und überholt; aber ich muss sagen, wenn ich auch selber in der Jugend manchmal so über sie dachte, so hat sich das mit den Jahren doch sehr geordnet und ein andres Gesicht bekommen.“ Matthias Hilbert

Der Autor ist Verfasser des im Calwer Verlag erschienenen Buches „Hermann Hesse und sein Elternhaus. Zwischen Rebellion und Liebe“.


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