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04.08.12 / Dänemarks kurzer Sommer der Aufklärung / Seine Fortschrittlichkeit und eine Ménage à Trois wurden dem vor 275 geborenen Johann Friedrich Struensee zum Verhängnis

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-12 vom 04. August 2012

Dänemarks kurzer Sommer der Aufklärung
Seine Fortschrittlichkeit und eine Ménage à Trois wurden dem vor 275 geborenen Johann Friedrich Struensee zum Verhängnis

Am Ende war sein Sturz so dramatisch wie sein Aufstieg rasant gewesen war. Am 28. April 1772 starb Johann Friedrich Struensee, Leibarzt des dänischen Königs, Minister und Staatsrat vor den Toren Kopenhagens auf dem Schafott. Erst wurde ihm seine rechte Hand abgeschlagen, dann wurde er enthauptet, gevierteilt und aufs Rad geflochten – anschließend wurden seine sterblichen Überreste zwei Jahre lang öffentlich zur Schau gestellt. Die grausige Hinrichtung Struensees und seines Vertrauten Enevold von Brandt markiert das Ende eines kurzen Sommers der Aufklärung im absolutistischen Dänemark und wohl auch das einer großen Liebe.

Johann Friedrich Struensee, dessen Geburtstag sich am 5. August zum 275. Mal jährt, wurde 1737 in Halle als Sohn des pietistischen Theologen und Predigers Adam Struensee geboren. Schon mit 14 wurde er zum Medizinstudium zugelassen, mit noch nicht einmal 19 hatte er bereits promoviert und schon 1757 berief man ihn zum Stadtphysikus und Armenarzt ins dänische Altona, wo er in atemberaubender Geschwindigkeit ein Krankenhaus für Mittellose aufbaute, die Pockenimpfung einführte und energisch für die Seuchenbekämpfung eintrat.

Der Erfolg blieb nicht aus. Struensees Ruf sprach sich schnell herum und bald konnte er ein großes Haus führen, in dem sich auch die Spitzen der Gesellschaft wohlfühlten. Doch Struensee war nicht nur Arzt, sondern auch ein leidenschaftlicher Anhänger der Aufklärung. Bald erregte er mit sozialkritischen Artikeln in zwei von ihm herausgegebenen Zeitschriften Aufsehen – und das Missfallen der Zensurbehörde, die seine Schriften mehrfach verbot.

Trotzdem war man mittlerweile auch am dänischen Hof auf ihn aufmerksam geworden. Vielleicht, so hoffte man, könnte der berühmte Arzt den jungen dänischen König Christian VII. heilen. Christian, damals 20 Jahre alt, litt an epileptischen Anfällen und zeigte bereits deutliche Anzeichen einer beginnenden Geisteskrankheit. Er neigte zu unkontrollierbaren Wutausbrüchen und sein zügelloses Sexualleben schockierte nicht nur den dänischen Hof, sondern hatte auch bereits seine Ehe mit der Königin Caroline Mathilde zerrüttet.

Durch Vermittlung des dänischen Offiziers und engen Vertrauten des Königs Graf Schack Carl Rantzau engagierte man Struensee im Mai 1768 als Reisearzt und er begleitete König Christian auf einer achtmonatigen Reise nach England. Zu Beginn des Jahres 1769 kehrte man schließlich nach Dänemark zurück und Struensees märchenhafter Aufstieg begann. Nunmehr zum königlichen Leibarzt ernannt, gewann er schnell an Einfluss, zumal, als es ihm gelang, Königin Caroline Mathilde, die unter ihrer unglück-lichen Ehe litt, nach einem schweren Nervenzusammenbruch wieder zu neuem Lebensmut zu verhelfen. Zunächst half Struensee, den Zeitgenossen als einen ausgesprochenen „Frauentyp“ beschrieben, der verzweifelten Königin als Arzt und wohlgesonnener Zuhörer und Freund. Doch im Winter 1769 wurde wohl mehr als Freundschaft aus der Beziehung und eine verhängnisvolle Affäre nahm ihren Anfang.

Immer mehr geriet Struensee, dessen Einfluss auf den König und die Königin stetig wuchs, in den Sog einer gefährlichen Ménage a Trois (Dreierbeziehung), die nicht lange verborgen blieb. Caroline Mathilde ließ Struensee eine eigene Wohnung in Schloss Christiansborg einrichten und bald tuschelte man nicht nur bei Hofe über einen geheimen Gang zwischen den Gemächern der Königin und ihre Leibarztes. Christian, ohnehin nicht an seiner Frau interessiert, ließen die Gerüchte zunächst kalt. Im Gegenteil, er genoss Struensees Gegenwart und überließ ihm zunehmend die Staatsgeschäfte. Doch es regte sich auch Widerstand gegen den einflussreichen Deutschen. Die Hofkamarilla, aber auch ausländische Botschafter waren alarmiert und bald machten böse Gerüchte über sein Verhältnis zur Königin die Runde.

Sogar Friedrich der Große im fernen Berlin zeigte sich besorgt und schrieb: „Der Einfluss, den der Arzt auf die Königin nimmt, steht einem Mann seiner Herkunft nicht zu.“ Caroline Mathilde und Struensee jedoch ignorierten alle Kritik und zeigten einander mehr oder weniger öffentlich ihre gegenseitige Zuneigung. Die Situation eskalierte, als der Arzt nunmehr auch begann, entscheidenden Einfluss auf die Politik zu nehmen. Leidenschaftlicher Aufklärer, der er war, begann er, den König für seine Ideen zu begeistern. Bald war er der eigentliche Regent im Land, er las und beantwortete die Briefe des Königs, der bald nur noch unterschrieb, was Struensee ihm vorlegte. Struensee schuf sich ein eigenes Ministerium für „Öffentliche Angelegenheiten“ und reformierte mit schwindelerregender Geschwindigkeit das absolutistische Dänemark quasi über Nacht mit mehr als 600 Reformgesetzen. Die Zensur wurde abgeschafft, dem Adel wurden wichtige Privilegien entzogen, das Justizwesen wurde grundlegend reformiert und die Folter wurde abgeschafft.

Doch das Tempo der Reformen überforderte selbst die, denen sie zu Gute kamen. Klerus und Adel, aber auch die öffentliche Meinung wandten sich immer mehr gegen den machtbewussten Arzt aus Deutschland. Man schimpfte ihn in den Zeitungen einen Emporkömmling und Hochverräter und als die Königin 1771 eine Tochter zur Welt brachte, wurde allgemein behauptet, sie sei ein Bastard des Leibarztes.

Am Ende leitete jedoch eine Naturkatastrophe das Ende ein. Im Sommer 1771 vernichtete Dauerregen die Ernte, Krankheiten brachen aus und es drohte eine Hungersnot im ganzen Land. Viele Menschen sahen es als eine Strafe Gottes für das zügellose Gebaren am Hof, eine Ansicht, welche die Geistlichkeit mit hasserfüllten Predigten von der Kanzel zu schüren wusste. Schließlich eskalierte die Situation in kleinen Aufständen und einer Meuterei der Palastgarde. Die Presse hetzte unverhohlen gegen den Emporkömmling am Hof, so dass sich Struensee zuletzt genötigt sah, die Zensur wieder einzuführen. Doch diese Maßnahme entspannte die Situation nur kurz und die Situation wurde immer bedrohlicher.

Nun erkannten auch Struensees einflussreiche Feinde in Adel und Geheimdienst die Gunst der Stunde und schmiedeten ein Komplott. Als der Hof aus Schloss Hirschholm, wohin man sich aus Sicherheitsgründen zurückgezogen hatte, im Januar 1772 nach Kopenhagen zurückkehrte, schlugen die Verschwörer zu. Unter Führung von Struensees einstigem Intimus von Rantzau, der zu einem erbitterten Gegner des Arztes geworden war, fertigten sie ein Schreiben an, aus dem hervorzugehen schien, dass Struensee plane, den König zu ermorden, selbst den Thron zu übernehmen und Caroline Mathilde zu heiraten.

Dieses Schreiben spielte man als angebliches Geheimpapier aus Struensees Tresor König Christians Stiefmutter, der Königinwitwe Juliana, zu. Juliana, die das Königs­paar und Struensee aus tiefstem Herzen hasste und gern ihren eigenen Sohn, Christians Halbbruder Frederik, auf dem Thron sehen wollte, glaubte dem Ganzen nur zu gerne. In der Nacht vom 16. auf den 17. Januar schnappte die Falle nach einem von Struensee initiierten Maskenball zu.

Gegen Vier Uhr morgens verhaftete man Struensee in seinen Gemächern, nachdem man dem geistig verwirrten König über dessen angebliche Umsturzpläne und die Untreue seiner Frau informiert hatte. Christian unterschrieb willenlos Haftbefehle für Struensee, dessen engsten Vertrauten Enevold Brandt und Caroline Mathilde.

Struensee wurde eingekerkert und Caroline auf die Festung Kronberg gebracht. Die Liebenden sollten sich nie mehr wiedersehen. Der Hochverratsprozess gegen Struensee im April 1772 verlief vorhersehbar und endete nach nur vier Tagen wie erwartet mit einem Todesurteil, obwohl Struensee nach Meinung aller Zeitzeugen bis zuletzt überzeugend bestritt, einen Staatsstreich geplant zu haben – und sein Verhältnis zur Königin mit keinem Wort erwähnte. Caroline Mathilde und Christian wurden geschieden, sie wurde jedoch immerhin aus der Festungshaft entlassen und durfte, allerdings ohne ihre innig geliebten Kinder, das Land verlassen. Sie bezog Schloss Celle, wo sie am 11. März 1775, drei Jahre nach dem Tod ihres Geliebten, im Alter von nur 23 Jahren starb. Jutta Nehring


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